Oscar-Verleihung 2004:Hobbits des Olymp

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Wenige Male werden wir noch wach - und dann ist schon wieder Elben-Tag. Denn: Der "Herr der Ringe" steht wie immer vor einer enormen Preis-Ernte und wird wohl auch noch einen unglaublichen Oscar-Triumph einfahren - wer, bitte, kann neben ihm bestehen?

FRITZ GÖTTLER

Nun wissen wir es also: Hätte Billy Wilder "Good Bye, Lenin!" inszeniert, wäre das eine sensationelle Farce geworden, das veritable Gegenstück zu "Eins, Zwei, Drei".

(Foto: N/A)

So stellt es sich jedenfalls J. Hoberman vor in der Village Voice, anlässlich des US-Starts von Wolfgang Beckers Film an diesem Wochenende, in New York und Los Angeles - woran sich große Erwartungen der deutschen Filmproduzenten und -verleiher und der deutschen Filmförderung knüpfen.

Eine dieser Hoffnungen hat sich leider nicht erfüllt, "Good Bye, Lenin!" ist nicht dabei, wenn Sonntagnacht in Hollywood die Academy Awards vergeben werden. Er hat es nicht geschafft, unter die fünf Oscar-Kandidaten für den besten nichtenglischsprachigen Film zu kommen und teilt dieses Schicksal mit respektablen Werken wie "Osama" von Siddiq Barak oder "Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling" von Kim Ki-Duk.

Dafür gehen der wunderbare "Invasion der Barbaren" von Denys Arcand - bei uns aus unbegreiflichen Gründen gefloppt - und aufregende Filme aus Japan, Tschechien, Holland und Dänemark ins Rennen.

Die Progressivität des Auswahlkomitees scheint etwa der der schwedischen Literaturnobelpreis-Jury zu entsprechen. Man zieht solides Storytelling vor, kommentierte bissig Variety: "Geschichten über Großväter und kleine Jungen, oder alles, wo Zweiter Weltkrieg drin ist oder der Holocaust." Kurz und schmerzlos war diesmal die Phase der consideration, der Vorgefechte und Geplänkel, was an der Vorverlegung der Oscarnacht um einen Monat liegt. Der notorische Harvey Weinstein hielt sich zurück - er war zum ersten Mal nicht mit einem Miramax-Opus in der Bester-Film-Kategorie dabei.

Die intensivste Anzeigenserie hatte "Seabiscuit", das Gaul-und-Jockey-Melo aus der Depressionszeit, das natürlich kaum eine Chance hat auf den Oscar-Sieg. Aber für solche Außenseiter, von solchem Charme und solcher Melancholie, schlägt natürlich das Herz der Cineasten.

Wahrscheinlich ist, dass Peter Jackson, der mit seiner neuseeländischen Bierruhe daherkommt wie ein bayerischer Ackergaul, das Rennen macht. Sein dritter "Herr der Ringe"-Teil, der eben die Milliarden-Dollar-Grenze an weltweitem Einspiel überschritten hat - der zweite Film nach "Titanic" -, gehört zwar als Fantasy-Großspektakel einem abseitigen Genre an, hat aber als Gesamtkunstwerk und Großereignis inzwischen Oscarreife erlangt.

Das Monumentale verdrängt die sympathischen kleinen Einzelstücke. Die Buchmacher in London haben jedenfalls ihre Wettlisten bereits geschlossen - und die "Rückkehr des Königs" steht mit einer 1:12-Quote einsam an der Spitze.

Natürlich sind immer - eins, zwei, drei - Überraschungen möglich. Vielleicht kriegt "LOTR" den Oscar als bester Film, ohne dass Peter Jackson zum King of the World gekrönt wird - dann könnte der andere Peter drankommen, Peter Weir für sein Epos "Master & Commander".

Und vielleicht holt der andere Seebär, Johnny Depp, den Oscar als bester Darsteller in "Pirates of the Caribbean" - vor wenigen Tagen hat ihn überraschend die Screen Actors' Guild dafür ausgezeichnet. Als Favorit gilt freilich Sean Penn für "Mystic River", der seinen Mitstreitern so weit voraus liegt wie Charlize Theron für ihre Darbietung in "Monster". Beide haben durch Mut zu politischer Inkorrektheit oder mimischer Hässlichkeit Pluspunkte gesammelt.

Sofia Coppola wird es wohl nicht schaffen, als erste Amerikanerin den Regie-Oscar zu holen - wird man sie mit einem Drehbuch-Trostpreis entschädigen? Tim Robbins und Renée Zellweger gelten als gute Tipps für die Nebenrollen - auch wenn einige bedauern werden, dass nicht die unbekannte Shohreh Aghdashloo gewürdigt wird für "House of Sand and Fog".

Im Fall des Dokumentarfilmfavoriten "Capturing the Friedmans", einer Groteske um Vater und Sohn, die als Kinderschänder entlarvt wurden, hat es plötzlich Bedenken gegeben, ob Filmemacher Andrew Jarecki wirklich fair war mit seinen Protagonisten und seinem Publikum. Das scheint aber schon der schlimmste Moment im grausamen Spiel des Oscarrennens zu sein.

Apropos Grausamkeit - Elvis Mitchell von der New York Times vermisst George Clooney, der nicht in die Auswahl kam für "Intolerable Cruelty".

© SZ v. 28./29.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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