Oper: "Macbeth" und die CSU:Dieser Schatten fordert Blut

Donnerschlag in der CSU, Donnerschlag in der Münchner Oper: Sie wurde vom Neu-Intendanten Bachler mit Verdis "Macbeth" geweckt. Es wird gemordet wie bei Stoiber.

Martin Kotynek und Hans-Jürgen Jakobs

"Oh, welcher Hochmut erfüllt ihn in der Hoffnung auf einen Königsthron". Als leibhaftige CSU-Größe und Kandidat für das Ministerpräsidentenamt hat man es in diesen Tagen des großen christsozialen Meuchelns nicht leicht, einer Oper wie "Macbeth" beizuwohnen. Viele Zeilen, die von Blut und Morden und Machtrausch handeln, können überhaupt nicht missverstanden werden.

Szene aus dem Münchner "Macbeth

Szene aus dem Münchner "Macbeth"

(Foto: Foto: Bayerische Staatsoper/oh)

"Du verlangst nach Größe, aber wirst du auch böse sein": Es sei gut gewesen, dass der eingeblendete Liedtext anfangs nicht zu lesen war, witzelte Bayerns Wissenschaftsminister und Macht-Aspirant Thomas Goppel bei der Münchner Premiere der Verdi-Oper.

Dass die Mecherstechereien auf der Bühne frappierend an die derzeitige Lage seiner Partei erinnern, kann der CSU-Politiker bestätigen - und hofft, dass beim anstehenden Kampf um die Regierungsspitze sein kleiner Panzer helfen werde. Die "Macbeth"-Aufführung unter Regisseur Martin Kusej selbst fand der Konservative allerdings "gewöhnungsbedürftig".

Trümmer einer verkrusteten Aufführungspraxis

In Wahrheit war diese fulminante Premiere am Donnerstag im Münchner Nationaltheater ein Donnerschlag. Vergleichbar mit der Abwahl der CSU als absolute Bayernmacht am vorigen Sonntag und der Entzauberung einer Parteiclique als Usurpatoren des Gemeinwesens. Mit einem Mal ist die gute alte Oper, die in München stets ein wenig von einer Schicht Lodenkleidern gewärmt war, aus ihrem langen Schlaf gerissen.

Zerschmettert wie die CSU liegen sie da, die Trümmer einer verkrusteten Aufführungspraxis, die die Oper eingelullt hat: die Sänger mit ihren immer gleichen, verkrampften Mienen und großen Gesten; ihre starren Blicke, immerzu auf den Dirigenten gerichtet; die Regisseure, die ihre Stücke nicht in die Gegenwart bringen können. Der neue Intendant Nikolaus Bachler und Regisseur Kusej haben auf einen Streich all das niedergestreckt, was die Oper beinahe eingeschläfert hat. "Wer schläft, stirbt", so das Motto dieser Inszenierung.

"Nun kriecht der Mörder wie ein Gespenst durch die Schatten": Sie schlafen derzeit sehr unruhig, die Mächtigen in München. Denn einer ist ausgezogen, um zu rächen und andere sind aufgestanden, um zuzuschlagen - doch es könnte sie erwischen wie Branquo.

Es ist ein Säbeln und Stechen, auf dass die Hexen säuseln und Geister urinieren wie im Münchner "Macbeth" - wie soll es anders sein, wenn ein "Mephisto aus Wolfratshausen" hinter dem Vorhang steht.

Wenn Kinder zu Greisen werden

Ein Ministerpräsident, ein Parteichef, eine Generalsekretärin sind schon auf der politischen Bühne zum Opfer gefallen, und wahrscheinlich sind bald die nächsten Verlierer zu beklagen. Die nackten Toten ließ Regisseur Kusej wie Schlachtvieh unter der Theaterdecke aufhängen. Auch das erinnerte an Karrieren in der verderbten CSU.

"Dieser Schatten fordert Blut von mir, und er wird es bekommen, das schwöre ich dir!" Teuflisch ist auch sie, die blinde Zerstörungswut des Macbeth, in die Irre geleitet von Weissagungen, die er selbst erfüllt, gelockt von Lady Macbeth, die ihre eigenen Vorstellungen von einem Mannsbild hat. Auch im Opernhaus gilt: Wer schläft, stirbt.

Aus Machtstreben mordet sich der Mann auf den schottischen Thron - und mordet als König weiter, um auf ihm sitzen bleiben zu können. Lady Macbeth turnt auf dem Kronleuchter, Kinder werden zu Greisen. Das Volk leidet und rebelliert. Das meint Neu-Intendant Bachler wohl, wenn er im Interview mit sueddeutsche.de den Anspruch betont, die Oper müsse der Gesellschaft vorangehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie das Publikum den "Macbeth" aufgenommen hat - und wer Kunstminister Goppel überzeugte, sich für Becksteins Nachfolge zu bewerben.

Dieser Schatten fordert Blut

Thematisch kommt dieser "Macbeth" in München also genau zur richtigen Zeit. Auch die Inszenierung ist wegweisend: Jede Opernaufführung muss sich von nun an an diesem "Macbeth" messen.

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Holte Nikolaus Bachler (re.) von der Wiener "Burg" nach München: Bayerns Kultur- und Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU). Diese Aufnahme entstand bei der Vorstellung Bachlers im Jahre 2005

(Foto: Foto: ddp)

Erstens sollte sie - neben einem perfekt aufspielendem Orchester - erstklassige Sängerinnen wie Nadja Michael und Sänger wie Zeljko Lucic und Dimitri Pittas haben (Stars sind nicht vonnöten, sagt Intendant Bachler), also Frontkräfte, die nicht nur musizieren, sondern auch schauspielern können.

Die Magie dieser Oper entsteht, weil die Sänger-Schauspieler tatsächlich zusammenspielen können: Sie schauen einander an und sehen sich, sie nehmen einander wahr. Sie lassen sich auf den anderen ein. Und zweitens muss eine Opernaufführung einen Regisseur haben, der intellektuell auf das Niveau des Stückes kommen und es ins Jetzt umdeuten kann.

Verstörende Bilder

Im Regietheater der vergangenen Jahre haben das immer wieder Protagonisten versucht, doch nur wenige sind dabei dem Werk auch treu geblieben. Kein Wunder, dass das Regietheater so unbeliebt ist. Bisher hat es kaum jemand überzeugend geschafft, den "Macbeth"-Autor Shakespeare so gut zu verstehen wie Martin Kusej.

Hier ein moderner Einfall, dort ein Gag - das ist zu wenig. Kusej entwickelt das Stück konsequent mit einem solch untrügerischen Gespür weiter, dass seine ungewöhnlichen, provokanten, teils verstörenden Bilder und seine doch gewichtigen Eingriffe in das Werk - Macbeth mordet auf einem riesigen Haufen aus Totenschädeln, geht über Leichen - nie unangenehm auffallen, weil sie sich unmittelbar aus der Aussage des Werkes heraus verstehen lassen.

Hinzu kommt beim Münchner "Macbeth" das hervorragende Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Nicola Luisotti, das die Bilder auf der Bühne und die Gefühle der Sänger optimal verstärkt.

Das ist es, was die Oper dem Sprechtheater voraus hat: Die Musik, die - viel eher noch als die Sprache - ohne Umweg über den Verstand direkt in die Herzen der Zuschauer dringt und das Publikum berühren vermag.

Minutenlanger, heftiger Applaus für den Weckruf der neuen Opern-Ära unter Nikolaus Bachler, vor allem für die singenden Hauptpersonen. Aber auch laute Buh-Rufe für den Regisseur Kusej und seine gewaltigen Bilder, für die Aufmärsche der Soldateska und der halbnackten Frauen.

Einige werden vom Skandal sprechen, auch wenn das Leben keinen Deut besser ist als Shakespeares Schottland. Immerhin schwebt der delirierende Macbeth in einer Szene einen Meter hoch über den Boden, so abgehoben, wie die CSU einmal war.

"Der Feind soll all sein Blut an uns verlieren": Man muss über Leichen gehen, um Erfolg zu haben, glauben sie in der Politik. Nach der "Macbeth"-Pause könne man sich auf einige Überraschungen gefasst machen, warnte CSU-Kunstminister Goppel, der Mann, der bald selbst auf dem Thron sitzen will, den schon sein Vater inne hatte.

Goppel sagt, er bereue es nach der Premiere nicht, Bachler in die Intendanz geholt zu haben. Dann lacht der Minister und sagt scherzhaft, seine Frau habe ihn aufgemuntert, im Kampf um die Ministerpräsidentschaft den Hut in den Ring zu werfen. Humor hat er.

In den nächsten Tagen geht das Gemetzel in der bayerischen Großpartei noch ein wenig weiter: Der König ist tot, es lebe der König, doch vorher muss noch ein wenig Blut spritzen. "Der neu aufgehende Tag wird Euch Frieden und Ruhm bringen" - vielleicht schickt Kunstminister Goppel seine von Politik besessenen Kollegen einfach einmal für einen Abend ins Theater.

Sie könnten sich selbst sehen - und mehr.

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