Noomi Rapace:Die Widerspenstige

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Lächeln ist nicht: Gerade ist Noomi Rapace als rebellische Lisbeth Salander bekannt geworden - schon spielt die Schwedin gegen ihr eigenes Rollenbild an.

Tobias Kniebe

Es muss eine Art visionäre Eingebung gewesen sein. Kurz vor ihrer Hochzeit vor neun Jahren erklärte die junge schwedische Schauspielerin Noomi Norén ihrem künftigen Ehemann, dass sie auf keinen Fall seinen Nachnamen annehmen werde. Wäre es nicht viel spannender, schlug sie vor, sich völlig frei einen neuen, gemeinsamen Phantasienamen zuzulegen?

Von der drachentätowierten Hacker-Heroine zum honigblonden Cannes-Star: Noomi Rapace. (Foto: afp)

Gesagt, getan. "Wir haben festgestellt, dass wir beide eine seltsame Vorliebe für Raubvögel haben", erzählt sie. "Und dann haben wir auf einer Reise nach Paris entdeckt, wie toll das Wort Raubvogel auf Französisch klingt." So kommt es, dass die Worte Noomi Rapace, richtig betont ausgesprochen, heute am Ohr vorbeizischen wie ein Falke im Sturzflug: Rapassss...

Eine Kämpferin

Wenn man ihr gegenübersitzt, etwa im Vorgarten eines kleinen Hotels etwas abseits des Festivaltrubels von Cannes - dann hat dieser Name schon seine Richtigkeit. Selbst ihre Nase wirkt deutlich schnittiger und falkenartiger als das Standardmodell weiblicher Modelschönheit. Sie scheint an den Seiten sogar ein wenig aerodynamisch abgeflacht zu sein.

Und ohne den raubvogelhaften, kompromisslosen, auch ein wenig aggressiven Teil ihrer Persönlichkeit wäre die 30-Jährige nie Lisbeth Salander geworden - die Rolle, die sie weit über ihr Heimatland Schweden hinaus bekanntgemacht hat. Sie hat um diesen Part gekämpft, weil der Regisseur erst nicht von ihr überzeugt war. Und sie hat bis zum Umfallen trainiert, um ihren Körper für die Filme in den Körper einer Kämpferin zu verwandeln.

Von Stieg Larssons schwarzgekleideter, gepiercter, drachentätowierter, bisexueller und massiv arschkickender Hacker-Heroine auf Rachemission gegen das weltumspannende Frauenhassertum erwartet man das aber auch. So eine Figur kann nur von einem eher exotischen Wesen - der Vater spanischer, vor Franco geflohener Flamenco-Sänger, die Mutter schwedisches Hippiegirl - mit einem gefährlich klingenden Nachnamen gespielt werden. Visionäre Eingebung, wie gesagt.

Man könnte sogar behaupten, dass es allein Noomi Rapace und ihre perfekte Verkörperung der Lisbeth Salander war, die aus dem eher schmal budgetierten "Millenium"-Dreiteiler fürs schwedische Fernsehen unverhofft einen international beachteten, hochprofitablen Kinoerfolg gemacht hat. Ihr Auftritt in "Vergebung", dem dritten Teil, der jetzt in Deutschland anläuft, beweist es einmal mehr.

Für Noomi Rapace liegt das aber schon weit in der Vergangenheit. Sie ist Lisbeth Salander längst losgeworden, zusammen mit dem Nasenring, dem Irokesenschnitt, dem Riesentatoo und den pechschwarzen Haaren. Wochenlang wusste sie dann selbst nicht mehr, wer sie wirklich war. "Ich verliere mich völlig in meinen Rollen", sagt sie. "Aber am Ende freue ich mich doch, dass ich mit dem nächsten Drehbuch wieder eine völlig andere Persönlichkeit sein darf."

Momentan ist sie eine verstörte Frau, die panische Angst um ihren Sohn hat und sich von einer Mordverschwörung umgeben glaubt. Ihr Haarfarbe ist jetzt ein dunkles Honigblond. So stand sie für den norwegischen Regisseur Pål Sletaune und seinen Film "Babycall" vor der Kamera, auch dieser Dreh steckt ihr noch in den Knochen.

Heimatlose Punk-Rebellin

Vor Lisbeth Salander war sie auch schon eine Teenage-Mutter, die ihr Baby tötet, eine verzweifelte Selbstmörderin, und so fort. Offenbar liebt sie es, sich in besonders extreme Rollen zu stürzen. Und im Gespräch wirkt sie sehr ernst. "Ich schätze, ich habe ein Problem, wenn ich jetzt hier in Cannes den ganzen Fotografen gegenübertreten muss", sagt sie. "Ich weiß, was sie von mir wollen - aber etwas in mir sträubt sich dagegen, es ihnen auch zu geben. Ich glaube nicht, dass ich auf dem Roten Teppich ein Lächeln zustande bringen werde."

Genau diese Kompromisslosigkeit, gepaart mit der Weigerung, sich bequemen Konventionen zu beugen, hat Noomi Rapace aber überhaupt erst nach Cannes gebracht - und internationale Regisseure auf sie aufmerksam gemacht. Und so war sie offenbar schon immer:

Mit vierzehn Jahren die absolute Rebellin, die sich in der höflich-verlogenen schwedischen Gesellschaft gänzlich heimatlos fühlte, mit Piercings, blonder Punkfrisur, jeden Tag betrunken an der Tankstelle. Mit fünfzehn dann aber der totale Schnitt, kein Tropfen Alkohol mehr, dafür Flucht aus der Kleinstadt, Schluss mit der Schule und Abnabelung von der Mutter. Völlig allein zog Noomi nach Stockholm, nahm sich eine kleine Wohnung und schloss sich einer Theatertruppe an. Die Mutter, offenbar eine bemerkenswert gelassene Frau, machte sich offenbar keine großen Sorgen um sie - und Noomi kam zurecht. "Was ich mache, mache ich richtig", sagt sie.

Und genau aus diesem Grund kommt es natürlich auch nicht in Frage, dass Noomi die Rolle der Lisbeth Salander noch einmal spielt - wenn jetzt, wie geplant, Hollywood die ganze Trilogie einfach noch einmal verfilmt, möglicherweise sogar mit einem Regie-Schwergewicht wie David Fincher hinter der Kamera.

Es kann nur eine geben

Schon die Idee weist sie meilenweit von sich: "Wenn ich das machen würde, wäre es zynisch. Was hätte ich noch Neues in der Rolle zu sagen? Dann ginge es doch nur noch darum, in Amerika bekannt zu werden - und das ist so ziemlich der letzte Grund, warum ich ein Angebot annehmen würde." Verfolgt sie, wie aktuell so ziemlich jeder weibliche Jungstar in Hollywood versucht, sich für diese Rolle ins Gespräch zu bringen? "Klar. Nur leider kann ich mir keines dieser bekannten Gesichter als Lisbeth Salander vorstellen. Sie etwa?"

In der Tat. Es geht nicht. Man sieht immer wieder nur Noomi Rapace vor sich. Sie weiß, dass das künftig auch zum Problem werden kann - dieser selbstgeschaffenen Rebellen-Ikone muss sie erst etwas Neues entgegenstellen, in anderen Rollen eine ähnliche Wirkung entfalten. Aber sie macht sich keine Sorgen. "Ich glaube daran, wenn man eine starke Energie in die Welt ausstrahlt, wird man wie von selbst die richtigen Dinge anziehen." Sagt's und verabschiedet sich, die Termine warten.

Am Abend ist ihr Gesicht auf allen Bildschirmen zu sehen, an der Seite des dänischen Kollegen und Bond-Schurken Mads Mikkelsen, mit dem sie bald drehen wird. Sie steht auf dem Roten Teppich. "Noomi, Noomi", schreien die Fotografen. Sie lächelt nicht. Kein einziges Mal.

© SZ vom 31.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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