Oper:Endlich emanzipiert

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Eigentlich ist Werther die Hauptrolle in Jules Massenets gleichnamiger Oper, und Juan Diego Flórez ist der Star. Dann aber triumphiert Anna Stéphany in Zürich.

Von Egbert Tholl

Wetzlar, Weihnachten. Die Musik kündet von Unruhe, von Sehnsucht, und die Musik zerrt an dem Menschen, der allein auf der Bühne steht. Es ist Charlotte, neben ihr ein kahler, kleiner Christbaum, um sie herum ein paar Schachteln. Charlotte ist verzweifelt und zornig, sie trampelt auf den Schachteln herum, ein paar Christbaumkugeln kullern heraus, zerbrechen.

Tatjana Gürbaca inszeniert Jules Massenets Goethe-Bearbeitung "Werther" am Opernhaus Zürich mit unmissverständlicher Klarheit und Präzision. Sie hört genau auf die Musik, achtet auf jede Stimmungsschwankung. Und Dirigent Cornelius Meister erleichtert ihr die Arbeit enorm. Meister, geboren 1980 in Hannover, war der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands, als er diese Stelle 2005 in Heidelberg antrat. Derzeit leitet er das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien und wird 2018 der Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart. Er ist ein sehr freundlicher, akkurater junger Mann, der sich nicht in genialischen Attitüden verliert - und dennoch Karriere macht. Oder gerade deshalb.

Meister ist vertraut mit der harten Akustik des Züricher Opernhauses und scheut sie nicht. Schon das Vorspiel zum ersten Akt gestaltet er als dunkles, aufregendes Gewühl. In der Folge wird Meister auf jede Gelegenheit lauern, die Philharmonia Zürich gewaltig auftrumpfen zu lassen, ohne die Sänger zu stören. Man könnte ihm vorwerfen, sehr französisch sei sein Dirigat nicht. Aber er hat Gespür fürs Lyrische, wenn es Massenet fein zeichnet.

Zudem singt Juan Diego Flórez den Werther, ein strahlender Beau und Tenor-Star, der zwar mit fabelhafter Poesie im Leisen prunken kann, noch lieber aber sein enormes Stimmmaterial so ostentativ präsentiert, dass es an den Rändern des Extremen ausfranst. Dieser Werther ist verliebt ins Verliebtsein, ins eigene Raffinement.

Werther (Juan Diego Flórez), unterstützt vom Kinderchor. (Foto: Herwig Prammer)

Massenet verfolgt eine geradlinige Dramaturgie des musikalischen Materials. Es gibt die unbedarfte, leicht polternde Sphäre im Hause von Charlottes Vater. In diese Welt kommt Werther mit nervöser Chromatik, mit schillernder, uneindeutiger Musik. Wehrt sich Charlotte zwei Akte lang gegen die Liebe zu Werther, so ist es damit im dritten vorbei. Sie wird Teil von Werthers Klangwelt, sie verlässt die diatonisch wohlgefügte Ordnung. Und Cornelius Meister malt mit Lust diese beiden verschiedenen Welten aus, hier das Wohlgefallen an beruhigender Simplizität, dort zeigt er flirrende, auch manchmal pastose Farben.

Mithin erzählt die Musik alles, was Gürbaca auf der Bühne nur noch beleben muss. Klaus Grünberg stellt ihr den engen und noch enger werdenden Kasten hin, dessen zentrierter Fluchtpunkt irgendwo hinter dem Geschehen liegt. Es ist auch ein Bühnenbild, das sehr freundlich zu den Sängern ist. Die naive Heiterkeit ist durchaus echt, sonst würde sie Werther auch nicht faszinieren können. Der stellt sich brav in die Reihe, wenn Charlotte das Brot an die Kleinen verteilt, als wären die Scheiben Hostien. Überhaupt wabert oft ein religiöses Aroma durch den Raum, vor allem bei Werthers hysterischer Selbststilisierung zum einzig Liebenden auf der Welt. Liebe ist stets auch anarchistisch, egoistisch, solipsistisch.

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Gürbaca lässt Werther von außen in Charlottes enge Welt trudeln, friert diese manchmal ein. Er schaut sich dann das Tableau der Figuren an wie Offenbachs Hoffmann, der seine eigenen Geschichten besucht. Lernen tut er daraus nicht viel. Er begehrt einfach und lässt sich kaum in seiner Selbststilisierung beirren. Auch wenn er von einer Alternative zu dem kündet, was Gürbaca da auf die Bühne stellt. Und zwar richtig gut zu Beginn des zweiten Akts. Da wird die goldene Hochzeit des Pfarrers gefeiert, und steinalte Menschen sitzen genau so herum wie im ersten Akt die kleinen Geschwister Charlottes.

Charlotte leidet nicht in dieser Welt, aber sie muss raus. Die Frauwerdung der Figur spielt Anna Stéphany in ihrem Rollendebüt sensationell gut. Auch stimmlich reift sie während der Aufführung; anfangs ist sie verhalten, dann fasst sie Zutrauen und bohrt sich dunkel in die herrlichen Abgründe tiefer Gefühle. Sie reißt die Aufführung an sich, die als "Werther" beginnt und als "Charlotte" endet. Was ja auch eine Emanzipation ist.

© SZ vom 07.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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