Oper:Was der Krieg übrig lässt

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Hauptmann (Alexander York) und Simplicius (Samantha Gaul). (Foto: A. T. Schaefer)

"Simplicius Simplicissimus" in Augsburg

Von Klaus Kalchschmid, Augsburg

Noch bevor der letzte Zuschauer in der Brecht-Bühne seinen Platz gefunden hat, schlurfen die ausschließlich männlichen Insassen einer Kriegstraum-Klinik unter einer eingebrochenen Decke (Bühne: Piero Vinciguerra) mühsam an weiß gedeckte Tische und bekommen etwas von adretten Krankenpflegerinnen serviert; jeder gefangen in seiner eigenen Welt und mit einem Tick behaftet. Beklemmung stellt sich ein, noch bevor ein Ton erklungen ist vom solistisch besetzten Orchester, das leblos wie die Reste einer vom Bombenhagel überraschten Salonmusikkapelle, dirigiert von Domonkos Héja, an einer der vier Seiten der ebenerdigen Spielstätte sitzt; an den anderen drei ist das Publikum platziert. Zugrunde liegt die reduzierte Fassung von Karl Amadeus Hartmanns Kammeroper "Simplicius Simplicissimus" aus dem Jahr 1934 nach dem Roman von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen.

Die Trauma-Patienten spielen als Therapie nach, was sie erlebt haben. So wird das Geschehen aus dem Dreißigjährigen Krieg ohne eine Änderung im Text ganz nah in die Gegenwart gerückt. Der "Bauer" ist einer der am schwersten Geschädigten, von Georg Festl mit einer unter die Haut gehenden Unmittelbarkeit gesungen und gespielt. Bald rückt "der Simpli", der Einfältige, das Kind, der zarte Junge in einem Mädchenkörper in den Vordergrund. Die blutjunge Samantha Gaul - auch schon Sophie Scholl in Udo Zimmermanns "Die weiße Rose" am gleichen Ort - spielt die Titelpartie mit einem Staunen in den Augen, mit einer Unschuld der Bewegungen und singt sie mit einem so reinen Sopran, dass man stets um ihr Schicksal bangt und zugleich tief im Innersten weiß, dass sie alle Unbill unbeschadet überstehen wird. So sogar die Erziehungsversuche des Einsiedel - in der großartigen Inszenierung von Lorenzo Fioroni und bei Charaktertenor Mathias Schulz ein durchaus zwielichtiger Charakter, der am Ende den Simplicius zum Komplizen bei seinem Suizid mittels Giftspritze aus dem Sanitätskoffer machen will.

In der dritten Szene ("Bankett beim Gouverneur") findet sich der Kleine im grellen Monströsitäten-Kabinett einer feierwütigen Oberschicht wieder. Sie gleicht einem Totentanz, könnte aber auch von George Grosz gemalt oder einer schrägen Halloween-Party entflohen sein (Kostüme: Katharina Gault). Also tritt hier der großgewachsene, muskulöse Alexander York, der den Hauptmann singt, als Dragqueen auf. Er macht dies furios und mit großer Selbstbewusstheit, obwohl erst "Eleve im Ensemble". Am Ende streckt Bombenhagel alle nieder. Und wieder ist Simplicius Simplicissimus, der Einfachste aller Einfachen, allein.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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