Neues Neil-Young-Album:Hutbürger

Neues Neil-Young-Album: Dem Weltuntergang kann nur ein MacGyver mit einem kaputten Strohhut Paroli bieten. Doch reicht das, um den Planeten zu retten?

Dem Weltuntergang kann nur ein MacGyver mit einem kaputten Strohhut Paroli bieten. Doch reicht das, um den Planeten zu retten?

(Foto: Emily Dyan Ibarra / Warner Pressefoto)

Neil Youngs Album "The Monsanto Years" hetzt schlecht gelaunt die Kavallerie auf einen Herbizidkonzern los, bleibt dann aber in Lifestyle-Plörre stecken.

Von Karl Bruckmaier

Im Golfsport gibt es die tröstliche Mulligan-Regel: Wer seinen ersten Abschlag versemmelt, darf straffrei ein weiteres Mal sein Unvermögen unter Beweis stellen. Und wenn eine ganz besonders trostbedürftige Truppe unterwegs ist, dann darf man den Mulligan sogar mit auf die Runde nehmen und nach Belieben einsetzen; das nennt sich dann Wander-Mulligan und wird von ernsthaften Spielern noch nicht einmal ignoriert, um Kurt Tucholsky zu zitieren.

Nun ist Neil Young seit fünfzig Jahren auf dem Platz, und man hatte schon öfters den Eindruck, dieses oder jenes Album sei Mulligan-Material, "Trans" vielleicht oder "Re-Actor" oder "Road Rock", aber da haben wir uns alle getäuscht: "The Monsanto Years" wird den Wander-Mulligan ein für alle Mal in Anspruch nehmen, um im Anschluss auf ewig vergessen werden zu können. Straffrei.

Bevor ich nun endgültig loswettere in Sachen "The Monsanto Years", erbitte auch ich von den Lesern Straffreiheit. Dass eine Gitarre nicht mehr als sechs Saiten braucht, lernte ich von Neil Young. Ich habe zu seiner Musik geliebt, gelitten und - ganz selten - gelacht. Mindestens ein halbes Dutzend seiner Platten würde ich mit auf die einsame Insel nehmen, selbst wenn nur drei erlaubt wären, und ich stimme Bob Dylan aus vollem Herzen zu, wenn er singt: "Forever Young!"

Neil Young ist mein Hirte, und ich bin das Schaf, das zu jeder Tages- und Nachtzeit ergeben zu ihm aufblökt. Und wenn ich das Geld hätte, ich würde mir einen seiner handgeschnitzten Elektro-Straßenkreuzer kaufen. Genug der vertrauensvoll dargebotenen Kehle: Dass Neil Young zwischen übertriebenem Patriotismus und untertriebenem Perfektionswillen zu changieren weiß, ist bekannt. Niemand kann so cholerisch und spontan ein paar Musiker zusammentreiben wie Neil Young, um der guten Sache von jetzt auf gleich ein paar nutzbringende Lieder zur Verfügung zu stellen. Gegen das Sponsorenunwesen, für die Umwelt. Wegen 9/11 oder trotz Ronald Reagan. Kein Aneurysma und kein böswilliger Weltkonzern vermag ihn zu stoppen. Schon gar nicht seine Plattenfirma.

Sein kanadischer Landei-Furor kann vernichtend sein - oder albern. Für die "Monsanto Years" hat er sich insbesondere den bereits im Titel genannten Saatgut-Multi und die Lifestyleplörre-Firma Starbucks herausgepickt, um seinem Grant ein Ziel zu geben. Wenn die Kavallerie schon losprescht, dann soll es wenigstens ein würdiger Gegner sein: eine neoliberale Heuschrecke, die mit verwüstender Eigendynamik von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent streift, Gentechnik im Gefolge, Pestizide, verarmende Bauern, verdorbene Böden. Die Apokalypse.

Doch dem Weltuntergang kann nur ein MacGyver mit einem kaputten Strohhut und zwei braunen Schnürsenkeln Paroli bieten. Selbst wenn man Neil Young heißt, sind ein paar schlecht gereimte Zeilen, ein paar aus der eigenen Vergangenheit geborgte Riffs und die willigen, aber nicht notwendigerweise fähigen Söhne von Willie Nelson als Mitstreiter nicht ausreichend, um die Welt am Abgrund aus ihrer Lethargie zu reißen und den Planeten zu retten.

Neil Young trifft keinen höheren Ton mehr. Das sagt ihm weder ein Produzent noch ein Mitmusiker

Ebenso wenig profitieren die Texte und die Musik davon, wenn man auf uramerikanische Art und Weise die Mutter Erde - oder wahlweise: die Natur - mit quasi-religiöser Qualität auflädt, sodass man ihr schließlich nur noch als persönlich Verantwortlicher gegenüberzutreten vermag: my personal Gäa. Jessas! Dass Neil Young altersbedingt keinen höheren Ton mehr trifft, ihm dies aber von keinem Produzenten oder Mitmusiker gesagt wird, macht die Sache auch nicht besser.

Und das wirklich Schlimme ist, dass man nach ein paar Liedern anfängt, mit Monsanto zu sympathisieren. Für meinen Teil würde ich lieber einen fundierten Text in einer Tageszeitung lesen über die Rolle des Agrarkonzerns im gegenwärtigen Ukraine-Konflikt - und auf die mühsam gereimten Anwürfe Neil Youngs verzichten. Wie, das Album wird ohnehin weltweit nicht einmal ignoriert? Dann kann ich mir ja beruhigt Youngs "Cortez the Killer" auflegen.

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