Oper:Alltägliche Fluchten

Oper: Das Serail in der "Arabischen Nacht" liegt hoch oben auf dem Dach, ein Fluchtraum, nahe einem Himmel voller Träume.

Das Serail in der "Arabischen Nacht" liegt hoch oben auf dem Dach, ein Fluchtraum, nahe einem Himmel voller Träume.

(Foto: Thomas Dashuber)

"Die arabische Nacht" in der Reaktorhalle

Von Egbert Tholl

Einen tollen Raum hat Angelika Höckner in die Reaktorhalle hineingebaut. Eine Treppenlandschaft aus rosa Schallschluckschaumstoff, auf der ein paar Palmen und Neongebilde wachsen, Kamel und Moschee, glitzernde Orient-Phantasmagorien, zwischen denen graue Hochhäuser herumstehen. Diese haben selbst ein Leben. Die Darsteller können in ihnen verschwinden wie in Aufzugkabinen, man kann in sie hineinfilmen und sieht dann auf einer Leinwand allerliebste Barbie-Puppen-Interieurs, das Innere belebter Wohnzellen.

Und doch ist die Sensation erst einmal das Orchester des Gärtnerplatztheaters. Die Theaterakademie und Musikhochschule zeigen die Oper "Die arabische Nacht", die Christian Jost vor acht Jahren nach einem monologischen Theaterstück von Roland Schimmelpfennig komponiert hat, und Eva Pons leitet das Orchester, das nichts anderes tut, als Perfektion abzuliefern. Allerdings beherzte, hochemotionale, kluge Perfektion. Als spielten die Musiker nie etwas anderes als neue Musik, bei der der kleine Orchesterapparat geteilt ist, quasi innerhalb des einen, schon insgesamt nicht sehr großen Orchesters zwei spielen. Es flirrt und funkelt, da taucht eine orientalisch anmutende Arabeske auf, dort für Momente eine hinreißend konkrete Melodie.

Jost hat Schimmelpfennigs virtuose Banalitäten ganz seinem System der Musik untergeordnet, zum Glück. Und kann aber dennoch nicht vermeiden, dass hin und wieder Sätze von niederschmetternder Alltagstauglichkeit in einer Klarheit durchscheinen, die man eigentlich gar nicht hören will. Lieber begibt man sich hinein in den Schaum der Wünsche, Erinnerungen, Träume. Balazs Kovalik inszeniert das auch so, sehr sexy, ja fast erotisch, was bei den Darstellern auf der Hand liegt.

Orient, das bedeutet hier Serail, Scheich, Haremsdamen. Kopfgeburten einer tristen Welt, in der selbst der Hausmeister zur Projektionsfigur von Gelüsten taugt, zumindest temporär. Nur: Geht das denn heute so heil? Natürlich, man kann das Stück und die Aufführung als Sehnsucht nach jenem Orient begreifen, den die Fundamentalisten erst einmal gründlich zerstört haben. Aber der Fluchtraum ist hier allausfüllend, der Traum in ihn hinein erfolgt aus der Banalität des Alltags.

Aber was kümmert einen das, wenn man Sängerinnen und Sänger wie diese Master-Studenten hat. Es gibt niemanden, der nicht von Sarah Aristidou und ihrem Koloratursopran hingerissen wäre. Das Traumpaar dieser Oper ist die WG von Aristidou und Clara Corinna Scheurle, einer strahlenden Mezzosopranistin. Im Zusammenklang der beiden schon erstaunlich reifen Stimmen wären sie das perfekte Paar, die eine in höchsten Tönen traurig-traumverloren, die andere in gutgeerdeter Brillanz. Kein Wunder, dass um sie herum die Gelüste toben.

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