Neues Album von "Trümmer":Revolte im Neonlicht, morgens um halb sechs

Trümmer

Besser werden in einer Art, die Arbeitgebern nichts nützt: Die Band "Trümmer".

(Foto: Alexandra Kinga Fekete)

Inspiriert vom Schriftsteller William Burroughs feiert die Hamburger Band "Trümmer" auf ihrem neuen Album den Widerstand in berauschten Nächten.

Von Annett Scheffel

Für einen Moment fragt man sich dann doch, ob William Burroughs sich das mit der hedonistischen Endzeitstimmung ungefähr so gedacht hat? Man solle sich jetzt ruhig mal entgrenzen, fordert Paul Pötsch, der Sänger der Hamburger Band Trümmer, schweißgebadet und heiser von der Bühne hinunter in den engen dunstigen Raum: "Schaut hinab auf diese kleine Welt und euer kleines Ich!" Es ist ihm ernst mit diesem aufrichtigen, heißen Verlangen nach ein bisschen Kontrollverlust. Burroughs, an dessen fieberwahnartige Bewusstseinsstrom-Zwischenwelt aus "Naked Lunch" der Titel des zweiten Albums der Band angelehnt ist, hätte wahrscheinlich knurrend mit dem Kopf geschüttelt.

Nicht wegen der Musik auf "Interzone" (PIAS) oder wegen der Themenkomplexe, die hier in kunstvoll schlingernden Bahnen durchmessen werden - Rausch, Selbstüberschreitung, nächtliche Verheißungen. Sondern weil er von unserer Zeit, weil er vom Druck, unter dem die Selbstoptimierungsgeneration lebt, wohl nichts verstanden hätte.

Auf ihrem Debütalbum fragte die Band etwas kokett: "Wo ist die Euphorie?"

Trümmer, so scheint es, verstehen davon sehr viel. Oder immerhin genug, um einen dieser verheißungsvollen nächtlichen Fluchtorte, die sie in ihren neuen Songs besingen, selbst zu erschaffen. Zur Albumveröffentlichung tourten sie mit ihrer mobilen "Interzone Bar", die so etwas wie der imaginäre Ort der Platte ist und zugleich ihr Imaginationsraum, durch deutsche Städte. Und machten unter anderem auch Halt im Berliner Antje Öklesund, einem halb verfallenen, halb abgebrannten Gebäudekomplex, einer alten Möbelfabrik im Stadtteil Friedrichshain. Eine dieser wenigen verbliebenen, berlintypisch abgeranzten urbanen Leerstellen. Über das Loch, durch das man in den kleinen Konzertsaal gelangt, hängten sie den pinken Neonschriftzug ihres Albumcovers - wie eine geheimnisvolle Ankündigung: Hereinspaziert in die "Interzone".

Bekannt wurden Trümmer vor zwei Jahren, als sie auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum eine sehr kokette und sehr politisch gemeinte Frage stellten: "Wo ist die Euphorie?" Um Auflehnung ging es damals noch - gegen Ernüchterung, Konformismus und Gentrifizierung, und darum, nicht mehr länger herumzusitzen, sondern loszulegen, eine Revolte anzuzetteln, das Land in Brand zu setzen. Weil die drei jungen Hamburger so wenig Angst zeigten vor den großen Utopien, waren sie schnell ausgemacht als neue Hoffnungsträger des deutschen Diskursrocks, als so etwas wie die neuen Blumfeld oder überhaupt die neue Hamburger Schule.

Im vergangenen Jahr schrieben Trümmer dann für das Berliner Haus der Kulturen der Welt die Musik zur Punkrock-Oper "Vincent". Und nun gibt es auf dem neuen Album der mittlerweile zum Quartett angewachsenen Gruppe plötzlich Textzeilen wie diese zu hören: "Wir sind Dandys im Nebel, wir haben den Swag im Blut." Da scheint erst mal so einiges nicht zusammen zu passen: "Swag", das ist ja ein neuerer Begriff aus dem Hip-Hop, mit "lässig" oder "cool" wäre er nur unzureichend umschrieben, mit Punk oder Dandytum würde man ihn jedenfalls nicht unbedingt assoziieren.

"Drifting away und ich mach es gern"

Doch Trümmer, so singen sie in dem Song, fühlen sich jetzt "somewhere in between", irgendwo dazwischen. Und auch der Sound hat sich vom punkigen Indierock entfernt und spielt nun mit neuen Anknüpfungspunkten: Wave, Disco, Pop und ein bisschen Blues. Paul Pötsch, Max Fenski, Tammo Kasper und Helge Hasselberg umkreisen auf "Interzone" die mythischen Zwischenräume der Nacht, in denen alles möglich scheint: Bars und einsame, neonbeleuchtete Straßen, grelle Raves und leise Abstürze. Nicht dass es die gut geölten Slogans wären, die an "Interzone" so erstaunen - die gab es auch schon auf dem Erstling.

Interzone Bar

Der Albumtitel ist an die fieberwahnartige Bewusstseinsstrom-Zwischenwelt von William Burroughs' "Naked Lunch" angelehnt.

(Foto: Thomas Ertmer)

Nein, es ist die gesamte Herangehensweise: "Interzone" ist viel weniger offen politisch und beleuchtet die Dynamik junger Großstadt-Mittzwanziger lieber aus einer konsequenten Begeisterung für Rausch- und Schwebezustände heraus - "Drifting away und ich mach es gern", wie es in "Dandys im Nebel" heißt.

"Eine Bar am Ende der Nacht"

Keine Frage, in der Popmusik gab es schon immer eine große Faszination für das Thema Rausch. Aber was genau sagt eine solche Richtungsverschiebung - der Rückzug in "eine Bar am Ende der Nacht" - über das Hier und Jetzt aus? Dass es in Zeiten von Optimierungswahn und stetigem Datenstrom doch verlockender oder gar sinnvoller ist, sich zu berauschen, als im öffentlichen Raum aufzubegehren? Ist der gesellschaftlich verordneten, permanenten Selbstregulierung nur noch mit dieser Burroughs'schen Mischung aus Musik, Sex, Drogen und Paranoia beizukommen? "Anfang 20 und vollkommen kaputt. Ich hatt' mal Ambitionen, jetzt hab' ich nur noch Stress", singt Paul Pötsch: "Das Leben ist ein Spiel, ich hab' leider verloren. Ich schick dir Grüße aus der Interzone."

Drinnen in der Berliner "Interzone Bar", voll und stickig, stand zur Begrüßung noch der Liedermacher Bernd Begemann auf der Bühne und gab dem Publikum mit auf den Weg: "Die Interzone ist ein Ort für Leute, die glauben, dass sie besser werden können, in einer Art, die nicht den Arbeitgebern nützt." Im nebligen Licht zeichneten sich dazu vage und weiche Gesichtszüge bierseliger Menschen ab. Alles was in großen Hallen peinlich wäre, war hier geradezu rührend: Mitsingen oder die Show unterbrechen für eine emotionale Ansage.

Spätestens hier merkte man, dass es völliger Unfug wäre, dem neuen Album vorzuwerfen, dass es zu unpolitisch, zu banal, eskapistisch oder poppig sei. Denn es geht hier immer noch um die Befindlichkeiten der Generation Y, einer Generation "in dunkler Nacht", unsicher, ohne Ziel und feste Bahnen. Eine Generation, die ihre Auswege und Umbrüche nicht nur tagsüber sucht, sondern auch an Orten der nächtlichen Selbstbefreiung wie dem Antje Öklesund.

Sich immer wieder neu verlieren

"Man kann sich niemals wirklich finden, nur immer wieder neu verlieren", singt Pötsch in "Dandys im Nebel". Und einmal dringt aus einem der neuen Songs sogar eine echte Radikalisierungsgeste: "Europa Mega Monster Rave", eine riesige, drogengetränkte, gesamteuropäische Party als utopische Antwort auf die Flüchtlingskrise: "L'amour toujours, L.O.V.E.!"

Gegen Konformismus und Selbstoptimierung ist diese Musik immer noch, nur von einem anderen Ort, von einem anderen Bewusstseinszustand aus: die "Interzone" als Konzept der Auflehnung im Kleinen, als Abspaltung und Gegenentwurf, was sie ja schon bei Burroughs war ("Naked Lunch" schrieb er während seiner Zeit im endzeitlichen Zwischenstadium der Internationalen Zone von Tanger). Oder anders gesagt: "Die Welt da draußen und die Welt da drinnen", wie es im Song "05:30" heißt. Bei Trümmer bedeutet das immer noch: das Politische und das Private. Vielleicht erkennt man es im Neonlicht um halb sechs Uhr morgens nicht mehr sofort, aber es geht immer noch um Revolte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: