Oper:Verführung durch Schönheit

Dirigent Marco Comin und Regisseur Torsten Fischer machen fürs Gärtnerplatztheater in der Reithalle aus Henry Purcells "King Arthur" eine unendlich poetische Parabel über den Sieg der Liebe

Von Egbert Tholl

Man sieht weder Marco Comin noch das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Die Musiker sind versteckt unter dem Bühnenbild, das eine raumfüllende Schräge ist, nach hinten hoch erhaben, und unter dieser Schräge, die ein bisschen so wirkt wie der schiefe Deckel einer riesengroßen Schachtel, kann man die Musiker nur erahnen. Was heißt erahnen, man kann sie hören, ganz und gar wunderbar hören. Zum einen ist ihr Klang ganz natürlich in der Reithalle vorhanden, zum anderen wird er mittels Lautsprecher nach vorne transportiert. Doch nie hat man das Gefühl, man lausche einer Musik, die aus Boxen kommt. Mochte sich Marco Comin auch noch Sorgen gemacht haben, ob denn jedes Detail auch wirklich zu den Zuschauern durchdringe, er müsste sich einmal selber hören. Also sein Orchester selbst hören, er würde alle Bedenken aufgeben. Das, was man hört, könnte man so auch bei Spezialistenfestivals für alte Musik erleben. Der Klang ist silbrig, ganz leicht, ungeheuer leuchtend. Comin verzichtet auf die tiefsten Register, nimmt Pauken, die Purcell hier eigentlich nicht vorsah, mit hinein, ganz wohldosiert. Es entsteht eine fabelhafte Rhetorik des Klangs, gestützt vom brillanten Continuo-Trio Olga Watts, Axel Wolf, Stefan Schütz.

Hier, bei Henry Purcells "King Arthur", erhält man abermals eine Ahnung davon, dass aus dem Gärtnerplatztheater ein Hort der Barockoper werden kann, respektive könnte, denn Comin muss das Haus ja zum Ende der Saison verlassen. Vielleicht kann man ihn genau dafür behalten, nur so eine Idee, als Barockdirigent - der kommende Chef soll ja eine eierlegende dirigierende Wollmilchsau sein, Comin indes wurde immer stärker zu einem grandiosen Spezialisten, der aus dem Orchester Klänge hervorzaubert, die jenseits aller Selbstverständlichkeit liegen. Die Aufführung klingt wunderschön.

Und sie schaut gut aus. Der Dichter John Dryden und der Komponist Purcell erzählen hier ja keine Rittergeschichte, auch wenn gemordet und geopfert, getötet und verheert wird. Sie erzählen eine Geschichte von Zauberern und Geistern, von sehr viel Sehnen und Begehren, von einer anfangs blinden Dame Emmeline, die beide lieben, der König Arthur und der wilde Sachse Oswald. Und diese drei, die singen nicht, die sind Schauspieler, und Judith Rosmair, die die Emmeline spielt, ist eine bezaubernde Fee. Manchmal, da Torsten Fischer den Text bearbeitet hat, ist das Pathos ein bisschen ungeheuerlich, aber das macht nichts, denn es ist ohnehin nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen.

"King Arthur" ist eine Mixtur aus Oper, Schauspiel, Ballett, alle drei Bestandteile sind gleichberechtigt. Dem Gärtnerplatztheater gelingt diese Gleichberechtigung beispielhaft. Man kann kaum unterscheiden, wer sich da bewegt, der Chor oder die Mitglieder des Balletts. Kaum hat man diesen Gedanken, da toben die Tänzer sich aus, sie flirten mit dem Publikum, sind umwerfend sexy, da ist ein Flirren in der Luft.

Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos haben dazu sehr klare, stilisierte, aber eben auch aufregende Kostüme geschaffen und einen Raum dazu, der das Parabelhafte betont, ohne die Menschlichkeit zu vergessen. Es ist sehr viel Poesie in diesem Abend, selbst noch in der Kälte des Winters, im Licht eines fahlen Monds. Oder in der übermütigen Spielerei mit tausend weißen, kleinen Plastikbällen, die auch die gestandensten Sänger und Sängerinnen zu kleinen Kindern werden lassen.

So wundersam verzahnt sind die Mittel, dass man kaum jemanden hervorheben kann. Gut, manche der Sänger kommen mit Purcells rhythmisierter Leichtigkeit perfekt zu recht, manche nicht ganz so, aber entscheidend ist ohnehin, wie hier alles zusammenfließt. Außerdem übernehmen die meisten Sänger diverse Figuren - gerade bei den vier Sopranen kann man da schon einmal durcheinander kommen, welche schöne Frau jetzt welche Figur ist. Aber ist das exakte Verstehen jedes einzelnen Vorgangs wichtig? Zählt nicht viel mehr die Gesamtschau, die Philosophie einer letztlich utopischen, aber nie naiven Hoffnung? Man muss weder die Geschichte auseinander dröseln noch die einzelnen Mittel analysieren, stattdessen darf man sich einer dem Krieg abgetrotzten Verführung durch Schönheit hingeben.

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