"Nichts, was tragisch wäre":Verschwör' dich gegen dich selbst

Hier schreibt jemand, dass er nicht schreiben kann: Warum Heike Geißlers neuer Roman keiner ist.

Jutta Person

Etikettenschwindel ist in der Literatur so gängig wie in anderen Branchen auch, und der Roman ist dabei so etwas wie das Gucci des Verlagswesens: das beliebteste und damit meistkopierte Label, das Qualität und eine runde, propere Geschichte verspricht. Bei Heike Geißlers "Nichts, was tragisch wäre" hat der Verlag aber klugerweise auf das Etikett verzichtet. Es steht einfach keine Gattungsbezeichnung unterm Titel, denn man hätte sich eine neue ausdenken müssen: Nichtroman? Antigeschichte? Metablockade?

Eine junge Schriftstellerin quält sich mit dem Ende einer Geschichte, die sie schon lange mit sich herumträgt. Sie verlässt die Stadt, mietet sich einen Bungalow im Grünen, um dort in Ruhe herauszufinden, welchen Verlauf die - eher unglückliche - Liebe im Text nehmen soll. Dann aber wird ihre Heldin lebendig, steht mit einem Pferd im Garten und wehrt sich gegen das, was die Autorin ihr andichten will. Sie sei ein Cowgirl, und mit Beziehungskram habe sie nichts zu schaffen. Nach wenigen Tagen reist die Autorin ab, wirft ihre Papierstapel in die Tonne und scheint langsam zu einem neuen Anfang zu kommen, bei dem die Stadt Halle eine Schlüsselrolle spielt.

Gleichzeitig wird aber noch ein anderes Geschichtsfragment erzählt: Eine junge Schriftstellerin steht auf dem Dach eines Hochhauses in Halle und trägt ein pompöses Kleid, das sie sich nach dem Vorbild der Schauspielerin Dorothy Hale hat schneidern lassen. Die wiederum wurde durch ein Bild von Frieda Kahlo bekannt, auf dem sie in ihrem divenhaften Abendkleid vom Dach eines Hochhauses springt. Mehr Stoff gibt es nicht, und nicht nur deshalb muss man Geduld haben mit diesem Buch: Die Leiden der jungen Schriftstellerin sind anfangs auch für den Leser schwer zu ertragen, und nach einigem Papierhinundhergeräume und Rumgedruckse dieser Blockadekünstlerin möchte man die Geschichte am liebsten aus ihr herausschütteln. Sobald man aber eingesehen hat, dass da nichts mehr kommt, kann man sich ganz auf die Loops konzentrieren, die der Text mit dem Nicht-Schreiben-Können vollführt.

Die schärfste Geißel ist Talent

Mindestens drei Figuren sind es, die sich in poetologisch und philosophisch ergiebigen Verweigerungshaltungen üben: Da ist zum einen die "Lieblingsfigur", die Dame, die so forciert märchenhaft auf ihrem Schimmel daherprescht, dass man zuerst einen leichten Pferdeposter-Grusel verspürt. Der Kitsch ist aber ebenso einkalkuliert wie die Ironie. Das Pferd, sagt die Schriftstellerin zur Lieblingsfigur, habe sie schon längst aus der Geschichte gestrichen. Diese Schriftstellerin heißt "Die, um die es geht" und wird wiederum - dritte Figur - von einem "Ich, die ich die Dinge in Folge reihe" beobachtet. Das Problem besteht darin, wie sich Leben und Literatur zueinander verhalten - und wie die Subjekt-Eigentumsverhältnisse zwischen den unterschiedlichen Ichs geregelt sind: "Eventuell, sagte sie und stieg aus der Wanne, habe ich recht unentschieden gelebt, weil ich mein Leben der Figur übergab. Ich müsste also herausfinden, was mein Leben ist", berichtet die Chronistin von derjenigen, um die es geht.

Man kann sich als Fortsetzung dieser dreifachen Ich-Spiegelung auch noch eine Autorin namens Heike Geißler denken, die vor einigen Jahren einen Debütroman mit dem Titel "Rosa" veröffentlicht hat, der ebenfalls von einem radikalen Rückzug handelte. Möglicherweise, ließe sich spekulieren, trägt eine junge Schriftstellerin, geboren 1977 in Riesa und Gewinnerin des Alfred-Döblin-Förderpreises, durchaus schwer an der Bürde, irgendwann einen zweiten Roman veröffentlichen zu müssen - den Kritiker und Publikum in der Regel weniger fulminant als den ersten finden.

Letztlich sucht das Buch im doppelten Sinne nach einer Art Schreibökonomie: Von irgendwas müssen Autoren leben, wenn das letzte Stipendium aufgebraucht ist - "mit der unfertigen Geschichte war kein Einkommen zu gestalten", sorgt sich die Schriftstellerin -, so dass man also haushalten muss mit den Ideen. Neu ist der Gedanke, den eigenen Writer's Block zum Thema des Schreibens zu machen, natürlich nicht. Dass Figuren lebendig werden, dass dem Autor der Text über den Kopf wächst, steht in einer langen künstlerischen Tradition: von Thomas Manns "Schwere Stunde", in dem Schiller sich das Ende des "Wallenstein" abquält - "den Größten, den Ungenügsamsten ist ihr Talent die schärfste Geißel", heißt es dort -, bis zu den lustigeren Film-Varianten wie "Barton Fink" und "Deconstructing Harry".

Mit Tragödien und divenhafter Leidens-Gestik kann "Nichts, was tragisch wäre" erklärtermaßen nichts anfangen, denn Verklärungen und Hysterie seien die Utensilien anderer Jahrhunderte, meinen die selbstreflexiven Schriftstellerinnen. Aber auch die komischen Meta-Ebenen sind diesem Ich-Trio nicht vergönnt, denn immerhin steht mindestens eine von ihnen auf einem Hochhausdach und bringt dabei suizidale Künstler ins Spiel: neben Dorothy Hale den Singer-Songwriter Eliott Smith (dessen bestes Plattencover zwei von einem Hochhaus segelnde Gestalten ziert).

Dieses Kreisen um eine angemessene, nicht-tragische Haltung wird vor allem in der Sprache vollzogen: Heike Geißler schlägt einen verträumten, manchmal altertümelnden Ton voller "Potzblitz" und "Du meine Güte" an, was wohl an den ebenfalls durch den Text geisternden Karl Philipp Moritz erinnern soll. Doch die vermeintliche Naivität und Einfältigkeit dieser Redeweise ist Teil eines Programms, an dessen Ende die Figuren umso härter wieder auf dem Boden der Tatsachen in Halle landen.

Bei all den kunstvollen Meta-Schleifen bleibt trotzdem der Eindruck, um die eigentliche Geschichte geprellt worden zu sein. Heike Geißlers erster Roman "Rosa" über eine junge Frau, die ihr Kind verlässt, war fulminanter als diese selbstreflexive Nichtgeschichte. Sie passt zur musikalischen Kapitulationserklärung dieses Sommers: Nicht nur die Band Tocotronic hat mit ihrem Album "Kapitulation" den Rausch des Negativen entdeckt. Man kann das Prinzip Verneinung auch literarisch ökonomisieren, das beweist Heike Geißlers zweites Buch auf ebenso verspielte wie verstiegene Weise. Und wer sich so hartnäckig gegen sich selbst verschwört, wird als nächstes vielleicht eine Trumpfgeschichte aus dem Ärmel schütteln.

HEIKE GEISSLER: Nichts, was tragisch wäre. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007. 127 Seiten, 16 Euro.

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