Oper:Die Sache mit der Ohrfeige

Nimm das! Jossi Wieler inszeniert in Stuttgart Donizettis "Don Pasquale" mit sanften Gegenwartsbezügen. Ein Publikumserfolg.

Von Helmut Mauró

Allmählich gewöhnt man sich daran. Alter Mann grapscht nach junger Frau, diese rächt sich mit der Vernichtung des Alten. Aber die routinierte Wahrnehmung tötet auch den Witz, mit dem dieses Phänomen in früheren Jahrhunderten aufgearbeitet wurde. Ein gutartiger und dennoch scharfer Witz, der auf unterhaltsame Weise Erkenntnis bringt. Man findet ihn, was die Geschichte von der Selbstüberschätzung des einen und die Bosheit der anderen betrifft, bei Aristophanes genauso wie in der volkstümlichen Commedia dell'arte.

In dieser Tradition steht im Grunde auch die Oper "Don Pasquale" des herausragenden Belcanto-Komponisten Gaetano Donizetti, der wusste, was er seinem Ruf schuldig ist. Und genau dies ist auch ein bisschen das Problem bei der Neuproduktion dieses Stückes an der Oper Stuttgart unter der musikalischen Leitung von Giuliano Carella. Im Vordergrund stehen die musikalischen Glanznummern, überzeugend vorgetragen von Enzo Capuano in der Titelrolle und Ana Durlovski als junge Ehefrau Norina, auf die der junge Ernesto, ebenso virtuos gesungen von Ioan Hotea, ein Auge geworfen hat.

Hormongesteuerter alter Mann versus materialistisch konditionierte junge Frau

Ernesto ist der Sohn des verkuppelnden Doktors Malatesta (André Morsch). In der Oper ist es immer der Priester oder der Doktor, der verkuppelt. Sie kennen die intimsten Geheimnisse ihrer Mitmenschen und verfügen über die hochmütige Skrupellosigkeit, dieses Wissen in Macht umzumünzen. Der Regisseur Jossi Wieler ist aber nicht der Mann, den solcherlei Problematik anficht. Ihm geht es darum, und da kann er sich mit dem Komponisten einig fühlen, den virtuosen Gesang des Belcanto, nach dem gleich die ganze Epoche benannt ist, in den Mittelpunkt zu stellen und in ein passgenaues Handlungskorsett zu stecken. Dabei gilt es, die schablonenhaften Vorgaben - hormongesteuerter alter Mann und materialistisch konditionierte junge Frau - sanft in die Gegenwart zu überführen. Dazu reichen zwei bewegliche, halbrunde Gittergestelle, die ebenso unwichtige Räumlichkeiten bedeuten, und zeitgemäße Outfits - Jeans, Hoody, Kopfhörer, Handy und so Sachen. Nichts spektakulär Bildhaftes jedenfalls, nichts, das vom Belcanto ablenken könnte. Wäre da nicht die Sache mit der Ohrfeige.

In der derben Commedia ist so eine schiaffo keine große Sache, eher ein dramatischer Akzent, den man genauso gut auf der sprachlichen Ebene ansiedeln könnte: als Hinweis, dass das Gesagte ernst gemeint ist oder dass man für den Ernst der Sache keine Worte hat. Neun Standardbegriffe hat das Italienische dafür parat. In der Oper, selbst in einem dramma buffa wie dem "Don Pasquale", ist eine Ohrfeige im Grunde eine Beleidigung des Genres, weniger des Empfängers derselben. Man zeigt das eigentlich nicht real, man lässt als Komponist im Orchester ein Geräusch oder als Regisseur ein Gewitter aufziehen. Aber Donizetti wollte es hier derb, und auch die Vorgeschichte lässt keine Wünsche offen. Pasquale nennt seine Norina eine "civettella", also eine selbstgefällige, eitle Eule. Und sie - "Nimm das!" - knallt ihm eine. Er nimmt's. "É finita, Don Pasquale", spricht er zu sich selbst mit dem nötigen Ernst und nur ein bisschen Selbstmitleid.

Norina kann nun ihren Ernesto heiraten, eine Lebensrente presst sie dem Alten auch noch ab. Besser konnte es nicht laufen. Das Stuttgarter Publikum ist zufrieden, der Applaus vielleicht ein bisschen zu überschwänglich.

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