Rechtsruck in Österreich und Europa:"Die Menschenfeindlichkeit wächst und wächst"

Nicolaus Schafhausen kündigte 2018 an, seinen Posten als Direktor der Kunsthalle Wien aufzugeben - der Rechtsruck in Österreich ermögliche kaum noch einen zeitgemäßen Kulturbetrieb.

Der 1965 in Düsseldorf geborene Kunsthistoriker Nicolaus Schafhausen arbeitet als Kurator und Kunstmanager.

(Foto: Sabine Hauswirth/Kunsthalle Wien)

Sagt Nicolaus Schafhausen. Deshalb wirft der Direktor der Kunsthalle Wien seinen Job hin. Ein Gespräch über ein Land, dem es "an Opposition mangelt".

Interview von Oliver Das Gupta

SZ: Herr Schafhausen, Sie haben vor wenigen Stunden überraschend angekündigt, als Direktor der Kunsthalle Wien aufzuhören. Wie geht es Ihnen jetzt?

Nicolaus Schafhausen: Mir geht es gut - mein Schritt war eine psychologische Notwendigkeit. Außerdem renne ich nicht davon, ich bleibe ja noch bis Frühjahr 2019.

Der Ankündigung Ihres Abschieds von der Kunsthalle ist der Satz vorangestellt: "Die Wirkungsmächtigkeit von Kunst ist in Zeiten nationalistischer Politik stark eingeschränkt." Wie sehen diese Einschränkungen konkret aus?

Damit wir uns nicht missverstehen: Niemand aus der Politik sagt bislang "Macht das so" oder "Macht das so nicht". Das findet auf einer anderen Ebene statt: Wenn größere Projekte geplant werden, bei denen es um eine Zusammenarbeit mit dem Bund geht, sitzt man künftig Vertretern einer rechtspopulistischen Regierung gegenüber.

Und das ist für Sie ein No-go?

Ja, für mich sind hypothetische Gespräche mit Vertretern dieser Regierung undenkbar. Ich kann mich nicht mit Leuten von der FPÖ an einen Tisch setzen, ich will auch nicht mit denen verhandeln. Es geht mir ums Grundsätzliche. Man kann lange darüber diskutieren, wie diplomatisch man durchs Leben gehen soll. Aber es gibt Grenzen. Die ÖVP ist die Steigbügelhalterin für eine gefährliche Partei, die nun regiert. Damit ist für mich die Grenze überschritten. Bei zeitgenössischer Kunst geht es sehr oft um gesellschaftspolitische Inhalte. Die Kunsthalle Wien ist explizit eine Einrichtung für internationale Gegenwartskunst und Diskurs, das ist unser Auftrag. Und dieser Auftrag ist das Gegenteil von Nationalismus.

Der für Kunst zuständige Minister in der österreichischen Bundesregierung ist allerdings von der konservativen ÖVP und heißt Gernot Blümel.

Mit Herrn Blümel hatte ich nie Kontakt, mit seinen Vorgängern und Vorgängerinnen schon, obwohl mein Haus städtisch finanziert ist, die Stadt Wien wird sozialdemokratisch regiert. Das, was Blümel und seine politischen Partner mit dem Österreichischen Rundfunk vorhaben oder bereits angefangen haben, empfinde ich als problematisch. Der Regierung scheint es auch in anderen Bereichen vor allem um eine Umfärbung zu gehen: Darum, dass sie in möglichst vielen Institutionen ihre Leute platziert. Auf anderen Ebenen werden bereits NGOs wie Caritas und Diakonie enthebelt: Es ist die Strategie der Politik, insbesondere jene, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, zu infantilisieren und zu desavouieren und ihnen letztlich die Arbeit unmöglich zu machen.

Aktiv in den Kulturbetrieb greift die neue Regierung aber nicht ein.

Die Signale, die gesendet werden, wirken belastend auf Kunst und Kultur. Wenn man Institutionen wie die Kunsthalle als Medium begreift, das nicht auf Alltagspolitik reagieren kann, ist man schon eingeschränkt. Ich sage damit nicht, dass Kunst heute falsch am Platz ist. Man weiß nicht, wie sich auch die Stadt Wien verändern wird, wenn das Justizministerium andere Parameter ansetzt: Was bedeutet dann Kulturförderung, was darf Kultur, was darf sie nicht? Das ist alles hypothetisch, aber in diesen Zeiten sind viele Dinge möglich und nichts sicher.

Sie wünschen der Kunst in Österreich einen "stärkeren Rückhalt von Seiten der unabhängigen staatlichen Institutionen und Verwaltungen der Kulturinstitutionen". Was bedeutet das ausformuliert?

Was mir gerade bei großen Einrichtungen fehlt: eine kritische Selbstbefragung, was sie da tun. In den Ländern, in denen ich bislang gelebt und gearbeitet habe, wird das anders gehandhabt. Selbstverständlich glaube ich an die Autonomie kuratorischer Entscheidungen, aber ich frage mich teilweise wirklich, worum es bei manchen Institutionen geht. Der gesellschaftspolitische Auftrag von Museen sollte doch weit über Besucherzahlen und Marketing hinausgehen.

Sie sprechen in Ihrer Abschiedsankündigung rechtspopulistischen Bewegungen ab, sich selbstkritisch hinterfragend mit der Zukunft und der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Meinen Sie damit in Österreich nur die FPÖ?

Nein, sonst hätte ich sie genannt. Die FPÖ und auch Teile der ÖVP spiegeln ja auch nur Teile der Gesellschaft wider. Ich meine damit viele Bereiche hier in Österreich und das ist auch spürbar im täglichen Zusammenleben.

Das klingt nach schlechten Erfahrungen.

Ja!

Das müssen Sie genauer erklären.

Man kann in Wien in der Innenstadt-Blase leben. Da ist so viel schön und wunderbar. Es ist eine riesige, touristisch geprägte Wellness-Zone. Ich kenne keinen Wien-Besucher, der nicht gerne herkommt. Aber da ist noch das andere Wien, und das wollte ich auch erleben, nachdem ich vor sechs Jahren in die Stadt gezogen bin. Deshalb bin ich nach Favoriten gezogen.

Das war früher ein Arbeiterbezirk, ein Stück Wien abseits des Innenstadtglanzes, viele Menschen mit Migrationshintergrund leben dort.

Die Leute behandeln einander hart, sie grenzen sich gegenseitig aus. Das beziehe ich nicht nur auf die Österreicher, sondern auch auf die Zugezogenen. Die Menschenfeindlichkeit wächst und wächst, nicht nur gegenüber Flüchtlingen. Der Umgang mit Andersdenkenden ist frappierend.

Wurden Sie auch persönlich angefeindet?

Das passiert in Internet-Postings, aber auch auf der Straße. Ein besonders schlimmes Erlebnis hatte ich am Wiener Flughafen. Eine Frau, etwa Mitte 40, hat mich angeschrien, dass ich ihr Steuergeld verschwende. Dann hat sie mich vor ihren beiden halbwüchsigen Kindern angespuckt. Ich habe ihren Namen rausbekommen: Es handelt sich um eine Unternehmerin, die die FPÖ finanziell unterstützt.

Haben Sie so etwas schon mal zuvor erlebt?

Nein, in keinem anderen Land, in dem ich bislang gelebt und gearbeitet habe. Es stimmt mich sehr ernst, wie die Menschen hier oft miteinander umgehen. Möglicherweise gibt auch es einen Zusammenhang mit der Größe Österreichs: Hier sind die Wege kurz zwischen Politikern, Unternehmern und Journalisten. Das führt zum Teil zu einem ungesunden Näheverhältnis.

Hat sich Österreich durch die Flüchtlingskrise so sehr verändert?

Nach meinem Empfinden verschlimmerte es sich später, im Jahr 2016. Während der sich ein Jahr hinziehenden Bundespräsidentenwahl 2016 sind so viele Hüllen und Hemmungen gefallen in diesem Land. Das gesellschaftliche Klima hat sich nachhaltig zum Negativen verändert. Das hat meine Entscheidung reifen lassen. Es mangelt an Opposition, zivilgesellschaftliches Denken und Handeln wird zu wenig stimuliert. Ich meine nicht nur die Parteien, sondern das Engagement der Bürger insgesamt. Viele Leute kümmern sich offenbar nur noch um sich selbst.

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