"One More Time with Feeling" über Nick Cave:Vor diesem Film kann man sich nur schweigend verneigen

"One More Time with Feeling" über Nick Cave: Screenshot aus dem Trailer zu "One more time with feeling"

Screenshot aus dem Trailer zu "One more time with feeling"

(Foto: Screenshot Nick Cave & The Bad Seeds/Facebook)

Die Doku "One More Time with Feeling" zeigt Sänger Nick Cave nach dem Tod seines Sohnes. Behutsam fängt sie Momente des Scheiterns ein.

Von Juliane Liebert

Warum reden, wenn man auch schweigen kann? Das ist eine Frage, die in der Kunst und auch, nein, vor allem in der Betrachtung der Kunst zu selten gestellt wird. Am Donnerstagabend wurde der neue Film von Andrew Dominik, "One More Time with Feeling", in ausgewählten Kinos weltweit gespielt, der Film zum Album "Skeleton Tree", das am Freitag erscheint. Es ist das 16. Studioalbum Nick Caves. Es muss ja, das ist 2016 Usus, immer einen Film zum Album geben und ein Videospiel und eine Häkeldecke und eine Häkeldeckenstrickanleitung. Möchte man meinen.

Aber die Lage ist hier eine andere: So beginnt der Film auch nicht mit Nick Cave, nicht mit seinem Sohn, der im vergangenen Sommer gestorben ist und dem wir hier nie begegnen. Er beginnt mit Warren Ellis, langjährigem Gefährten Caves, der auf dem Rücksitz eines Autos sitzt und Persönliches erzählt; vom Kamerateam zurechtgewiesen wird. Man habe nicht richtig scharf gestellt, ob er bitte noch mal traurig auf der Rückbank sitzen und über den Tod sprechen könne, danke, nein? Nein. Kann er nicht.

Dass diese Szene im Film ist - eine gescheiterte Szene, bei der nicht getan wird, als ob sie irgendetwas anderes sei als gescheitert und skurril für alle Beteiligten - ist kein Unfall, sondern Agenda. "One More Time with Feeling" ist ein Film, der in erster Linie sein eigenes Scheitern dokumentiert.

Wir sehen Nick Cave, ganz Augenringe und Benommenheit, wir sehen seine Frau Susie Bick, die wir als Silhouette aus "20 000 Days on Earth" kennen (diesmal sogar von vorn), wir sehen die Aufnahme des Albums, Caves Spiegelung in seinem auf Hochglanz polierten Flügel, während er "Jesus Alone" einsingt; wir sehen Nick Cave, der sich (öfters) Sorgen macht, ob seine Haare richtig sitzen; wir sehen ein betäubtes, müdes Paar; ein Bild, das ihr Sohn Arthur als Kind gemalt hat, paradoxerweise von der Klippe, von der er gefallen ist. Wir sehen Szenen, von denen wir nicht sicher sind, ob wir sie sehen sollten, gerahmt von ernst dreinschauenden Männern, die traurige Musik machen.

Wir sind ja eigentlich, das ist das Verrückte an dieser Zeit, daran gewöhnt, nahezu ständig ungehindert in die Intimsphäre von Fremden zu sehen. Wir sehen das Kind unserer Großcousine ohne Windeln, bevor wir auch nur eine Taufeinladung gekriegt haben, wir sehen Teenager am anderen Ende der Welt, die sich schminken, Sex haben oder sterben, wir sehen "20 Selfies kurz vor dem Tod" (sofern wir klicken), und vor allem: Wir sehen nichts Merkwürdiges mehr darin.

Insofern ist der Schritt nicht groß, zu sagen: Wir sehen eine Dokumentation über Nick Caves 16. Studioalbum, die in Wirklichkeit eine Dokumentation über den Zustand der Privatperson Nick Cave nach dem Tod seines Sohnes ist, um hinterher nach Hause zu gehen, "bewegend" in unser Tagebuch zu schreiben, das Album zwei Mal zu hören, im Internet klarzustellen, wie gerührt wir sind und fünf von fünf Sternen zu geben (vier von fünf, wollen wir zynisch sein).

Ein trauriger Film - aber niemand weint

So einfach könnte es sein, so einfach macht Andrew Dominik es uns nicht. Es ist erstaunlicherweise auch ein komischer Film; ein Film, der sich permanent über die eigene Existenz wundert. Der Titel ist eigentlich bitterböse, zumindest aber lakonisch - wenn "One More Time With Feeling" ein Problem hat, mangelnde Emotion ist es sicher nicht. Es gab in der Fernsehserie Buffy (ja, ausgerechnet) einmal eine Musicalfolge namens "Once More With Feeling", in der ein Dämon auf die Erde kommt, der alle zwingt, ununterbrochen zu singen, bis sie sterben.

Das hier fühlt sich an wie die finstere Realfassung davon, und doch ist der Film - noch erstaunlicher in Anbetracht des Themas - viel lustiger als sein Vorgänger "20 000 Days on Earth". Das mag an Nick Caves nonchalant dokumentierter Eitelkeit liegen. Oder seinem Kommentar, dass, während er schläft, seine Frau immer das Haus umräume - und das Fernsehzimmer morgens auf einmal das Esszimmer sei. Ein Freund von ihm habe aus ähnlichen Gründen schon die Möbel am Boden festgenagelt. Es mag ein trauriger Film sein - aber niemand weint.

Nick Cave war, in seiner Musik und Selbstdarstellung, schon immer schwülstig mit klugen Aussetzern. Hier ist es eben die besagte Lakonie, die den Film davor rettet, eine aufs alternative Publikum zugeschnittene Seifenoper zu sein: Der mit Humor gewürzte Pathos und die Trauer als eine Leerstelle. Susie Bick und Nick Cave sprechen im ganzen Film nie konkret über das, was geschehen ist. Ein unaussprechlicher Kummer, der nur umschifft werden kann.

Das Album (Cave hat es selbst finanziert und rechnet wohl nicht damit, die Kosten wieder reinzukriegen) sei unfertig, erklärt er, für gewöhnlich hätte er es so nie herausgebracht. In einem Nebensatz zerlegt er das Mysterium, dass aus großer Trauer große Kunst entstehe - ein Trauma zerstört den kreativen Prozess. Da ist nichts Erhabenes.

Sie hätten sich entschlossen, glücklich zu sein, sagt er gegen Ende. Aus Rache. Der Film wird noch mal ein paar Minuten farbig (symbolisiert vermutlich irgendwas), Jesus war ein Lügner, singt Cave. Während der letzten Songs hat er zum ersten Mal in seiner Laufbahn die Stimme eines alten Mannes, der davon berichtet, wie es ist, gebrochen zu werden. Die Songs sind immer noch Liebeslieder, verstörte, verzogene Liebeslieder, die ihr Subjekt verloren haben.

Während des Abspannes erklingt ein Duett seiner beiden Söhne, des lebenden und des toten. Was soll man sagen, was nicht zynisch oder anmaßend wäre, wenn einem einer sein Herz zeigt in dieser Weise? Nichts sagt man, man verneigt sich schweigend und geht.

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