Oper:Da ächzt der Muskelprotz

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Es knarzt im Golden Motel: Das Ensemble im "Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen. (Foto: Enrico Nawrath/dpa)

Vor dem Zusammenbruch: Letzte Saison von Castorfs "Rheingold" in Bayreuth

Von Florian Zinnecker, Bayreuth

Die Drehbühne ächzt hörbar unter dem Gewicht der Ideen, die sie in Bewegung halten muss: das Golden Motel mit Tankstelle und Pool, das Mercedes-Cabrio, der silberne, zur Ikone der Inszenierung gewordenen Trailer. Die Scheibe ist nicht das einzige, das bei der Wiederaufnahme von Castorfs "Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen knarzt und kracht.

Von Anfang an haftete dem "Ring des Nibelungen", den Frank Castorf mit dem dafür hochdekorierten Bühnenbildner Aleksandar Denic und der Ausstatterin Adriana Braga Peretzki 2013 auf die Bühne des Festspielhauses stellte, der zweifelhafte Charme des Unfertigen an. Und es passt auf merkwürdige Art gut zum ironischen Ton der Produktion, dass "Das Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen bei jeder Wiederaufnahme etwas improvisierter wirkt als im Vorjahr - durch Umbesetzungen, eilige Kompromisse, Dirigentenwechsel. Wäre nicht nach der laufenden Saison Schluss, müsste man fürchten, dass die Produktion bald ganz auseinanderbricht.

Im Orchestergraben wogt unberührt der Rhein, auf der Bühne hängt Wellgunde rosa Spitzen-BHs auf den Ständer; dieser Kontrast ist es, aus dem die Inszenierung ihre Kraft holt. Hier muss kein Rheingold mehr geraubt werden, der Karren ist längst an die Wand gefahren und der Irrtum als solcher erkannt. Um dennoch durch die zweieinhalb Stunden zu kommen, wird den Sängern schauspielerisch sehr viel abverlangt, worauf an diesem Abend nicht alle so richtig Lust haben. Castorf, dem die Inszenierung von Bayreuth-Stammgästen als Verweigerung ausgelegt wurde, feilte auch vor der letzten Wiederaufnahme noch an der Personenregie. Dass der Abend knarzt und kracht: An ihm liegt's nicht.

Marek Janowski kämpft am Pult auch in seiner zweiten Saison noch sehr mit den Tücken der Akustik und den Naturgesetzen, die im Bayreuther Orchestergraben außer Kraft sind. Nur in den Verwandlungsstellen, wenn im Orchester aus einem Kontrabass-Ton der Rhein entspringt, die Wagner-Tuben aus dem Geigennebel Walhall aufsteigen lassen oder am Ende in behaupteter Pracht der Untergang fühlbar wird, zeigt der Dirigent die ihm eigentlich eigene Souveränität. Die in sich perfekt harmonierenden Rheintöchter (Alexandra Steiner, Stephanie Houtzeel, Wiebke Lehmkuhl) entkommen ihm nicht nur bei den heiklen Ensemble-Stellen; Albert Dohmen als Alberich singt kurzatmig und angestrengt, Iain Paterson als Wotan einfarbig und kraftlos; auch die übrigen Götter bleiben blass: Fricka (Tanja Ariane Baumgartner) und Freia (Caroline Wenborne), Donner (Markus Eiche) und Froh (Daniel Behle). Roberto Saccà als Loge lässt sich von Janowski nicht weiter stören und stolpert musikalisch außer Rand und Band durch die Partie. Das passt auf merkwürdige Art zur Produktion. Aber noch ist auf dem Grünen Hügel die Unantastbarkeit der Partitur nicht aufgehoben; mit allem anderen wäre derzeit nicht nur das Publikum überfordert.

So sind es Erda und Fasolt, Nadine Weissmann und Günter Groissböck, die mit großen, vielfarbigen Stimmen den Worten auch singend Sinn und emotionale Tiefe geben, was hier sonst niemandem gelingt. Ein Abend auf den Schultern eines muskelbepackten Proleten mit weichem Kern und einer lebensklugen Edelhure - keine schlechte Bilanz für einen Castorf-Abend. Großer Jubel für eine Produktion, von der nur noch wenige wissen, wie fertig sie schon einmal war.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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