Obamas Besuch und die Macht der Symbole:Als Worte wichtiger waren als Bilder

John F. Kennedy, Willy Brandt, Konrad Adenauer, 1963

John F. Kennedy, Willy Brandt, Konrad Adenauer im Juni 1963. Später wird Kennedy "Ich bin ein Berliner" sagen.

(Foto: SZ-Photo)

Obamas Rede in Berlin steht in einer langen Tradition. Doch anders als bei seinem Vorgänger Kennedy steht im Mittelpunkt dieses Ereignisses nicht, was gesagt wird - sondern wo es gesagt wird.

Von Bernd Graff

Wenn der amerikanische Präsident Barack Obama am 19. Juni 2013 eine Rede vor dem Brandenburger Tor in Berlin hält, dann tut er das fast genau 50 Jahre nach der wohl berühmtesten Rede, die je von einem amerikanischen Präsidenten in Berlin gehalten wurde.

Am 26. Juni 1963 sprach John F. Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus diese vier Wörter auf deutsch, die mindestens so berühmt wurden wie die zweieinhalb Minuten-Rede, die Abraham Lincoln wiederum einhundert Jahre zuvor, am 19. November 1863, hielt und die als Gettysburg Address berühmt wurde. Lincoln äußerte am Rande eines Friedhofs für die Gefallenen des Bürgerkrieges die Hoffnung, "dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge." Kennedy sagte: "Ish bin ein Bearleener."

In beiden Fällen ist das, was gesagt wurde - also der Inhalt der Wörter - bedeutend wichtiger als der Ort, an dem sie ausgesprochen werden. Das stimmt so allerdings nicht ganz. Beide Orte waren symbolisch hoch aufgeladen. Gettysburg war Ort der schlimmsten und entscheidenden Schlacht des amerikanischen Bürgerkrieges, mehr als 30.000 Menschen waren dort gefallen oder verwundet worden. Berlin war die geteilte Stadt, die Frontstadt am ultimativen Frostpunkt des Kalten Krieges. Zwei Jahre zuvor war die Berliner Mauer gebaut worden. Die Amerikaner, die 1948 und 1949, in den Jahren der Blockade durch die sowjetische Besatzung, den Berlinern mit sogenannten "Rosinenbombern" geholfen, ja, sie ernährt hatten, diese Amerikaner hatten sich beim Mauerbau erstaunlich ruhig verhalten.

Berlin, unenthusiastisch

Berlin wartete seinerzeit also relativ unenthusiastisch auf die Worte des 35. US-Präsidenten. Lincoln, der eigentlich nur Zweitredner an diesem Tag war, erregte zuerst auch nur deswegen Aufsehen, weil er kaum drei Minuten lang redete. Und doch lösten diese beiden Rede-Texte unfassbare Wirkung aus - mehr als die Orte, an denen sie gehalten wurden.

Lincolns Rede gilt als Grundsatz des Demokratie-Verständnisses der westlichen Welt. Kennedy, der im November 1963 erschossen wurde, wurde mit dieser Berliner Rede zum Helden, nein zum Superhelden, zum Hoffnungsträger nicht nur für die geteilte Stadt, nicht nur für die junge Bundesrepublik, sondern für ein ganzes sich revolutionär entfaltendes Jahrzehnt.

Klar, Kennedy spricht von den großen Fragen der beiden Systeme: Kommunismus und Kapitalismus. Viele Menschen verstehen nicht, was da los ist, sagt er. "Lasst sie nach Berlin kommen", ruft er - und Hunderttausend jubeln vor dem Schöneberger Rathaus.

Früher, so Kennedy, vor 2000 Jahren sei man stolz gewesen, wenn man "Civis Romanus sum" sagen konnte: "Ich bin ein freier Bürger Roms." "Alle freien Menschen, wo immer sie auch leben mögen, sind heute Bürger von West-Berlin. Darum, als ein freier Mensch, sage ich heute mit Stolz: Ich bin ein Berliner." Das war als Text - und ist auch heute, wenn man die 50 Jahre danach kennt - natürlich Atem raubend.

Bedeutung der Bilder war 1963 noch unbekannt

Fast irrelevant dagegen erscheint der Ort, an dem die Rede gehalten wurde. Klar, sie musste in Westberlin gehalten werden, genauso wie die Gettysburg-Rede auf einem Friedhof für Gefallene. Aber obwohl Kennedy vor diesem Rede-Termin sowohl auf einer von den Briten errichteten Aussichtsplattform vor dem Brandenburger Tor stand und anschließend unmittelbar an der Systemgrenze am "Checkpoint Charlie", war die Symbolkraft der Bilder von diesen Grenzorten offenbar noch nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert.

Überliefert sind sowohl die Redetexte und Bilder von den Rede-Ereignissen (das gilt übrigens auch für die Gettysburg Address), aber eben auch Bilder von den Orten, die man als wirksamere Rede-Orte hätte wählen können. Doch ganz offensichtlich kannte man 1963 die Bedeutung der Bilder noch nicht, konnte sie noch nicht kennen - und musste sie auch noch nicht kennen.

Denn 1963 verfügte kaum jemand über einen Fernseher, und wenn man Bilder von Kennedy am Brandenburger Tor in der Zeitung sah, war der Präsident schon längst abgereist. Was man aber mitbekommen konnte, während er noch da war, war eben diese Rede im Radio. Und so fügte sich quasi sukzessiv, dass Bedeutendes zu hören war, bevor man Bedeutendes sehen konnte. Für das Präsidentenprotokoll im Jahr 1963 war wichtig: Kennedy ist in der geteilten Stadt, er spricht - und zusätzlich und verspätet gibt es davon auch noch Bilder.

Reagan knüpft an Kennedy an

Ganz anders - 24 Jahre später - die Rede Ronald Reagans, des 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Am 12. Juni 1987 spricht Reagan auf einer Aussichtsplattform vor dem Brandenburger Tor. Die Bilder gehen sofort um die ganze Welt. Und Reagan, der da auch an die schon von Kennedy gehaltene Rede anknüpfen muss, adressiert sofort die unmittelbar für jeden Zuschauer erinnerte Geschichte: "Twenty-four years ago, President John F. Kennedy visited Berlin, speaking to the people of this city and the world at the City Hall."

Und er adressiert die für jeden ersichtliche Situation: "So lange diese Narbe von einer Mauer hier stehen darf, ist es nicht allein eine deutsche Frage, die hier offen ansteht, sondern eine der Freiheit der ganzen Menschheit."

"Today I say: As long as the gate is closed, as long as this scar of a wall is permitted to stand, it is not the German question alone that remains open, but the question of freedom for all mankind."

Berühmt wurde diese Rede Ronald Reagans, weil er von seinem Rednerpult via TV-Bild direkt Michail Sergejewitsch Gorbatschow, den damaligen Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), anspricht: "Generalsekretär Gorbatschow, wenn Sie Frieden wollen, wenn Sie Wohlstand für die Sowjetunion und Osteuropa wollen, wenn Sie Freiheiten wollen, dann kommen Sie an dieses Tor! Mr. Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!".

"General Secretary Gorbachev, if you seek peace, if you seek prosperity for the Soviet Union and Eastern Europe, if you seek liberalization: Come here to this gate! Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!"

Obamas erste Berliner Rede als Präsident

Hier ist der Inhalt der Rede längst nicht mehr unabhängig von ihrer Inszenierung: Dem sorgfältig ausgesuchten und ausgestatteten Ort, der sogar schusssichere Scheiben im Rücken Reagans aufwies, weil man Scharfschützen auf ostdeutscher Seite vermutete. Wenn Obama diesen Ort jetzt besucht, dann tut er dies erstmals als Präsident. 2008 war er als Wahlkämpfer in Berlin, hielt an der Siegessäule vor 200.000 Menschen eine umjubelte Rede.

Angela Merkel hatte veranlasst, dass seine Rede damals nicht vor dem Brandenburger Tor gehalten werden konnte, sie wollte einem Wahlkämpfer nicht die erste Rede- und Bilder-Adresse der Republik einräumen. Bill Clinton war darum 1994 der bislang letzte US-Präsident, der vor dem Brandenburger Tor sprach. Auch er sprach deutsch: "Nichts wird uns aufhalten. Alles ist möglich. Berlin ist frei."

Das klang 1994 selbstverständlich sehr viel mehr nach Chance und Zukunft als nach Historie und Aufgaben, die zu lösen, Fragen, die offen sind. Nun also spricht Obama vor diesem Symbol-Tor der deutschen Geschichte. Er tut dies auf der ehemaligen ostdeutschen Seite, weil damit bildhaft gezeigt werden kann: Vor 50 Jahren, als Kennedy sprach, wäre es einem amerikanischen Präsidenten nicht möglich gewesen, dort zu sprechen, selbst, wenn man die Inszenierung gesucht hätte.

Ob Obamas Rede der heutigen Wahlkämpferin Angela Merkel nützt, darf indes stark bezweifelt werden. Unabhängig von den schönen Bildern der aparten, charmanten Präsidentenfamilie unter mutmaßlich sonnenlachendem Himmel gibt es wenig Glanz und Hoffnung zu vermitteln. Obamas Geheimdienste haben auch die Deutschen im Internet ausspionieren lassen, wie man seit dem NSA-Skandal weiß. Zudem drücken der fragwürdig legitimierte US-Drohnenkrieg und das immer noch existierende Guantanamo auf die gute Laune.

Schlechte Ausgangslage für Obama

Die Begründung, alles geschehe im "Kampf gegen den Terror", kommt inzwischen eher wie eine windelweich gewaschene Allzweck-Legitimation daher als wie eine Argumentation aus echter Notwendigkeit. Obamas Ausgangslage also ist denkbar schlecht: Im eigenen Land kommt er nicht weiter, und auch in Deutschland wird er sich eher rechtfertigen müssen.

Was also hat Merkel von Obama: Einen starken, Deutschland stark machenden Verbündeten oder eine langsam langjährig werdende Beziehung, die schon bessere Zeiten gesehen hat, aber in der man zusammenbleibt, weil es ja gemeinsam etwas einfacher ist?

Wie dem auch sei, egal, was Obama sagen wird, es wird von glamourösen Bildern begleitet werden. Und erstmals in der Geschichte werden die wohl wichtiger sein als der Inhalt der sie untermalenden Rede.

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