Nina Hagen wird 60:"Warum soll ich meine Pflicht als Frau erfüll'n?"

Pöbeln kann Nina Hagen immer noch ganz gut. Sie bezeichnete Lady Gaga jüngst als "satanische Schlampe". Wie die 60-Jährige zur "Mutter des Punk" wurde - und warum sie heute enthaltsam lebt: elf Zitate zum Geburtstag.

Von Johanna Bruckner

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"Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael, nun glaubt uns kein Mensch, wie schön's hier war."

Nina Hagen

Quelle: dpa/imago

Edo Reents von der FAZ hat einmal über sie geschrieben: "Nina Hagen ist ein besonders krasser Fall von Talentvergeudung." Es war der allererste Satz seiner Besprechung von "Personal Jesus". Auf diesem Album singt Hagen ausschließlich Gospel-, Blues- und Country-Songs. Die Kritik fällt dann durchaus positiv aus - der Satz ist vielleicht gerade deswegen wahr. Denn 2010, als die Platte herauskommt, ist die "Mutter des deutschen Punk" längst nicht mehr in erster Linie als Musikerin im öffentlichen Bewusstsein präsent. Sie ist eine Kunstfigur, die mit ihrem Privatleben Schlagzeilen macht, oder mit kalkuliert-unflätigem Verhalten in Talkshows. Das jüngere Publikum kennt sie als Jurorin der Castingshow Popstars - mehr Musik ist nicht.

Dabei landet Nina Hagen, geboren am 11. März 1955 in Ostberlin als Catharina Hagen, ihren ersten Hit, da ist sie noch nicht einmal 20. "Du hast den Farbfilm vergessen" heißt der Song, der sie als Leadsängerin der Band Automobil 1974 in der DDR bekannt macht (aus diesem Jahr datiert auch das Foto). Hagen stammt aus einer Künstlerfamilie: Ihr Vater ist der Drehbuchautor Hans Oliva-Hagen (Karbid und der Sauerampfer, 1963), ihre Mutter die Sängerin und Schauspielerin Eva-Maria Hagen. Über ihre Mutter, die Mitte der Sechzigerjahre eine Beziehung mit dem Liedermacher Wolf Biermann eingeht, kommt Hagen früh mit systemkritischer Musik in Berührung. Wobei das Liedchen über die Folgen eines Urlaubs ohne Farbfoto-Dokumentation vor dem Hintergrund der heutigen Selbstdarstellungsmanie in sozialen Medien geradezu prophetisch wirkt. Da heißt es: "Ich im Bikini und ich am FKK // Ich frech im Mini, Landschaft ist auch da - ja // Aber, wie schrecklich, die Tränen kullern heiß // Landschaft und Nina und alles nur schwarzweiß".

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"Sollen sie doch gleich ins Pornogeschäft einsteigen."

Jul 10 1985 Montreaux Switzerland The opening of the International Jazz Festival took place in M; Nina Hafen

Quelle: imago/ZUMA/Keystone

Man würde Nina Hagen zu gerne über Smartphones und Selfies singen hören. Doch die 60-Jährige zieht sich heute lieber auf ihre Rolle als strenge Musikkritikerin zurück. Über die jüngere Konkurrenz sagt sie in einem Interview mit dem Standard: "Es tut mir auch weh, wenn ich sehe, wie Lady Gaga, Beyoncé, Rihanna, Britney und Madonna ständig die Beine breitmachen und ihre dünnen Höschen herzeigen müssen. Da sollen sie doch gleich ins Pornogeschäft einsteigen." Lady Gaga bezeichnet Hagen in einer österreichischen Talkshow gleich als "satanische Schlampe".

Das im Bild ist im Übrigen weder Madonna noch Lady Gaga - sondern Nina Hagen. 1985, bei einem Auftritt in der Schweiz.

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"Ob blond ob schwarz ob braun, ich liebe alle Frau'n."

Nina Hagen

Quelle: imago stock&people

Die Lust an der Provokation hat Nina Hagen nie verloren, auch wenn sie musikalisch zwischenzeitlich experimentierte. Ihr jüngstes Album "Volksbeat" aus dem Jahr 2011 ist größtenteils wieder ungeschliffener Punkrock, hier hat Hagen ihre musikalischen Wurzeln. Nach der Ausbürgerung aus der DDR - mit Mutter Eva-Maria folgt sie Biermann 1976 nach Westberlin - genießt sie ihre Freiheit. Und lernt den Punk kennen: In London trifft sie Ende der Siebzigerjahre Johnny Rotten von den legendären Sex Pistols und spielt einige Zeit in der Frauenpunkband The Slits.

Ende 1977 kehrt sie dann nach Westberlin zurück und gründet gemeinsam mit den Mitgliedern des Polit-Rock-Kabaretts Lokomotive Kreuzberg die Nina Hagen Band (im Bild). Gemanagt wird die Truppe bald von Fotograf Jim Rakete. Bereits das Album "Nina Hagen Band" (1978) ist ein Erfolg, mehr als 250 000 Exemplare des Debüts werden verkauft. Die Musiker prangern die Volksverdummung durch das Fernsehen an ("TV Glotzer") und thematisieren lesbische Liebe ("Auf'm Bahnhof Zoo", aus diesem Lied stammt auch das obige Zitat) - das kommt an bei der Reihenhausjugend, die vorher nicht so recht zu wissen schien, wogegen sie sich auflehnen soll.

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"Like an opera singer gone haywire"

Nina Hagen

Quelle: imago stock&people

Auch in England und Amerika findet die deutsche Punk-Interpretation Beachtung. Die New York Times schreibt nach einem Auftritt der Band: "Miss Hagen (...) performed like an opera singer gone haywire." Übersetzt etwa: Fräulein Hagen trat auf wie eine völlig durchgedrehte Opernsängerin." Das ist tatsächlich ein Kompliment. Denn Nina Hagen, das tritt bei ihrem auffälligen Äußeren allzu häufig in den Hintergrund, ist eine außergewöhnliche Sängerin. Sie spielt mit ihrer Stimme wie mit einem Instrument, vermeintliche Misstöne setzt sie gezielt ein, um Text und Ton zu einer Botschaft zu machen. Der internationale Durchbruch misslingt dennoch: Bereits während der Europatournee 1979 steigt Hagen aus ihrer eigenen Band aus. Angeblich forderte sie für sich höhere Gagen.

Aus vertraglichen Gründen folgt trotzdem noch eine zweite Platte der Nina Hagen Band: Obwohl Gesang und Musik wegen der internen Streitigkeiten getrennt aufgenommen werden, schafft es "Unbehagen" 1979 auf Platz zwei der Albumcharts. Hagens Bandkollegen benennen sich anschließend um und sind als Spliff leidlich erfolgreich.

Archivbild aus dem Jahr 1983

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"Hören Sie mal, ich bin nicht umsonst aus der DDR abgehauen!"

Nina Hagen

Quelle: DPA

Hagen versucht sich in den Folgejahren weiter als Bandmusikerin, später dann als Solosängerin - doch an die Anfangserfolge kann sie nie mehr anknüpfen. Eine Rebellin bleibt sie allerdings. Sie setzt sich für politische Ziele ein, für den Tierschutz, oder wettert gegen das deutsche Schulsystem. Auf Letzteres angesprochen, sagt sie in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel 2011: "Hören Sie mal, ich bin nicht umsonst aus der DDR abgehauen! Um mich wieder in einer unfreiheitlichen Hölle wiederzufinden, dafür bin ich nicht am Leben."

Doch Punksein bedeutet für Hagen nicht nur gegen das Establishment zu sein, es gehe auch darum, irgendwo dazu gehören zu wollen, erklärt sie einmal in einem Spiegel-Interview. Und dann gibt es auch ganz praktische Gründe: "Ein Punk zu sein, das kann man sich zumindest finanziell gut leisten. Teuer ist das nicht."

Archivbild aus dem Jahr 1988

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"Warum soll ich meine Pflicht als Frau erfüll'n? Für wen? Für die? Für dich? Für mich?"

Nina Hafen

Quelle: imago stock&people

Obwohl Nina Hagen im Song "Unbeschreiblich weiblich" (1978, aus diesem Lied stammt auch das obige Zitat) gegen das traditionelle Frauenbild aufbegehrt und von Kindern nichts wissen will ("Ich schaff' mir keine kleinen Kinder an"), ist sie inzwischen zweifache Mutter. 1981 wird Tochter Cosma Shiva Hagen geboren (im Bild, 1983), Sohn Otis kommt 1990 zur Welt.

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"Meine Mutter muss ja immer die Böse sein."

'7 Zwerge - Der Wald ist nicht genug'

Quelle: dpa

Mit Cosma Shiva, die größtenteils bei der Großmutter aufwächst, spielt Nina in der Otto-Waalkes-Filmreihe "7 Zwerge". Die Tochter spielt das Schneewittchen, ihre Mutter gibt die böse Königin. "Meine Mutter muss ja immer die Böse spielen", erklärt Cosma Shiva Hagen 2014 in einem Interview mit der Welt am Sonntag. "Ich glaube ja, deswegen verliert das irgendwann dann den Reiz. Es ist nicht mehr ganz so spannend, wenn man immer dasselbe macht. Aber sie macht das nach wie vor sehr gerne."

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"Das ist ein richtiger Tod, wenn eine Liebe verraten wird."

Nina Hagen

Quelle: imago stock&people

In der Liebe hat Hagen kein Glück: Der Vater von Cosma Shiva, der niederländische Gitarrist Ferdinand Karmelk, ist heroinsüchtig und stirbt 1988 an Aids. Den Vater ihres Sohnes Otis, den Franzosen Franck Chevalier, sieht Hagen 2000 vor Gericht wieder: Die beiden streiten erbittert um das Sorgerecht. Ihre beiden Ehen (mit dem 15 Jahre jüngeren David Lynn, im Bild rechts, und dem 22 Jahre jüngeren Lucas Alexander Breinholm) zerbrechen.

Dem Standard sagt Hagen 2010: "Zum Schluss war es jedes Mal das Gleiche: Es endet in einem Tod. (...) Irgendwann hatte ich keine Lust mehr zu sterben und sagte: Jetzt ist genug gestorben." Seit ihrer zweiten Scheidung 2005 lebt sie nach eigener Aussage enthaltsam.

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"Telegen auffälliges Sozialverhalten garantiert"

BERLINER BEGEGNUNGEN

Quelle: OBS

Nina Hagen gibt nicht nur im Kino die Antiheldin. Auch das Fernsehen besetzt sie zunehmend für eine ganz bestimmte Rolle - sehr zum Leidwesen manches Kritikers. So bedauert SZ-Autor Andrian Kreye 2006, die "Verschleißmaschine Fernsehen" habe Nina Hagen längst zu einem "Zerrbild" reduziert. "Zu einer Krawallschachtel, die immer dann in eine Talkshow eingeladen wird, wenn man mal jemanden braucht, der so richtig 'schrill' und 'schräg' daherkommt, oder was Fernsehredakteuren sonst noch an Adjektiven einfällt, um jemanden zu beschreiben, der telegen auffälliges Sozialverhalten garantiert."

Mehr als einmal kommt es zum Eklat: 1979 demonstriert Hagen in der österreichischen Talkshow "Club 2", wie eine Frau sich Lust verschaffen könne. Die Sängerin ist zwar angezogen, zum Skandal reicht es trotzdem - der Diskussionsleiter muss nach der Sendung seinen Posten räumen. Freiwillig verlässt 2007 der Wissenschaftsjournalist Joachim Bublath das Studio von Menschen bei Maischberger. Zuvor hatte ihn Hagen wegen seiner Esoterik-kritischen Aussagen beleidigt; die Musikerin glaubt an die Existenz von Außerirdischen und Ufos. Als Bublath geht, ruft sie ihm hinterher: "Evil, Alien is going home."

Nina Hagen zu Gast bei Ursula Hürzeler in der 3sat-Sendung Berliner Begegnungen, 2000

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"War das nun schon mein Leben? Meine schöne Phantasie! Meine Schaltstellen sind hinüber."

POPSTARS on Stage Jurorin Nina Hagen: 'Es werden Wunder geschehen!'

Quelle: obs

Das Fernsehen und Nina Hagen - das ist wohl eine Hassliebe. Während der Song "TV Glotzer" (aus diesem Lied stammt das obige Zitat) von 1978 noch eine Abrechnung mit dem Fernsehen ist, wird sie 2006 Mitglied einer TV-Casting-Jury. Bei Popstars entscheidet sie an der Seite von Detlef "D!" Soost und Dieter Falk (im Bild) über die Karriere angehender Sänger. Auf das Format angesprochen, sagt sie in einem Interview mit der SZ: "Diese 'Kommerz-Maschinerie', wie Sie es nennen, die jungen Talenten Workshops und Öffentlichkeit ermöglicht, ist eine Form von Artist Development der Gegenwart."

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"Alle wollen immer in den Himmel, aber keiner hat Bock auf Tod"

Nina Hafen

Quelle: imago stock&people

Nina Hagens ganze Hingabe gilt mittlerweile der Religion. 2009 ließ sie sich von der evangelisch-reformierten Kirche taufen - zu Gott gefunden hat sie nach eigener Aussage aber schon früher. Dem christlichen Magazin Chrismon erzählte sie jüngst: "Als ich 17 war, habe ich LSD genommen, weil ich hoffte, eine Gotteserfahrung zu erleben. (...) Als ich ihn erkannte, habe ich ihn gefragt: Gehst du etwa wieder weg, wie all die anderen? Und da hat Gott mir geantwortet, dass er immer da war und dass er immer da sein wird. Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen."

Auch wenn ein 60. Geburtstag kein Anlass ist über den Tod zu sprechen - Nina Hagen sieht auch diesem Thema gelassen entgegen. "Alle wollen in den Himmel, aber keiner hat Bock auf Tod" heißt ihre deutsche Version des Loretta-Lynn-Songs "Everybody Wants to Go to Heaven".

Dort singt sie: "Und so wart' ich auf den Tag meiner neuen Geburt - im Himmel, wo mir niemals mehr der Magen knurrt". Amen - und alles Gute!

© SZ.de/cag/leja
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