Oper:Parabel statt Sexschocker

Oper: Salome (A. Stundyte) trifft Oscar Wilde (C. Natter).

Salome (A. Stundyte) trifft Oscar Wilde (C. Natter).

(Foto: Monika Rittershaus)

Hans Neuenfels sorgte einst mit den abgeschlagenen Köpfen der Religionsstifter Jesus, Mohamed und Buddha für Furore. Jetzt inszenierte er in Berlin die "Salome" von Richard Strauss.

Von Wolfgang Schreiber

Mit drei abgeschlagenen Köpfen konnte Regisseur Hans Neuenfels vor vielen Jahren noch bundesweit Ärger erregen: An Berlins Deutscher Oper verpasste er Mozarts Sturm-und-Drang-Stück "Idomeneo" am Ende, als Fazit der abgewirtschafteten antiken Götter, gleich auch die geköpften Religionsstifter Jesus, Mohamed und Buddha, die Verursacher des welthistorischen Schuldenbergs der Religionen. Publikum, Politiker und Medien tobten, das Opernhaus setzte die Aufführung ab.

Jetzt, bei der Inszenierung der "Salome" (1905) von Richard Strauss, die derselbe Hans Neuenfels an der Berliner Staatsoper anrichtete, muss niemand mehr Protest anmelden. Aus dem einen blutigen Haupt des Propheten Jochanaan, das die Prinzessin Salome am Ende rasend einfordert, ist eine aus der Bühnentiefe hereinfahrende Palette mit säuberlich aufgereihten 42 Keramikköpfen geworden, von denen Salome dann einen einzigen zerschmettert. Der Horror bleibt szenisch aus, er spielt sich nur in der expressionistisch ungeheuerlich schrillen Musik des Richard Strauss ab.

Neuenfels und Bühnenbildner Reinhard von der Thannen, die die grausige Ge-schichte in einem leeren, schwarzen Art-déco-Raum der Zwanziger ansiedeln, zelebrieren nicht den realistischen Sexual-schocker, sondern nur kühl eine Parabel. Und erklären im gedruckten Produktions-gespräch, welche Folgen die intellektuelle Zuspitzung für die Aufführung hat. So tritt Oscar Wilde, der Dichter der "Salome", stumm auf die Bühne, als homosexueller, Liebe und Tod in sich vereinender Mann, "der sich mit der Radikalität der Salome identifiziert". So verweigert Neuenfels neben dem Kopf des Jochanaan auch die Glanznummer, den lasziven "Tanz der sieben Schleier" der blutjungen Dämonin Salome. Sie feiert ihn als Totentanz mit ihrem stummen Todesdichter. Neuenfels' Altersstil schafft desillusionierende Distanz - keine Provokation nach außen, vielmehr Interpretation mit Schärfe und ein paar ironischen Seitenhieben im Inneren.

Das kunstvoll Assoziierte wird so artifiziell zugerichtet wie die perfekt autistische, in Hosenanzugschwärze gefangene Salome der phänomenal durchdringenden Ausrine Stundyte. Der Jochanaan des Thomas J. Mayer, in bizarrer Phallus-Raumkapsel eingekerkert, ähnelt dem Schmerzensmann Amfortas, Herodes Gerhard Siegel und Herodias Marina Prudenskaya gebärden sich stimmgewaltig in drastisch ausgeklügelter Körpersprache, Nikolai Schukoff züngelt wie Wagners Loge.

Der 88-jährige Senior Christoph von Dohnanyi wollte "Salome" dirigieren, er zog sich zuletzt wegen "künstlerischer Differenzen" mit Neuenfels zurück. Ans Pult trat der 24 Jahre alte Thomas Guggeis, Assistent Daniel Barenboims, der die Proben begleitet hatte. Er formte die expressionistisch rauen Klangflächen und -säulen der Partitur mit staunenswertem Gefühl für Tempi, mit unverbrauchter Kraft für die exzessiven Klangbögen und Steigerungen und den lyrischen Sog. Aus dem Talent wird demnächst ein Stuttgarter Opernkapellmeister.

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