Neues Pynchon-Buch?:Fleischiges Comeback

Neues Pynchon-Buch?: Auge mal Pi - das Titelbild zum Roman "Cow Country", den womöglich Thomas Pynchon schrieb.

Auge mal Pi - das Titelbild zum Roman "Cow Country", den womöglich Thomas Pynchon schrieb.

(Foto: Verlag)

"Cow Country" heißt das Buch, und offensichtlich spricht viel dafür, dass sich der große Thomas Pynchon damit einen Jux machte.

Von Jörg Häntzschel

Im April erschien in den USA der 540-seitige Roman "Cow Country" von Adrian Jones Pearson, und fast niemand nahm davon Notiz. Das ist nicht ungewöhnlich. Hunderte Werke unbekannter Autoren erleiden dieses Schicksal. Ungewöhnlich ist nur, dass es sich bei dem ominösen Pearson in Wahrheit um Amerikas bekanntesten literarischen Versteckspieler handeln soll: Thomas Pynchon. Das behauptet jedenfalls der Literaturkritiker Art Winslow auf der Website des Kulturmagazins Harper's. Für Pynchon-Fans, die große Freunde von Verschwörungstheorien sind, ist es, als fielen Weihnachten und Silvester zusammen.

Dass etwas nicht stimmt mit diesem Buch, fällt schnell auf. Erschienen ist es als erster und einziger Titel im Verlag Cow Eye Press, als dessen Sitz eine Briefkastenadresse in Cheyenne, Wyoming genannt wird. Über Pearson heißt es bei Amazon: "Seine Arbeiten erschienen unter mehreren Pseudonymen, darunter diesem." Und auch sonst hatte hier jemand viel Spaß daran, Realität und Erfindung ins Schwimmen zu bringen. Im - inzwischen revidierten - Wikipedia-Eintrag für "Cow Country" hieß es, das Buch sei in der Auswahl für den "Dimwiddle Prize for First Fiction" gewesen und habe eine "Kontroverse unter Lehrkräften und Mitarbeitern des Cow Eye Community College" ausgelöst, weil diese "Zweifel an der Authentizität des Buchs" hatten.

Doch weder existiert der Preis noch das College, auch wenn es eine Website hat. Beim Cow Eye Examiner, der Quelle für den Bericht über die "Kontroverse", handelt es sich um eine Zeitungsparodie im Internet, in der, neben einem Interview mit Pearson, auch Bürger aus Cow Eye Junction gefragt werden, welchen zeitgenössischen Roman sie zuletzt gelesen haben. Der "Bestatter Alexander D. Westershire III." antwortet darauf: "Ich fand ,Gravity's Rainbow' von Thomas Pynchon eine sehr charmante Lektüre." Doch das ist nicht der einzige Hinweis auf den 78-jährigen Autor, der sich seit 40 Jahren mitten in Manhattan versteckt.

Ein anderer ist die groteske Geschichte selbst. Charlie, der Ich-Erzähler, trifft im staubigen Cow Eye Junction ein, um als "Sonderprojekt-Koordinator" das dortige Community College vor dem Untergang zu retten. Wirtschaftlich läuft es hier dank der Spenden aus der Rüstungsdynastie Dimwiddle gut. Doch der erbitterte Streit zwischen Fleischessern und Vegetariern hat die Belegschaft gespalten. Charlies erste Aufgabe besteht darin, die Weihnachtsfeier zu organisieren. Doch vorher muss er einen Kennenlern-Event für die neuen Mitarbeiter überstehen, bei dem ein Stier kastriert wird. Und so geht es weiter in dieser bizarren, völlig anstrengungslos hinfabulierten Satire.

Art Winslow erkennt Pynchon hier an jeder Ecke: In der die Bodenhaftung verlierenden Roman-Realität, der ungehemmten Albernheit, den grotesken Namen. Doch während der echte Pynchon mehr Gags in jedem Satz unterbringt als ein Standup-Comedian, ist "Cow Country" eher im gelungen parodierten Ton eines Trivialschinkens von etwa 1951 erzählt. Ebenso fehlen Pynchon-Markenzeichen, die Songs zum Beispiel. Immerhin: Ein paar pynchonesk-absurde Diagramme hat "Pearson" untergebracht.

Während bei Wikipedia "Cow Country" bereits in Pynchons Werkliste geführt wird, soll dessen Verlag erklärt haben, sein Autor habe mit dem Buch nichts zu tun. Manche spekulieren jetzt, dass in Wahrheit der 1973 geborene New Yorker "Schriftsteller, Bioethiker, Arzt, Anwalt und Gesellschaftskritiker" (einmal mehr: Wikipedia) Jacob M. Appel der Autor ist. Immerhin wurde die Website cowcountry.com ursprünglich unter "J. Appel" registriert. Außerdem gebe es thematische Ähnlichkeiten zwischen "Cow Country" und Appels letztem Erzählungsband "Einstein's Beach House" (der Kritiker allerdings an T. C. Boyle denken ließ). Andere behaupten, "Cow Country" sei das Werk eines Kollektivs. Und wieder andere fragen sich, ob nicht Art Winslow selbst das Buch geschrieben habe. Anders als das Buch selbst liest sich sein Harper's-Text tatsächlich wie Pynchon. Literarische Ambitionen sind ihm zumindest nicht fremd. "Art Winslow . . . arbeitet derzeit an einem Roman", heißt es im Abspann seines Artikels.

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