Otto Sander gestorben:Im Himmel über Berlin

Als Engel Cassiel in Wim Wenders' "Himmel über Berlin" wird Otto Sander unvergessen bleiben, viele hielten ihn auch für den einzig wahren "Hauptmann von Köpenick". Nun ist der große deutsche Charakterdarsteller im Alter von 72 Jahren in Berlin gestorben.

Der 1941 in Hannover geborene Sander galt als einer der großen Darsteller des deutschsprachigen Theaters. Er hatte Engagements an allen großen deutschen Bühnen und feierte mit über 100 Filmen auch im Kino und Fernsehen große Erfolge. Sein ironischer Humor, seine lakonische Diktion und der spröde Duktus seiner Darstellung machten ihn zu einem der gefragtesten Charakterdarsteller unter den deutschen Schauspielern.

Sander debütierte 1966 an den Kammerspielen in Düsseldorf in Heinar Kipphardts "Joel Brand". Nach einer Zwischenstation am Theater Heidelberg holte ihn Claus Peymann bereits 1968 an die Freie Volksbühne Berlin. 1970 wechselte er an die Schaubühne und avancierte hier unter Peter Stein und Claus Peymann zu einem der profiliertesten deutschen Theaterschauspieler. Er arbeitete auch mit Klaus Michael Grüber, Wilfried Minks und Luc Bondy zusammen und wirkte bis 1979 in fast allen Inszenierungen der Schaubühne mit.

Wie wenige seiner Kollegen sei er in den 1970er Jahren zu einem "notorischen Schauspieler" avanciert, der glaubhaft "die Prügelknaben im Lustspiel, die Drahtzieher in der Tragödie und die Katastrophenkinder im bürgerlichen Trauerspiel" herübergebracht habe, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits Mitte der Achtzigerjahre.

Zu seinen größten Theaterrollen gehörte der Kottwitz in Kleists "Prinz von Homburg", der Suslow in Maxim Gorkis "Sommergäste" und der Werschinin in Peter Steins Inszenierung von Tschechows "Drei Schwestern". Ganz besonders brillierte er als der Schuster Wilhelm Voigt in Matthias Hartmanns Bochumer Aufführung von Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" 2004 - da habe Sander mit dieser bummeligen Lässigkeit alles Verlierer- und Trotzpathos aus dieser Figur herausgespielt, schrieb die Süddeutsche Zeitung vor zwei Jahren anlässlich seines 70. Geburtstages. Viele hätten den Wilhelm Voigt für die Rolle seines Lebens gehalten.

Wissen um das Elend der Welt

Neben der Bühnenarbeit fand Sander während seines gesamten Darstellerdaseins auch Zeit für den Film. 1964 gab er sein Debüt in Roland Klicks Kurzfilm "Ludwig" und machte dann rasch Karriere als preußisch-strenger Junker in Eric Rohmers "Die Marquise von O." und ewig betrunkener Trompeter Meyn in Schlöndorffs "Die Blechtrommel". Durch die Darstellung des Ritterkreuzträgers Thomsen in Wolfgang Petersens "Das Boot" wurde er als Filmschauspieler international bekannt.

Anfang der Achtzigerjahre drehte er mit Bruno Ganz ein sehr persönliches, dokumentarisches Schauspieler-Doppelporträt "Gedächtnis" über Curt Bois und Bernhard Minetti. Unter der Regie des polnischen Über-Regisseurs Andrzej Wajda spielte er 1983 den rückblickenden Chronisten in "Eine Liebe in Deutschland" und war dann 1985 Karl Liebknecht in Margarethe von Trottas hoch gelobtem Film "Rosa Luxemburg".

Unvergessen bleibt er als Engel Cassiel in "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders. Mit ihm habe der Zuschauer sehen können, wie einer das Leben, das Unglück und die Komik zeige, ohne dass das Publikum selber dadurch unglücklicher, komischer oder lebendiger würde. "Wir sehen nur zu und sind ganz ruhig dabei", schrieb die Süddeutsche Zeitung. Deshalb sei die Darstellung des Himmelsboten seine programmatische Rolle gewesen - "der Engel weiß um das Elend der Welt, aber raushelfen kann er uns nicht."

Halt durch Gleichmut

Auch in seinem privaten Leben drehte sich bei Sander alles um die Schauspielerei. Er war mit der Schauspielerin Monika Hansen verheiratet und damit der Stiefvater der Schauspielergeschwister Meret und Ben Becker.

Zusammen mit Ben Becker und Monika Hansen stand Sander in den Folgen des ARD-"Polizeiruf 110" aus Wustermark vor der Kamera. Er gab darin einen melancholischen Gleisarbeiter, der zusammen mit seinem Kollegen (Ben Becker) auf den Schienen einen Koffer voller Geld findet. 1997 und 2003 wurden Fortsetzungen mit denselben Figuren der Krimiserie gedreht. "Es ist Beckers Sehnsucht, die den Film bewegt. Und Sanders Gleichmut, der ihm Halt gibt", befand die Süddeutsche Zeitung 2003.

Im Jahr 2007 erkrankte Sander an Krebs, den er allerdings überwinden konnte. Bereits im Jahr darauf kehrte der Schauspieler mit dem Part des Blinden in Thomas Bernhards Komödie "Der Ignorant und der Wahnsinnige" am Schauspielhaus Bochum auf die Bühne zurück.

Aufgrund seiner sonoren Stimme war Otto Sander auch als Synchron- und Radiosprecher viel gefragt und veranstaltete immer wieder Lesungen mit "Witold Gombrowicz", "Flaubert und Turgenev" sowie mit Werken von Ringelnatz, Ludwig Uhland, Mörike oder Fontane. "Er ist ein Meister seines Fachs, ihm zuzuhören ist ein Vergnügen", lobte ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung anlässlich einer Hörbuch-Besprechung.

Nun ist Otto Sander in Berlin im Alter von 72 Jahren gestorben, wie seine Agentur Meistersinger im Namen seiner Familie mitteilte.

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