Oper:Aïda - die Inszenierung einer Zumutung

Shirin Neshat -- Salzburger Festspiele 2017 -- PR Material zur aktuellen Bericherstattung.

"Bis heute drehen sich alle meine Arbeiten um ein einziges Thema: Die Gegenüberstellung von Frauen oder Individuen und religiöser Unterdrückung oder politischer Tyrannei", sagt Shirin Neshat.

(Foto: Lyle Ashton Harris Courtesy of the Artist and CRG Gallery NY)

Verdis Oper erzählt eine rassistische Geschichte über arabische Barbaren, findet die amerikanisch-iranische Künstlerin Shirin Neshat. Trotzdem inszeniert sie die Oper nun bei den Salzburger Festspielen.

Von Sonja Zekri

Shirin Neshat besitzt die Fähigkeit, Niederlagen in Siege zu verwandeln und Defizite in Vorzüge, sie schafft es, noch im Tod einen Triumph des Menschseins zu entdecken, und das alles anstrengungslos, leise und mit einer präzisen, ungeheuer freundlichen Zugewandtheit, dass sich der Gedanke aufdrängt: Könnte man diese Fähigkeit auf Flaschen ziehen und weitergeben, die Welt wäre ein lichterer Ort.

Shirin Neshat, 1957 als Arzttochter in der iranischen Stadt Qaswin geboren, reiste mit 17 Jahren nach Amerika, um Kunst zu studieren, nach der Islamischen Revolution war eine Rückkehr ausgeschlossen. Sie fotografierte, drehte Videos, dann Spielfilme. Sie hat noch nie eine Oper inszeniert. Und nun: Giuseppe Verdis "Aïda" in Salzburg, dirigiert von Riccardo Muti, in der Titelrolle Anna Netrebko. Diesen Sonntag ist Premiere.

Hört man Shirin Neshat zu, ist dieser Übergang von einer künstlerischen Sprache zur anderen kein Wagnis, kein Wahnsinn, sondern eine zwingende Entwicklung. Gewiss, sie war nervös, anfangs hielt sie den Salzburger Intendanten Markus Hinterhäuser für verrückt, der ihr "Aïda" vorschlug. Bei einem Abendessen mit Riccardo Muti zitterte sie so, dass der Dirigent sinngemäß sagte: Du bist ja völlig am Ende, du bist Aïda! Aber mittlerweile erscheint die Inszenierung einer Oper durch die Künstlerin Shirin Neshat wie die logische Erweiterung eines immer kohärenten Werkes.

Hat Musik für sie nicht stets eine Rolle gespielt? In ihrem ersten Spielfilm "Women without Men" über das Schicksal von vier Iranerinnen vor dem Putsch gegen den iranischen Premier Mohammed Mossadegh 1953 lässt der dunkel flirrende Soundtrack den magischen Realismus der Bilder noch entrückter leuchten. In ihrer Video-Installation "Turbulent", die 2001 auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde, singt ein Mann ein Lied vor einem männlichen Publikum, danach eine schwarz verschleierte Frau, voller Leidenschaft allein in der Dunkelheit. Sie seufzt, trillert, krächzt, sie erlaubt sich eine Freiheit des Ausdrucks, die nur in der Einsamkeit möglich ist. "Bis heute drehen sich alle meine Arbeiten um ein einziges Thema: die Gegenüberstellung von Frauen oder Individuen und religiöser Unterdrückung oder politischer Tyrannei", sagt Shirin Neshat.

Wer sagt, dass mit dem Tod alles vorbei ist?

Und damit, natürlich, ist man direkt bei "Aïda", Verdis Cinemascope-Drama um Liebe und Loyalität, Patriotismus und Manipulation. Aïda ist eine äthiopische - also wahrscheinlich: sudanesische - Königstochter, ist Sklavin am Hof des ägyptischen Königs. Sie liebt den ägyptischen Heerführer Radamès, um den auch die ägyptische Königstocher Amneris wirbt. Aïdas Vater zwingt seine Tochter, Radamès zum Verrat zu verführen, dieser wird entlarvt, verurteilt und lebendig eingemauert. In der Dunkelheit entdeckt er Aïda, die mit ihm in den Tod geht.

Nun könnte man diese Szene durchaus als Zerstörung aller Menschlichkeit durch ein verbrecherisches System sehen. Aber nicht Shirin Neshat: "Die beiden sind nicht besiegt, sie haben eine Wahl getroffen." Die Szene sei eine "Allegorie auf das Überleben", auf die ewige Kraft menschlichen Widerstandsgeistes im Angesicht der Despotie: "Es ist ein wunderschöner Schluss."

Und dann: Wer sagt, dass mit dem Tod alles vorbei ist? "In der mystischen iranischen Lyrik und Literatur ist Sterben nicht das Ende von allem." Vielleicht fantasiere Radamès Aïda in seinem Kerker herbei, vielleicht imaginieren beide ein Leben nach dem Tod.

Siege oder Triumphe im operativen, männlichen Sinne haben Shirin Neshat nie interessiert. Ihre Frauen gewinnen auf andere Weise. Man hat sie Irans "erste Feministin" genannt, aber das tut nicht nur den Frauen Irans unrecht, sondern auch einer Künstlerin, die aus der Unberechenbarkeit ihre Wirkung bezieht. Shirin Neshat schafft oft starke, vermeintlich plakative Bilder, deren Deutung aber umso komplexer wird, je länger man sie betrachtet.

Die ferne Heimat Iran war Shirin Neshats offene Wunde

Berühmt wurde sie in den Neunzigern mit ihren "Women of Allah", den Frauen Gottes: schwarz Verschleierte, die Körper mit iranischer Lyrik beschrieben, in den Händen Pistolen, die direkt auf den Betrachter zielen. Es war eine Reaktion auf den Schock ihrer ersten Iranreise nach der Islamischen Revolution. Iran und Islam blieben ihr Thema im Leben und in der Kunst, die ferne Heimat war ihre offene Wunde, und in gewisser Hinsicht hat Aïda sie wieder aufgerissen: Wie die Königstochter wurde sie gewaltsam von ihrem Land und ihrer Familie getrennt, kennt Heimweh, Ohnmacht, den Schmerz und den Zauber der Erinnerungen. Aïda, sagt Neshat, ist eine Überlebende, so wie ich.

Aber ihre Liebe zu dem Soldaten des Feindeslandes zeigt, dass sie sich gegen die neue, aufgezwungene Heimat nicht mehr auflehnt, dass sie alle Phasen von Wut, Hoffnung und Loslassen durchlebt und nun ihren Frieden mit einer Situation gemacht hat, die sich nicht lösen lässt.

Shirin Neshat gebraucht oft Formulierungen wie "ich als iranische Frau" oder "in unserer Kultur", womit sie nie Amerika, sondern immer den Nahen Osten, die islamische Welt, oft auch nur Iran meint. Diese Selbststilisierung als Entwurzelte, als Repräsentantin einer Kultur, zu der sie seit Jahrzehnten nur begrenzt und vor allem über soziale Medien Zugang hat, hätte etwas Anmaßendes, wenn es nicht so verloren klänge. Mag sein, dass die Bindung zu ihrer alten Heimat manchmal mehr behauptet als gelebt ist, aber auch das wäre nur eine Konsequenz des Exils, wer wollte ihr das vorwerfen?

"Wir haben uns von den Fundamentalisten im Islam, im Christentum und im Judentum inspirieren lassen. Interessanterweise sehen sie alle ähnlich aus."

Der künstlerische Gewinn dieses Schicksal liegt darin, dass Shirin Neshat zwar von der verlorenen nahöstlichen Welt und seinen sinnlichen Frauen ein gelegentlich etwas idealisiertes Bild zeichnet, aber die Vorurteile ihres westlichen Publikums immerhin gut genug kennt, um es zu irritieren, aber nicht zu überfordern. Und genau so hat sie sich auch einer Oper genähert, die sie für eine Zumutung, für orientalisierend, ja, "rassistisch" hält, jedenfalls - da ist es wieder - nach den Maßstäben "in meinem Teil der Welt".

Verdis Auftraggeber, der osmanische Vizekönig in Ägypten, Ismail Pascha, verschleuderte bei der prunkvollen Modernisierung Ägyptens die Reichtümer des Landes - auch Verdi kassierte ein für einen Komponisten nie dagewesenes Vermögen von 150 000 Goldmark -, ließ Kairo zum neuen Paris ausbauen und stieß das Land in einen Abgrund aus Schulden, aus dem es sich lange nicht erholte.

Gewiss, der Entwurf der Oper stammte von dem französischen Archäologen Auguste Mariette, der Jahre am Nil gegraben hatte und das Land bestens kannte. Gewiss, Verdi wollte im ägyptischen Gewand wie oft zuvor Unterdrückung und Intoleranz kritisieren. Nur wirken das ägyptische Gewand, die ägyptischen Trompeten und Tempel längst völlig unpassend, so Neshat: Im Kern sei es doch wieder eine westliche Geschichte über arabische Barbaren, die ihre Nachbarn quälen und sich dann mit einem bis zur Unspielbarkeit bekannten Marsch feiern: "Verdi schuf eine Oper, um Europäer zu zerstreuen", sagt sie: "Das ist mein größtes Problem: dass ,Aïda' so gute Unterhaltung ist."

Nun ist Shirin Neshat nicht die erste Regisseurin, die die martialischen Aspekte der Oper zu neutralisieren versucht. Ägypter im Rock vor Tempelsäulen zu Trompetengeschmetter lässt kaum noch eine Oper auftreten. Aber sie wäre nicht die effektsichere Künstlerin, die sie ist, wenn sie das Cinemascope-Potenzial des Stücks ignorieren würde. Und so dreht sie die geografische und historische Perspektive von Siegern und Besiegten, Tätern und Opfern einfach um. Der ägyptische König, der Pharao, wird bei ihr zum Europäer oder zumindest zum Vertreter einer europäisierten Monarchie. Die kriegsgefangenen Äthiopier sind Flüchtlinge, dargestellt von realen syrischen, irakischen oder anderen afrikanischen Flüchtlingen. "Mir geht es darum, dass die westliche Kultur nicht-westliche Kulturen oft als unterlegen, als wild darstellt, ohne ihre Geschichte wirklich zu kennen, während sie ihre eigene Geschichte der Barbarei als korrekt oder zumindest überlegen präsentiert."

Deshalb habe sie mit der Kostümbildnerin Tatyana van Walsum die antiken Priester, die schon bei Verdi schlecht wegkommen, in überkonfessionelle "Fanatiker" verwandelt: "Wir haben uns von den Fundamentalisten im Islam, im Christentum und im Judentum inspirieren lassen. Interessanterweise sehen sie alle ähnlich aus: Sie haben alle lange Mäntel, schwarze Bärte und irgendwas auf dem Kopf." Für den Auftritt der Fanatiker hat sie eine ihrer drei "kinematografischen Interventionen" gedreht, Videos, die in Wien in Zusammenarbeit mit dem Kameramann Martin Gschlacht entstanden sind.

Sie wolle die menschlichen Verheerungen des Krieges zeigen, deshalb habe sie mit dem Bühnenbildner Christian Schmidt für die heikle Triumph-Szene eine rotierende Bühne gebaut: vorne die siegreichen Truppen des Königs, hinten die Kriegsgefangenen, dazwischen bewegen sich die Tänzer, die bei ihr übernatürliche Wesen, "Geister" werden. Es dürfte spannend sein, wie viel von ihrem Regiekonzept Shirin Neshat in Bewegung umsetzt, wie viel starre postkoloniale Programmatik bleibt. Sie selbst ist jetzt schon auf ihre Kosten gekommen, der künstlerische Prozess, die Erfahrung, das sei ihr doch viel wichtiger als die Frage, "ob ich eine Eins kriege oder eine Zwei."

Im Herbst kommt ihr Spielfilm über die ägyptische Diva Umm Kulthum heraus, für Shirin Neshat "die größte Künstlerin des Nahen Ostens", die unabhängig lebte, in der männerdominierten Welt der Vierziger- und Fünfzigerjahre ihre eigenen Regeln schuf und, so sieht sie das, im Unterschied zu manchen westlichen Künstlerinnen dieses Ranges, "nicht tragisch endete". Dem Westen beizubringen, dass sein Bild des Nahen Ostens falsch ist, diese Mission ist noch lange nicht erfüllt.

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