Neues Buch:So viele Schrecken

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Omar El Akkad sattelt in seinem utopischen Roman "American War" den Gaul der Apokalypse und reitet durch Trumps Amerika. Wohin er schaut: Sezession, Niedergang und Niedertracht, ein Land im Zerfall.

Von Thomas Steinfeld

Es gibt viele Passagen in diesem Roman, die von großer literarischer Unbeholfenheit zeugen. Sie lauten zum Beispiel so: "Meine Mutter stand auf. ,Du hast recht, wenn du denkst, dass ich dich nicht liebenswert finde', sagte sie. ... So viele schreckliche Dinge haben dich zu dem gemacht, was du jetzt bist, aber ich muss mit dem leben, was dich dazu gemacht hat, ich muss mit dem leben, was du bist. Und ich weiß, du findest mich auch nicht liebenswert." Der Autor will hier seinen Lesern erklären, dass man der Familie nicht entkommt. Ihre Bande sind verpflichtender, als es Gefühle je werden können. Aber er vermag keine intimen Situationen zu entwickeln. Stattdessen versetzt er seine Figuren in eine Szene wie aus dem Boulevardtheater, in der sie einander erklären, was eigentlich für den Leser bestimmt ist, einschließlich eines eher grotesken Rekurses auf die Verhaltensforschung. Und er tut es in einer Sprache, die nie jemand sprach, bevor sie in dieses Werk aufgenommen wurde, weder auf Englisch noch auf Deutsch.

Als Omar El Akkads Roman "American War" in diesem Frühjahr in den Vereinigten Staaten erschien, erregte das Buch einiges Aufsehen. Die New York Times sprach von einem "erstaunlich kraftvollen" Werk und verglich es mit Cormac McCarthys "Die Straße" (2006) und Philip Roths "Verschwörung gegen Amerika" (2004), der Boston Globe erklärte es zu einem "äußerst ungewöhnlichen Roman, in dem eine ergreifende Geschichte mit einem elegischen Erzählton verknüpft wird". Und The Globe and Mail, die größte kanadische Tageszeitung, lobte ein "schaurig plausibles Meisterwerk". Kurz erschien das Buch auf der amerikanischen Bestsellerliste. Dann verschwand es wieder, um nun, nach ungewöhnlich kurzer Frist, in der deutschen Übersetzung aufzutauchen. All diese Dinge gehören zusammen: der unbeholfene Zugang zur Literatur, das heftige Erstaunen, die nur kurz anhaltende Begeisterung und die Geschwindigkeit, mit der dieser Roman übersetzt wird. Denn "American War" ist, mehr als andere, eine Art Kriegsberichterstattung, die mit Mitteln der literarischen Fiktion arbeitet.

Die Vereinigten Staaten ohne amerikanisches Imperium, infolge von Naturkatastrophen und innerem Zerfall. Zurück bleibt die zerfetzte Fahne: Soldat im Sezessionskrieg (1861 - 65). (Foto: SZ Photo, Anna Mehler Paperny)

Omar El Akkad, der Autor, kommt aus dem Journalismus. Bevor er diesen Roman schrieb, verfasste er vor allem Reportagen für Zeitungen, über Afghanistan und den Arabischen Frühling, über das Lager in Guantanamo Bay und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung Black Lives Matter. Diese Schule merkt man dem Roman deutlich an.

Das Buch "American War" erscheint als utopischer Roman. Die Geschichte spielt gegen Ende des 21. und zu Beginn des 22. Jahrhunderts, in der Weltgegend, die heute noch die Vereinigten Staaten bilden. Von der größten ökonomischen und militärischen Macht auf dem Globus ist allerdings wenig übrig geblieben. Das Meer hat die Küstenlandschaften verschlungen, so dass die Menschen zu Millionen in den Mittleren Westen geflohen sind. Weite Landstriche sind unbewohnbar, der Hitze wegen. Der Südwesten der ehemaligen Vereinigten Staaten, von Texas über Utah bis Kalifornien, ist mexikanisches Protektorat. In einem zweiten Sezessionskrieg haben sich die Südstaaten von den "Blauen" getrennt. Dieser Krieg ist zwar zu einer Art Stillstand gekommen, aber er wird auf niedrigerem Niveau und mit großer Bosheit weitergeführt: Die Nordstaaten haben den Süden in ein Gefängnis verwandelt, der Süden rächt sich per Guerilla.

Dieser Roman ist wie eine Schutzimpfung: Man lässt sich probehalber infizieren

"Man muss nur die Linien der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen um ein paar Jahrzehnte in die Zukunft verlängern", erklärt der Kritiker der Washington Post, "um bei den Schreckensszenarien dieses Debütromans zu landen". Der Stoff, aus dem die Utopie besteht, ist tatsächlich ganz und gar der Gegenwart entnommen. Das gilt im Großen, für das Ansteigen des Meeresspiegels, für das Versiegen der Ölvorkommen, für die Revolte des armen, ländlichen Südens gegen den urbanen Norden, für die Möglichkeiten der biologischen Kriegführung, für den Aufstieg Chinas zur Weltmacht. Und es gilt für die etwas kleineren Verhältnisse: Das Flüchtlingscamp ("Camp Patience") erinnert an die Lager der palästinensischen Flüchtlinge, die Folterszenen sind offenbar von den Geschehnissen in Guantanamo Bay inspiriert, über den Köpfen surren die Drohnen, der nächste Wirbelsturm ist unterwegs.

Literarische Utopien haben oft den Charakter von Schutzimpfungen: Sie bebildern die Ereignisse, deren Eintreten man gegenwärtig befürchtet, und sie tun es verbunden mit der Hoffnung, man könne den Bedrohungen zumindest einen Teil ihrer Gewalt nehmen, wenn man in der Fantasie schon einmal das Überleben darin erprobt hat. Der Roman "American War" hat viel von einer solchen Schutzimpfung.

Der Held dieser Geschichte ist ein "tomboy" namens "Sarat", ein Mädchen mit jungenhaften Zügen, das zu einer Frau mit sehr männlichen Attributen heranwächst - und zu einer Kampfmaschine mit übermenschlichen Fähigkeiten. In ihrer Gestalt verschmelzen Lara Croft und Calamity Jane, Lisbeth Salander und John Rambo (einschließlich des hängenden Bauchs und der schlaffen Brustmuskeln des späten Sylvester Stallone). Sie wächst am Ufer des Mississippi auf, verliert ihre Heimat, als ihr Vater einem Terroranschlag zum Opfer fällt, wird im Flüchtlingslager von einem geheimnisvollen Meister zur Kämpferin ausgebildet und schließlich zur Terroristin. Diese Figur ist, literarisch betrachtet, das größte Problem dieses Romans. Sie besitzt kein Innenleben, ihre Beweggründe (vor allem: der Hass auf den Norden) bleiben unveränderlich, ein paar sentimentale Momente - die Liebe zu einer Wirtstochter, die Zuneigung zu ihrem kleinen Neffen - erscheinen erfunden, um einer allegorischen Gestalt einen Schein von Lebendigkeit zu verleihen. Während der Gaul der Apokalypse über die verwüsteten Landschaften galoppiert, von Elendsszene zu Elendsszene (und: von imaginärer Reportage zu imaginärer Reportage), wechselt seine Reiterin nicht einmal die Sitzhaltung, geschweige denn den Gesichtsausdruck.

Omar al-Akkad

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(Foto: Anna Mehler Paperny)

"Lange bevor die ersten Bomben fielen, wusste jeder, dass die Menschen in diesem Land im Begriff waren, einer über den anderen herzufallen." Foto: Anna Mehler Paperny

Zum Versuch, den Ereignissen, vor denen man sich fürchtet, das Bedrohliche zu nehmen, indem man sie im Geist schon einmal durchspielt, gehört eine besondere Form der Genugtuung. Die Fantasie gilt darin als schon beinahe eingetretene Tatsache. "Seht ihr, was habe ich gesagt", möchte der Anhänger einer solchen Fantasie gern ausrufen, "das habt ihr nun davon." Das Bedürfnis nach einer solchen eingebildeten Genugtuung, gegen die gegenwärtige Politik der Vereinigten Staaten und womöglich sogar gegen Präsident Trump gewendet, ist in vielen Details dieser Geschichte zu bemerken: an der Grenzbefestigung zum Beispiel, die errichtet wurde, um Amerikaner vor Amerikanern zu schützen, am Vordringen Mexikos in die amerikanischen Kernlande, am Aufstieg der arabischen Welt zur globalen Großmacht, die den Vereinigten Staaten mit humanitärer Hilfe beistehen muss.

Doch ist eine solchermaßen imaginäre Genugtuung eine ohnmächtige Angelegenheit. Sie erreicht allenfalls die Gleichgesinnten, denen sie womöglich eine kleine Euphorie verschafft. Und während dieser Rausch bald verfliegt, ändert sich an der Wirklichkeit nichts, abgesehen davon, dass der politische Gegner einen Grund mehr hat, sich über die Apokalyptiker von der anderen Seite moralisch zu erheben.

Und so kann man diesem Buch den Vorwurf nicht ersparen, es an Plausibilität fehlen zu lassen. Die Unglaubwürdigkeit beginnt mit der Konstruktion der historischen Voraussetzungen für diese Geschichte. Wenn das Öl tatsächlich zur Neige geht - wäre es dann nicht absurd, einen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen, weil man sich einem Verbot von Benzinmotoren nicht unterwerfen will? Und gar als Zweitauflage eines Sezessionskriegs, in dem es einst um wesentlich ernstere Dinge ging, nämlich um die Durchsetzung des industriellen Kapitals gegen eine Agrarwirtschaft, die sich auf Grundlage unendlicher natürlicher Ressourcen souverän dünkte?

Die Unglaubwürdigkeit endet mit der Perspektive, aus der dieser Roman erzählt wird: Denn sein angeblicher Verfasser ist ein Historiker, der nach dem Untergang des amerikanischen Imperiums, nach zwanzig Jahren Bürgerkrieg und nach einer Epidemie, die mehr als hundert Millionen Amerikanern das Leben gekostet haben soll, in seinem Studierzimmer sitzt und schreibt - so als gäbe es immer noch die Universitäten, immer noch die Geschichtswissenschaften, immer noch die Verehrung der akademischen Disziplin für das authentische Dokument. Kurz: als wäre eine zukünftige Apokalypse nur ein spektakulärer Fall für eine Gegenwart von geballter Harmlosigkeit.

Omar El Akkad: American War. Roman. Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 448 Seiten, 24 Euro.

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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