NS-Raubkunst:Privatsache

NS-Raubkunst: Opfer von Deutschlands Raubkunstpolitik: Franz von Stucks „Portrait zweier junger Damen“.

Opfer von Deutschlands Raubkunstpolitik: Franz von Stucks „Portrait zweier junger Damen“.

(Foto: Van Ham)

Wie Deutschland die Aufarbeitung des Nazi-Kunstraubs an Sammler und Auktionshäuser delegiert - und die Erben der beraubten Juden weiterhin leer ausgehen lässt.

Von Sophie Schönberger

Es war kein spektakuläres Los, das kürzlich unter der Nummer 1358 im Kölner Auktionshaus Van Ham versteigert werden sollte. Das "Portrait zweier junger Damen" von Franz von Stuck erschien eher durchschnittlich: Öl auf Karton, 48 mal 55 Zentimeter, die Provenienzangabe ("Privatsammlung Köln") etwas schmallippig, aber auch nicht ungewöhnlich.

Das änderte sich, als einige Tage vor der Auktion in der Presse Details über die Geschichte des Werkes berichtet wurden: 1944 hatte es das Deutsche Reich für 15 000 Reichsmark von einem Wiesbadener Sammler für die "Sondersammlung Linz" gekauft, also für das geplante Führermuseum. Große Teile dieses Bestandes waren während des Kriegs im "Führerbau" am Münchner Königsplatz untergebracht und wurden dort unter bis heute nicht geklärten Umständen in den letzten Kriegstagen geplündert.

Ob das Bild geraubt wurde, ist unklar. Das Ministerium ließ die Auktion dennoch absagen

Zu diesen gestohlenen Bildern zählt auch das Stuck-Gemälde, das nun erstmals seit dem Krieg wieder in der Öffentlichkeit auftauchte. Die Umstände, unter denen es unmittelbar vor der Auktion zurückgezogen wurde, machen den Vorgang zu einem Lehrstück über den paradoxen Umgang mit NS-Kunst und NS-Raubkunst in Deutschland.

Ob es sich bei dem Bild überhaupt um Raubkunst handelt, und nicht einfach um ein Kunstwerk mit NS-Bezug, ist dabei völlig unklar, aber nicht mehr oder weniger wahrscheinlich als bei jedem anderen Kunstwerk, das sich in der Zeit des Nationalsozialismus auf dem Kunstmarkt befand. Zwar sind damals zahlreiche Werke für die Sondersammlung Linz geraubt oder ihren Eigentümern auf andere Weise abgepresst worden. Aber keineswegs alle Stücke gelangten auf diese Weise in die Sammlung.

Andere Werke wurden zu einem fairen Preis vom deutschen Reich auf dem regulären nationalen Kunstmarkt erworben. Zu ihnen gehört auch das "Portrait zweier junger Damen". Der Verkäufer hatte keinen jüdischen Hintergrund und war keinerlei nationalsozialistischer Verfolgung ausgesetzt. Dass das Bild bereits vor dem Verkauf im Jahr 1944 geraubt oder Opfern des Nationalsozialismus abgepresst wurde, ist nicht ausgeschlossen. Konkrete Anhaltspunkte dafür gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Dass die Bundesrepublik Deutschland zunächst sogar schriftlich gegenüber dem Auktionshaus darauf verzichtete, für das ihr bei der Plünderung 1945 gestohlenes Gemälde irgendwelche Herausgabeansprüche geltend zu machen, hatte also zunächst einmal nichts mit einem verfolgungsbedingten Entzug in der Zeit des Nationalsozialismus zu tun, sondern schlicht mit der in Deutschland geltenden Rechtslage bei gestohlenem Eigentum.

Hat jemand ein gestohlenes Objekt mindestens zehn Jahre lang in der Überzeugung in seinem Besitz, auch Eigentümer des Objekts geworden zu sein, weil er nichts von dem vorherigen Diebstahl wusste, und haben sich Zweifel an einem redlichen Erwerb auch nicht aufdrängen müssen, so erwirbt er oder sie nach Ablauf dieser Zeit das Eigentum. Der Bestohlene kann sich dann nur noch an den Dieb, nicht mehr an den jetzigen Besitzer halten. Und selbst dann, wenn eine solche "Ersitzung" nicht stattgefunden hat, weil der Besitzer nicht von einem redlichen Erwerb hat ausgehen können, so kann er nach 30 Jahren die Herausgabe des Gegenstandes verweigern, da alle Herausgabeansprüche verjährt sind. Diese Regel gilt auch für Kunstwerke und auch für Objekte, die der öffentlichen Hand gestohlen wurden.

Diese Rechtslage ist gerade in jüngerer Zeit heftig kritisiert worden, der Gesetzgeber hat sie gleichwohl bis heute unangetastet gelassen. Es ist im Übrigen dieselbe Rechtslage, die dazu geführt hat, dass nach geltendem Recht keine Herausgabeansprüche gegen die ohnehin nur sehr wenigen Werke aus der Sammlung von Cornelius Gurlitt bestanden haben, bei denen es sich um Raubkunst handelt.

Bemerkenswert ist insofern, dass die Bundesrepublik dieses Recht ohne Weiteres gegen sich selbst gelten lassen wollte, im Fall des Schwabinger Kunstfunds allerdings mit rechtlich überaus zweifelhaften Methoden großen Aufwand betrieben hat, um trotz der Rechtslage auf die Kunstwerke der Sammlung Gurlitt zugreifen und sie der politisch gewünschten, rechtlich aber nicht abgesicherten Provenienzrecherche und Restitution zuführen zu können.

Im Fall des "Portraits zweier junger Damen" hat sich das zuständige Bundesfinanzministerium vor diesem Hintergrund nun eines besonderen Tricks bedient, um dem öffentlichen Druck zu begegnen, der dadurch entstand, dass ohne weitere Anhaltspunkte die Möglichkeit eines verfolgungsbedingten Entzugs in den Raum gestellt wurde. Ansatzpunkt dafür war das 2016 neu erlassene Kulturgutschutzgesetz.

In einer entsprechenden Erklärung gab das Ministerium bekannt, dass im Fall des konkreten Bildes "kein Anhaltspunkt ermittelt werden konnte, dass das Gemälde verfolgungsbedingt jüdischen Eigentümern entzogen wurde." Die Bundesregierung habe das Auktionshaus aber "auf die ihm obliegende Provenienzrecherche hingewiesen und gebeten, die für heute anberaumte Versteigerung zunächst zu verschieben, um weitere Sachverhaltsaufklärung zu ermöglichen."

Entsprechende Pflichten, die Provenienz zu prüfen, sieht das neue Gesetz tatsächlich in allen Fällen des gewerblichen Handels mit Kulturgütern vor. Für Fälle, in denen die Vermutung besteht, dass das Werk in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen worden ist, soll diese Nachforschungspflicht sogar unabhängig davon bestehen, in welchem Verhältnis die Kosten der Recherche und der Wert des Kunstwerks stehen. Der Handel wird also auch dann zur Provenienzrecherche verpflichtet, wenn die Kosten der Recherche den Wert des Bildes übersteigen.

Diese Regelung schreibt in erstaunlicher Weise einen doppelten Maßstab fest, der an die Restitution von NS-Raubkunst und die vorgelagerte Provenienzrecherche im privaten Kunsthandel einerseits und in öffentlichen Sammlungen andererseits angelegt wird. Denn während die öffentliche Hand mit den Washingtoner Prinzipien und den innerstaatlichen Empfehlungen zu ihrer Umsetzung weiterhin allein im rechtlich unverbindlichen Bereich agiert und die - freiwillige - Provenienzrecherche daher insbesondere unter den Vorbehalt vorhandener finanzieller Spielräume stellen kann, soll dem privaten Handel bei der Erfüllung der gesetzlich verbindlichen Pflichten ein solcher Vorbehalt konsequent verwehrt bleiben - selbst dann, wenn die Kosten für die Provenienzrecherche den Wert des Bildes übersteigen, der Händler also durch ein solches Bild einen reellen wirtschaftlichen Verlust erleidet.

Als Maßstab für die Wiedergutmachung historischen staatlichen Unrechts stellt sich eine solche Verantwortungsverlagerung insbesondere deshalb als irritierend dar, weil die heutigen Händler in der Regel gerade nicht identisch mit den Profiteuren sind, die in der NS-Zeit am staatlichen Unrecht partizipiert haben. Die Wiedergutmachung staatlichen Unrechts wird so in gewisser Weise privatisiert.

Noch paradoxer erscheint die Regelung, wenn man berücksichtigt, dass die Provenienzrecherche nun zwar als verbindliche private Pflicht im Kulturgutschutzgesetz normiert wurde, an die Resultate der Recherche aber nach wie vor keine rechtliche Folgen geknüpft werden.

Selbst wenn ein Werk sich als Raubkunst erweist, gibt es keine Verpflichtung zur Rückgabe

Selbst wenn sich also bei einem Kunstwerk herausstellt, dass es in der Zeit des Nationalsozialismus seinem Eigentümer geraubt oder auf andere Weise verfolgungsbedingt entzogen worden ist, können die Erben heute aus juristischer Sicht in aller Regel keinerlei Folgen aus diesem Wissen ziehen, da sie keinen durchsetzbaren rechtlichen Anspruch auf das Werk mehr haben. Auch an dieser Situation haben Bundesregierung und Bundestag bis heute nichts geändert.

Damit wird aber durch die Pflicht zur Provenienzrecherche nun auch noch mit den Mitteln des Gesetzes der ohnehin schon bestehende Trend verstärkt, Fragen der Restitution von NS-Raubkunst aus dem öffentlichen Bereich in den privaten Bereich des Marktes und der in ihm stattfindenden intransparenten Aushandlungsprozesse zu verschieben, die naturgemäß stärker an beiderseitigen geschäftlichen Interessen orientiert sind als an einer öffentlichen Aufarbeitung des Unrechts und einer gerechten Lösung.

Regeln für den Kunstmarkt allein können daher das moralische Problem der NS-Raubkunst nicht lösen und werden der Verantwortung des Staates für die Aufarbeitung des durch ihn begangenen Unrechts nicht gerecht. Der Fall zeigt erneut, wie dringend die nach dem Schwabinger Kunstfund gemachten politischen Versprechen, nach einer gesetzgeberischen Lösung für die Restitution zu suchen, tatsächlich eingelöst werden müssten.

Sophie Schönberger ist Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Konstanz.

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