Opernskandal:Scherbenhaufen Bayreuth

Opernskandal: So ging das auch mal: Zu den spektakulärsten Aufführungen in Bayreuth zählte der 2004 von Christoph Schlingensief inszenierte "Parsifal".

So ging das auch mal: Zu den spektakulärsten Aufführungen in Bayreuth zählte der 2004 von Christoph Schlingensief inszenierte "Parsifal".

(Foto: Bayreuther Festspiele)

Erst wird der Regisseur gefeuert, dann wirft der Dirigent hin - der Auftakt der Wagner-Festspiele 2016 wird von gleich zwei Skandalen geprägt. Was sagt das über die Intendantin?

Von Reinhard J. Brembeck

Dass aus einer Opernproduktion noch vor der Premiere mit Dirigent und Regisseur die zwei wichtigsten Protagonisten ausscheiden, ist ungewöhnlich. Dieses Schicksal ist jetzt dem "Parsifal" widerfahren, der am 25. Juli die diesjährigen Bayreuther Festspiele eröffnen wird. Bereits im November 2014 wurde der als Regisseur und Ausstatter verpflichtete Aktionskünstler Jonathan Meese von den Festspielen vor die Tür gesetzt und wenig später durch den Wiesbadener Intendanten Uwe Eric Laufenberg ersetzt. Letzte Woche gab dann der Dirigent Andris Nelsons auf und wurde gerade durch den besonders als Wagner-Dirigent geschätzten Hartmut Haenchen ersetzt.

Beides sind aus der Not geborene Entscheidungen. Diese Vorfälle, wie schon ähnliche in den letzten Jahren, munitionieren die Zweifel an Katharina Wagners Arbeit als Festspielchefin, die seit ihrem Amtsantritt vor sieben Jahren oft geäußert werden.

Nun ist Bayreuth erstens das Opfer des eigenen Erfolgs und zweitens eines grundlegenden gesellschaftlichen Bedeutungswandels der Oper. Die lange Bayreuther Intendanz von Katharinas Vater Wolfgang Wagner wurde nachhaltig geprägt durch Patrice Chéreaus Inszenierung des "Ring" im Jahr 1976. Diese von konservativen Operngängern abgelehnte, von fortschrittlicheren Kunstfreunden stürmisch gefeierte Arbeit katapultierte Bayreuth schlagartig an die Spitze der Wagner-Hermeneutik.

Diese Vorreiterrolle konnten die Festspiele in der Folge aber nur mehr selten einnehmen.

Szenisch gelang das mit Heiner Müllers "Tristan", mit Hans Neuenfels' "Lohengrin" sowie den "Parsifal"-Arbeiten von Christoph Schlingensief und Stefan Herheim. Musikalisch konnten Christian Thielemanns "Meistersinger" und Kirill Petrenkos "Ring" mithalten. Das überrascht nicht. Bayreuth zeigt nur eine Neuproduktion pro Jahr, während alle großen und zunehmend auch kleinere Opernhäuser andauernd Wagner produzieren. Der Rest der Welt ist klar im Vorteil gegenüber Bayreuth, das angesichts dieses Ungleichgewichts eigentlich eine beachtliche Quote an starken Arbeiten vorweisen kann.

Nun hat sich aber auch die Bedeutung des Theaters für die Gesellschaft grundlegend gewandelt. Zu Chéreaus Zeit konnten wagemutige Theatermacher mit ihren Inszenierungen einem noch längst nicht globalisierten Deutschland den Spiegel vorhalten, in dem es sich und seine Machenschaften erschreckt erkennen musste. Die Diagnosen der Regisseure wurden wütend abgelehnt, weil sie durchaus als triftig empfunden wurden.

Die Oper als moralische Anstalt der Aufklärung? Vorbei!

Mittlerweile wird der Oper von Publikum, Musikern und auch Intendanten eine andere Rolle zugewiesen. Sie soll die Menschen durch die zunehmend wieder als "erhaben" empfundene Musik bezaubern. Alles, was diesem hehren Ziel widerspricht, wird gebrandmarkt, also ausgebuht. Zu diesen zunehmend als störend empfundenen Momenten gehört alles, was die alten Stücke mit Politik, gesellschaftlichen Missständen und sonstigen Alltagserfahrungen anreichert. Die gesamtgesellschaftliche Tendenz zum Konservativen geht eben auch an der Oper nicht spurlos vorüber.

Deshalb stehen Opernintendanten plötzlich vor gänzlich neuen Problemen. Der Siebzigerjahretraum von der Oper als moralischer Anstalt der Aufklärung lässt sich angesichts des beschriebenen Geschmackswandels im Publikum nur mehr unter großen Anstrengungen aufrechterhalten. Denn Oper wird wie schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder als kulinarische Ablenkung von den zunehmend als unlösbar empfunden Problemen eines entfesselten Weltlaufs eingefordert.

Heute kämpfen die Opernhäuser - Bayreuth ist da keine Ausnahme - mit allen medialen Tricks um öffentliche Aufmerksamkeit. Dahinter steckt die durchaus berechtigte Angst, dass die alten Stoffe und ihre Konflikte womöglich nichts mehr in der heutigen Welt bedeuten könnten. Die Kombination aus Kulinarik, Bedeutungsverlust und zunehmend knapperen Finanzmitteln erzwingt, dass die Intendanten zunehmend vorsichtiger agieren und sich zunehmend dem Publikumsgeschmack beugen. Assoziative und oft auch weltfern ästhetisierende Inszenierungen haben zunehmend Konjunktur, auch wird immer nachdrücklicher gefordert, dass Regisseure wie Dirigenten gefälligst nur das zu machen hätten, was in der Partitur steht.

Diesem naiven Neokonservatismus müssen sich die Intendanten stellen. Die gerne so direkte Katharina Wagner aber kann und will diesen Zeitgeist sowieso nicht bedienen. Schon zu Zeiten ihres Vaters und erst recht seit ihrem Amtsantritt hat sie die radikalen Regisseure gefördert. Andrerseits hat sie sich aber mit Christian Thielemann einen Musikdirektor geholt, der nicht nur für konservative Bayreuth-Anhänger eine Kapazität der Wagner-Exegese ist und der trotz gewagter Inszenierungen als übermächtiger Publikumsmagnet wirkt.

Jetzt steht Katharina Wagner mit dem "Parsifal" vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Den Meisterprovokateur Meese hat sie entlassen. Der Meisterdirigent Nelsons hat von sich aus hingeworfen. Die Nachfolger der beiden garantieren zwar eine solide "Parsifal"-Aufführung, es wird aber wohl nicht zu dem von Katharina Wagner favorisierten Mix aus musikalischem Geniestreich und szenischem Spektakel reichen. Ist sie deshalb als Intendantin gescheitert? Oder war das alles nur ein ganz besonderes Pech? Wenigstens haben Barrie Kosky und Philippe Jordan noch nicht abgesagt. Sie sollen angeblich nächstes Jahr die "Meistersinger" stemmen.

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