Neues Album von Sufjan Stevens:Herzzerfetzende Zeilen

Sufjan Stevens

Macht jetzt Folk: Sufjan Stevens.

(Foto: Emmanuel Afolabi/dpa)

Sufjan Stevens kann auf Knopfdruck leiden. Trotzdem ist die Musik kein fader Wohlfühlfolk. Wie schafft er das?

Von Jakob Biazza

Die Lobeshymne kommt gleich. Man muss, bevor man "Carrie & Lowell" bei den herausragenden Alben dieses Jahres weit oben einreiht, erst noch etwas kramen. Sich ein paar der alten Werke von Sufjan Stevens wieder vornehmen. Und einige der damaligen Live-Auftritte anschauen. Den in der Late-Night-Show von Jimmy Fallon zum Beispiel, bei dem Stevens einst den Song "Too Much" spielte. Es gibt das Video bei Youtube: Stevens sich hat Engelsflügel auf den Rücken geschnallt und trägt neonfarbene Kriegsbemalung aus Klebeband am ganzen Körper - gibt also eine Art Ikarus-Indianer-Häuptling auf LSD. Sehr ungerührt steht er da, tanzt etwas ungelenk eine Roboter-Choreografie und transportiert mit optimal blasiertem Blick offensiv Normalität.

Er macht das also alles sehr gut. Je absonderlicher die Inszenierung ist, desto wichtiger wird es schließlich, sie möglichst mühelos normal wirken zu lassen. Lady Gaga ist Großmeisterin darin. Sie kann in einem Kleid aus Fleischfetzen über den roten Teppich laufen und aussehen, als wollte sie sagen: und? So gehe ich vormittags auch in den Supermarkt - Wurst kaufen.

Sufjan Stevens, wollte der Fallon-Auftritt sagen, beherrscht die große Inszenierung. Den Größenwahn. Und die Konzeptkunst. Bislang waren die meisten Alben des Multi-Instrumentalisten aus Detroit in sich geschlossene Gesamtkunstwerke. "Enjoy Your Rabbit" (2001) widmete sich den chinesischen Tierkreiszeichen. 2009 untersuchte er den "Brooklyn-Queens-Expressway". Das mit dem Auftritt bei Fallon beworbene "The Age Of Adz" bestand zu großen Teilen aus elektronischen Störgeräuschen, die er aber zu verwirrend schönen Song-Epen türmte. Dazwischen gab es zwei Platten mit Weihnachtssongs - die tatsächlich fast nicht bieder gerieten.

Selten Selbstzweck

Konzeptkunst also. Darin aber selten Selbstzweck. Denn Stevens war bei aller Künstlichkeit immer auch ein Weltvermesser. Sein womöglich wirklich ernst gemeinter Plan, jeden amerikanischen Bundesstaat auf einem eigenen Album musikalisch zu durchdringen, zu erforschen, nachzuerzählen, brachte immerhin die zwei sehr tief in der Seele Amerikas wühlenden Werke "Michigan" und "Illinois" hervor.

Und jetzt also Folk. Womit wir direkt am anderen Ende der Pop-Inszenierungspalette angekommen wären. Wer dort Eindruck machen möchte, der sollte die Fähigkeit haben, so zu wirken, als sei er ganz bei sich. Die maßgeblichen Währungen heißen hier Aufrichtigkeit und Authentizität.

Der Mann singt Zeilen, die einem in ihrer Lakonie das Herz zerfetzen

Wer auf Knopfdruck leiden kann, dessen Musik läuft auch bei Starbucks und in den Wohnzimmern von Menschen, die sich mit den Geschmacksnuancen von nativem Olivenöl auskennen. Folk, gerade die etwas fade Wohlfühlvariante, die sich in den vergangenen Jahren etabliert hat, stört immerhin nicht beim Blättern im Designmöbel-Katalog.

Und natürlich macht Sufjan Stevens auch das alles sehr gut. Die meisten der Songs auf "Carrie & Lowell" basieren auf sehr beseelt hingetupften Gitarren. Ostentativ wiederholte Pickings, getragene Melodien, Satzgesänge, die so geisterhaft verhallen, als würden sie in einer sehr großen Kathedrale gerade ihrem Schöpfer entgegenwehen. Kein Schlagzeug, kaum Orchestrales, null Pomp. Ab und zu tragen Ambient-Outros zum nächsten Song. Bis hierhin: vor allem in der Reduktion perfektes Handwerk. Was das Album nun zu einem im Wortsinn schmerzhaften macht, ist der Inhalt.

Zurückgelassen in der Videothek

Carrie war Stevens Mutter. Lowell Brams sein Stiefvater. Mit ihm betreibt er immer noch das Label Asthmatic Kitty, auf dem seine Musik erscheint. Die depressive Carrie allerdings verließ die Familie früh, um sich mit Alkohol und Drogen zugrunde zu richten, bis sie 2012 starb. Die Beziehung - oder vielmehr die Nicht-Beziehung - zu ihr verarbeitet Stevens nun. Und zwar mit Zeilen, die einem in ihrer Lakonie das Herz zerfetzen.

Da steht der kleine Sufjan dann wie in "Blue Bucket Of Gold" wieder vor seiner Mutter und bettelt um Klarheit: "Hebe die rechte Hand und sage, dass du mich in deinem Leben willst." Und wenn nicht? Dann solle sie ihn auch das deutlich wissen lassen. Manchmal genügt es ihm auch, nur eine Geschichte zu erzählen: Als er drei oder vier Jahre alt war, habe ihn die Mutter einfach in der Videothek zurückgelassen. Kurz darauf sah er ihr Gesicht noch einmal - auf der anderen Seite der Tür ("Should Have Known Better"). Dann war sie weg. Und dann tot.

Songs, die nie anklagen

Anklagend werden die Songs dennoch nie. Stevens will verstehen, erzählt mal aus der Sicht der Mutter, dann wieder direkt aus der noch suchenden Kinderseele heraus. Alles drumherum wirkt dann gedämpft, wattiert. Als würde der Sprössling unter der Bettdecke noch heimlich mit der Taschenlampe wachen und sich große Fragen beantworten.

Der zentrale Song "Fourth Of July" endet mit der Erkenntnis "We're all gonna die". Wir werden alle sterben. Da ist keine Wut oder Verzweiflung. Er stellt es einfach ganz nüchtern fest. Ist das banal? Sicher. Trotzdem wird jede Pose damit doch sehr nichtig. Wohlfühlfolk? Pah.

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