Oper:Im Sumpf der Engstirnigkeit

Bellinis Oper "Die Puritaner" darf in Stuttgart bei Jossi Wieler und Sergio Morabito ausschwingen, auch dank der hinreißenden Sängerin Ana Durlovski.

Von Reinhard J. Brembeck

Die Frömmler sind überall. Mühsam stemmen sie ihre bedrohlich schwarzen Gebetsbücher in die Höhe, kaum, dass sie beim Über-die-Bühne-Schlurfen ihre verkrümmten Körper auch nur halbwegs aufrecht halten können. Das Bühnenambiente dazu ist passend scheußlich. Anna Viebrock hat eine heruntergekommene, bildergestürmte Kirche hingestellt, die oben von einem riesigen rostigen Stahlträger durchstochen wird - Symbol der verpassten Moderne. Denn genau die wird gehasst und gefürchtet von den schwarzgewandeten Lustfeindmolochen. So ist es ein Leichtes, Jossi Wielers und Sergio Morabitos oft mit Ironie aufgeladene Inszenierung von Vincenzo Bellinis letzter Oper "Die Puritaner" nicht nur als Historienbild aus Großbritanniens rigid lustfeindlicher Cromwell-Zeit zu lesen, sondern auch als Kommentar zu Donald Trumps Rambo-Sprüchen oder gar zur Politik des IS.

Tänzchen, mutwilliges Geträllere und kindliche Lust am Tand - klingt nicht gerade revolutionär

Doch der Shitstorm der Wohlanständigkeit hat an Stuttgarts Opernhaus nicht alle erfasst. Die eine große Ausnahme ist die Elvira der hinreißenden Ana Durlovski. Elvira leidet besonders unter der Engstirnigkeit der Puritaner und rebelliert dagegen mit der Naivität eines Landmädchens: durch Tänzchen, mutwilliges Geträllere und kindliche Lust am Tand. Das sind nicht gerade die klassischen Werkzeuge erfolgreicher Revolutionäre, aber Elvira scheint sowieso von Anfang an etwas wirr im Kopf zu sein. Sie träumt, und das wohl schon seit Jahren, von einem romantischen Lover, der sie in der Manier der "Drei Musketiere" kurzerhand aus dem Sumpf der Engstirnigkeit retten wird.

Und wie jeder Traum in einer Oper wird auch dieser Bühnenwirklichkeit. Endlich kommt der ersehnte Arturo mit Riesenfederhut und im geschweift roten d'Artagnan-Kostüm, ein Latin-Lover-Macho wie ihn sich selbst die übelsten Nachkriegskinoschnulzen nicht perfekter hätten ausdenken können. Und diese Knallcharge darf dann gleich beim Erscheinen mit "A te, o cara" die genialste und verführerischste Nummer dieser Oper anstimmen! Edgardo Rocha schießt die aberwitzigen Hochtöne dieser wahnwitzig schweren Tenorpartien mit größtem Selbstbewusstsein ab, mit einer gleißenden Stimme, die alle Widerstände niederwirft.

Ana Durlovski und Edgardo Rocha geben in Stuttgart ein Traumliebespaar, das sich vier Stunden lang ganz konsequent verfehlen wird. Arturo scheitert, weil er die Brutalität des puritanischen Kollektivs unterschätzt. Zuletzt wird der von der Realität gebeutelte und durch die Dummheit der Puritaner im Wortsinn geblendete Arturo ins Gemeinwesen eingemeindet.

Ana Durlovski dagegen gibt völlig gelöst und ausnehmend verspielt die Elvira. Diese Meistersängerin hat es nicht nötig, den technischen Aberwitz ihrer Koloraturen auszustellen. Immer nutzt sie die Technik, um diese nie in der öden Wirklichkeit angekommene Frau zu charakterisieren, ihren Charakter in immer neuen Nuancen zu vertiefen. Dazu passt bestens das leicht verschattete und abgedunkelte Timbre von Durlovskis hohem Sopran, das die Brillanz der Passagen und Gruppetti humanisiert.

Dazu passt aber auch Bellinis traumwandelnde Musik, die ja nie im viel handfesteren musikalischen Opernalltag seiner Kollegen angekommen ist. Dieser Komponist liebt getragene Tempi und Melodien, die unendlicher noch ausschwingen als bei Schubert. Gespielt wird in Stuttgart erstmals wieder all das, was Bellini für die Pariser Uraufführung 1835 komponiert hat, und Dirigent Giuliano Carella begegnet der Partitur zupackend zügig, aber ohne allzu große Klangraffinesse. Auch die kompositorische Logik der Großformen wird nicht immer deutlich, vor allem das riesige Liebesduett im Finalakt leidet darunter.

Das Publikum schätzt den Ensemblegeist, der sich fernhält von kalter Professionalität

Elviras vergnügt schnatterndes und letztlich auch deshalb so populäres "Son vergin vezzosa", das wie die besten Nummern dieser Oper keine Arie, sondern ein Ensemblesatz ist, scheint erst so gar nicht zu Bellinis Träumereien zu passen. Aber gerade durch dessen leichtgängige Virtuosität, die Ana Durlovski in eine hinreißende Kindlichkeit transportiert, wird der Reißer zur entscheidenden Zäsur des Dramas. Damit singt sich Elvira endgültig aus der lädierten Wirklichkeit heraus und in ihren lichten Wahn hinein.

Zuletzt wird sie sich wie Henrik Ibsens Nora erst in ihr Puppenhaus verkriechen und dann als belächelter Dorftrottel enden, einsamer noch als Schuberts Leierkastenmann. Wieler & Morabito beweisen so, dass das gern als läppisch abgetane "Puritaner"-Libretto dramaturgisch und psychologisch stimmig auf Augenhöhe mit der zeitgleich in den Künsten formulierten Gesellschaftskritik ist, wie sie sich bei Leopardi oder Nerval findet.

Es ist schon verblüffend, weil ziemlich ungewöhnlich, mit welcher Hingabe die Stuttgarter Operngänger nicht nur einzelne Sänger, sondern ihr Haus als Gesamtkunstwerk lieben. Anders kann man den überschäumend warmen Beifall gar nicht (miss)verstehen. Das Publikum schätzt den in diesem Ausmaß nur selten erlebbaren Ensemblegeist, der sich fernhält von kalter Professionalität und jedem Egoshootertum. Unübersehbar liegt der Grund dafür in einer mittlerweile altmodisch gewordenen Fundierung des Theatergeschäfts in dramaturgischen Überlegungen, die dann mindestens von einem Großteil der Mitwirkenden realisiert werden. Das bringt eine handwerkliche Note in die Opernmacherei zurück, die in ihrer Anfangsphase ja ein rein intellektuelles Experiment war, das sich dann aber schnell auch als gesellschaftlicher Protz-Event etablierte. Solche letztlich unauflöslichen Widersprüche - dazu gehört auch der zwischen Szene, Text und Musik - prägen die Oper bis heute, sie halten diese Kunstform am Leben.

Der Stuttgarter Beifall prasselt also auf alle gleicherweise nieder, natürlich besonders intensiv auf Ana Durlovski, dann auf Edgardo Rocha, auf Diana Haller als unverstellt direkte Königin und auf Gezim Myshketa, der sich als von Elvira abgewiesener Liebhaber mit der Axt in der Hand den destruktiven Machenschaften der Puritaner ergibt. Ganz besonders gefeiert wird aber Adam Palka, der mit agilem und mächtigem Bass den äußerst jungen Onkel Elviras hinstellt. Wieler & Morabito porträtieren sich da selbst, ist dieser Giorgio doch ein Intellektueller, der lange glaubt, dass er den kunstfeindlichen Fanatismus der Puritaner umlenken kann. Er muss scheitern, und Adam Palka zeigt, wie bitter und demütigend das ist.

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