Online-Journalismus:Du auch!

Im Jahre 13 des World Wide Web lockt das Online-Angebot von Zeitungen immer mehr Menschen an. Die Verlage wittern neue Möglichkeiten - und die Leser können profitieren.

Hans-Jürgen Jakobs

Im gehobenen amerikanischen Journalismus gibt es so etwas wie ein ,,Friedman-Prinzip''. Es besagt, dass ein bekannter Zeitungsjournalist beständig von verlagseigenen Kameras umgeben ist, weil er auf unterschiedlichen Kanälen publiziert, nicht nur Texte für den Print-Teil abliefert.

Internet, AFP

Omnipräsentes Internet: Eine Geisha im Teehaus

(Foto: Foto: AFP)

So wird er mehr und mehr zum Medien-Star, zu seiner eigenen Marke: Er führt durch die eigene Reportage, richtet mit Verve einen Kommentar an die Nation und befragt einen Gast im Talk. Auf diese Weise hat es der Autor Thomas L. Friedman bei der New York Times tatsächlich zu medialer Omnipräsenz gebracht.

Der Mann füllt den ,,Opinion''-Teil im kostenpflichtigen Online-Angebot ,,Times Select'' der wichtigsten amerikanischen Tageszeitung. Das ist inzwischen so etwas wie das Pay-TV der Pressewelt am Times Square.

Video und Radiostücke als Zusatz

Das ,,Friedman-Prinzip'' zeigt beispielhaft, wohin das Internet einen Medien-Oldie führen kann. Wurden bislang die mehr oder weniger goldenen Worte der Redakteure auf Papier gedruckt und mit Lastwagen in die Welt gebracht, so findet sich jetzt allerlei digital Vernetztes im Angebot: Videos und Radiostücke, animierte Grafiken und Dossiers zum Anklicken, Leserkommentare und Umfragen, Hitlisten und Bildergalerien.

Es ist die bewegte Welt einer multimedialen Plattform, die sich im radikal veränderten Info-Markt gegen andere Plattformen behaupten muss - gegen die der Fernsehsender, der Telefonriesen, der Kabelkonzerne sowie der ,,Googles'', vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben.

,,All the news that's fit to print'', so heißt seit 1896 die Losung der New York Times. ,,All the news that's fit to flow'', so müsste es heute lauten. ,,Newsplex'' nennen die Wissenschaftler diese neue Realität.

Internet immer gefragter

Im Jahre 13 des World Wide Web hat die digitale Revolution nicht nur die klassischen Mainstream-Medien, also die Zeitungsbüros und Sendeanstalten erreicht, sondern auch jene Massen, auf welche die Medien bislang gerichtet waren: So kürt das Nachrichtenmagazin Time gerade den einfachen Internetnutzer zum Man of the Year. Auf dem Titel wird er an diesem Montag mit einem großen ,,You'' gepriesen.

Das ist, nach der Auszeichnung für den Personal Computer im Jahr 1982, das zweite Mal, dass der sich abzeichnende digitale Lebensstil ausgezeichnet wird - zuerst mit der Maschine, die ihn ermöglicht, nun mit dem User. Mit ,,You'' sind alle gemeint, die sich über Blogs und Mails und Meinungen einbringen in die Welt der Medien - www.zukunft.de.

Die Sensation des Jahres 1994, als das Nachrichtenmagazin Der Spiegel erstmals Artikel im Web anbot, ist nur ein Fußnötchen der Geschichte - aus einer Zeit, als Helmut Kohl in Bonn regierte und Datenautobahnen bei seinem Bundesverkehrsminister gut aufgehoben sah. Ein ,,highway to hell''? Was wird in den nächsten 13 Jahren mit dem 401 Jahre alten Medium Zeitung geschehen?

"Online first"

In vielen amerikanischen, britischen oder skandinavischen Verlagen wird seit Monaten nach dem ,,Friedman-Prinzip'' gearbeitet - die Erosion der Auflage soll durch den Netzangriff kompensiert werden.

Die Bewegung gebar den Slogan ,,Online first''. Er soll plakatieren, dass der Bericht eines Reporters oder eines Korrespondenten direkt ins Netz gestellt wird, ehe er Stunden später auf Papier erscheint.

Du auch!

Nichts sei so alt wie die Zeitung von gestern, hieß es früher, aber auch die Zeitung von heute kann zuweilen schon alt sein. Andererseits können Print- und Online-Journalisten im Zusammenspiel Zusatznutzen schaffen.

,,Online first'' - so tönt es in Deutschland zum Beispiel aus dem Zeitungshaus Axel Springer. Bei manchen freilich klingt es, als sei der Informationsfluss zu regeln wie der Verkehr auf der Kreuzung. Tatsächlich hat das Internet nie Redaktionsschluss. Es gilt nicht die Maxime ,,Online first'', sondern ,,Online always''.

Redaktionen werden vernetzt

Es ist dabei eine Frage der Klugheit, wie die Qualitäten der bislang getrennten Redaktionen von Print und Online vernetzt werden, wie also um den Kern einer Zeitung herum Informationen auf Papier, Bildschirm, Handy-Display und dergleichen aktuell und tiefgründig und pointiert erscheinen.

An solchen Verbindungen arbeiten derzeit alle deutschen Zeitungsverlage, von Die Welt bis Hessisch Niedersächsische Allgemeine, von der Saarbrücker Zeitung bis zur Süddeutschen Zeitung, die künftig ihre bekannten Autoren öfter im Netz präsentiert.

Alle lernen dazu. Alle lesen dazu. Manchmal wirkt die Verwirklichung des ,,Friedman-Prinzips'' wie ein Wettbewerb um die größte Nachrichtenzentrale, den ,,Newsroom'', aus dem der Zeitungsinhalt in verschiedene Medien fließen soll.

Ein seelenloser Maschinenraum der Medienproduktion aber zaubert nicht das richtige Quäntchen Modernität hervor. Das Internet verzeiht keinen Zentralismus, es fordert flexible Einheiten, die miteinander teilen.

Werbeerlöse wachsen überproportional

Weltweit treibt Zeitungshäuser an, dass junge Menschen sich online informieren und - anders als ihre Altvorderen - auf Druckerschwärze zum Frühstücksei verzichten.

Schon jetzt erreicht die New York Times mehr Leute übers Internet als über die gedruckte Ausgabe; die Reichweite von Spiegel Online nähert sich derjenigen des Muttermagazins. Parallel dazu wachsen die Werbeerlöse im Online-Geschäft überproportional.

Natürlich übertreibt Bill Gates, wenn er erklärt, im Jahr 2010 würden 40 bis 50 Prozent der Menschen die Presse im Netz lesen - schließlich hat der Gottvater von Microsoft 1990 behauptet, im Jahr 2000 gebe es keine Zeitungen mehr. (Es war das absolute Boomjahr der Presse.) Aber dass auf Dauer nur siegt, wer im Internet siegt, daran hat keiner mehr Zweifel.

Guter Journalismus korreliert nicht mit der Zahl der für die Papierproduktion gefällten Bäume in Finnland. Guter Journalismus ist eine Frage der exklusiven Nachricht, des geschliffenen Kommentars, der teilnehmenden Reportage, der nadelstichigen Glosse. Das alles liest sich gedruckt und online gleich gut.

Rascheln des Papiers

Wie der geneigte Zeitungsfreund etwas liest, bestimmt seine Mußezeit. Zur Lektüre im Bett mag das Rascheln des Papiers gehören, im Büro hingegen verschafft die Ansteuerung einer Homepage schnelle Orientierung.

Keine Frage ist, dass die journalistische Aufbereitung der lokalen, nationalen und internationalen Welt im Internet einen Formenreichtum erlaubt, von dem die alte Presse nur träumen konnte: mit Bildern und Tönen, Rede und Gegenrede, Stellung und Stellungnahme. Keiner kann besser Communities bilden als jene, die etwas zu sagen haben.

Zeitungen als Randexistenz?

Natürlich gibt es Risiken. Werden die Verlage mit den neuen Lesern annähernd so viel verdienen wie mit den alten? Lässt sich der Online-Umsatzanteil von derzeit fünf Prozent bald steigern? Verfließen Grenzen zwischen Redaktion und Werbung? Dominieren Unterhaltungssujets? Und: Könnten Zeitungen zur kommunikativen Randexistenz werden?

Manche verweisen auf das ,,Rieplsche Gesetz''. Es besagt, dass ein neues Medium ein altes ergänzt, nicht ersetzt - was gleichwohl mancher Zeitung, die den Wandel nicht überlebt, wenig hilft.

Auch in der digitalen Welt wird ein Journalismus leben müssen, der unabhängig, unbestechlich und glaubwürdig ist, wenn die Demokratie nicht vor die Hunde gehen soll.

Diese Erkenntnis ist nur einen Klick entfernt.

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