Neues Album von "Seeed":Wille zum Happening

Berlin tut sich schwer mit sich selbst. Aber wann immer die Stadt in den letzten Jahren etwas brauchte, was sie stolz herumzeigen konnte, dann kamen Seeed gerade recht. Als einzige Berliner Band legen sie es auf den großen Wurf an - nun erscheint das neue Album.

Max Fellmann

Seeed kehrt mit neuem Album zurück

Nach sieben Jahren präsentiert die Berliner Band "Seeed" wieder ein neues Album

(Foto: dpa)

Warum muss Erfolg immer alles so kompliziert machen? Die Berliner Band Seeed also, elf Mann stark, 1998 gegründet, Hits in Deutschland und der ganzen Welt, großartiger Pop-Export. Und dann geht einer von denen allein hin und ist noch erfolgreicher. Unter dem Namen Peter Fox wurde Sänger Pierre Baigorry in den letzten Jahren zu einem der Größten im deutschen Pop. "Haus am See", "Alles neu", "Schwarz zu blau", lauter Hits, getragen von der markanten Brummstimme, die auch einen Großteil der Seeed-Songs prägt. Das neue Album heißt einfach nur "Seeed" (Universal), Fox / Baigorry und seine zehn Kollegen betonen sehr, dass sie eine echte, gewachsene Band sind. Wenn man den Sänger fragt, worin genau der Unterschied besteht, brummt er ein bisschen unwillig und sagt, "Da ist doch die Energie eine ganz andere als bei einem Solokünstler mit Begleitmusikern." Und dann etwas fröhlicher: "Es steckt ja auch diese hippiemäßige Message drin: Dass es schön ist, wenn viele Menschen miteinander ein Projekt durchziehen."

Wenn man von Seeed spricht, muss man immer auch von Berlin sprechen. Ihr Lied "Dickes B" von 2001 enthält die schönen Zeilen "Die Berliner Luft im Vergleich zu anderen Städten / bietet leckersten Geschmack, allerbeste Qualitäten / um Paraden zu feiern und exklusive Feten / die Massen sind jetzt da, es hat sie niemand drum gebeten". Alle wollen nach Berlin. Und machen dadurch genau das kaputt, weswegen sie kommen - die Mietpreise steigen, die Nischen verschwinden, alles wird offizieller, ordentlicher, größer, professioneller. Fox / Baigorry lacht: "Tja, wir kämen jetzt nicht mehr auf die Idee, ein Lied wie Dickes B zu schreiben, der Song sollte ja Berlin so ein bisschen promoten. Das braucht es jetzt natürlich nicht mehr. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, aber in manchen Bezirken hört man jetzt mehr spanisch, englisch, französisch als berlinerisch. Da geht viel verloren."

Prall gefüllt mit Großstadtleben

Berlin tut sich schwer mit sich selbst. Aber wann immer die Stadt in den letzten Jahren etwas brauchte, was sie stolz herumzeigen konnte, dann kamen Seeed gerade recht. Die Band hat einerseits die street credibility aus dem HipHop, harte Reime, prall gefüllt mit Großstadtleben, dazu kernig produzierte Beats und knarzende Elektrobässe, eine Mischung, die sagt: Wir wissen, wie das Leben da draußen wirklich ist. Andererseits stehen da auf der Bühne Männer in roten Fantasiegewändern, halb Cowboys, halb Mönche, die richtige Choreographien tanzen. Stammen einstudierte Tanzbewegungen nicht genau aus der anderen Ecke, aus der straßenfernen Welt der Castingbands und Boygroups?

Dass es Seeed gelingt, beides zu vereinen, Großstadtlässigkeit und Breitwandunterhaltung, macht sie einzigartig - und passt gut zu diesem eigenartigen Berlin: graue Realität der Straßen plus Sehnsucht nach buntem Weltstadtglitzern. Seeed fanden sogar Fans in anderen Ländern, sie hatten einen Hit in Trinidad (Waterpumpee, 2002). Gestatten: das neue freundliche, lässige Deutschland. Und bei der Eröffnungsfeier der WM 2006 spielten sie im Stadion, live im Fernsehen beobachtet von 1,6 Milliarden Menschen, und alles wirkte so herr-lich undeutsch, lässig, souverän. Es macht Spaß, sich das auf YouTube nochmal anzusehen, wie die Bundeskanzlerin auf der Tribüne immer wieder kurz davor ist, mitzuwippen (aber dann merkt sie, nee, lassma, dit is nich meins).

Jetzt könnte Angela Merkel es wieder mit dem Wippen versuchen. Die Single "Beautiful" ist ein Song im BigBand-Sound, ein Swing-Rhythmus, schmetternde Bläser, das alles angegangen mit der gleichen respektlosen Wucht, mit der sich Björk vor Jahren an den Klassiker "It's Oh So Quiet" wagte: Ja, danke, wir haben unsere Jazzplatten gehört, aber das heißt nicht, dass wir uns jetzt treudoof an die Vorlagen halten müssen. Der Bläsersatz wird von elektronisch knarzenden Bässen konterkariert, der Swing von einer harten Bassdrum untermauert.

"Morgen wach ich nackt auf im Park"

Es gibt eine ganze Menge zu entdecken auf diesem Album, die Produktion ist fantastisch, Seeed belassen es nie nur beim simplen Geradeausgeböller, jeder Breitwandrefrain wird mit kleinen Soundspielereien angereichert. Eine Totenglocke als Taktgeber, perkussive Miniaturen, so diskret aufgenommen, dass sie sich erst bei mehrmaligem Hören durchsetzen. Der Song "Feel For You" verbindet die meditativen Minimalsounds eines Burnt Friedman mit Reggae-Tradition - und auch wenn die Band das selbst vielleicht gar nicht so gern hören würde: So könnte Sting heute klingen, wenn er sich nicht vor vielen Jahren in seiner Selbstverliebtheit verloren hätte. Und wenn wir schon bei den Helden der 80-er Jahre sind: Seeed spielen auch "Wonderful Life", ein Lied der Band Black von 1987 - und da erst fällt einem auf, dass sie auch schon alle um die 40 sind.

Die Sounds, die sie dabei verwenden, verdienen übrigens ein sehr genaues Hinhören - wenn nicht alles täuscht, ist da sogar ein verfremdetes Akkordeon dabei, oder? Im Gegensatz zu den ersten drei Alben darf hier vor allem das Schlagzeug sehr oft ein echtes Schlagzeug sein, die Elektronik beherrscht nicht alles, ein Band-Album, das war ja auch die Ansage. Nur der Gitarrist, denkt man hin und wieder, naja, so richtig viel hat der arme Mann nicht zu tun - aber dann kommt als letztes Lied "Molotov", getragen von einem lupenreinen Hardrock-Riff. Für einen Moment geht da ein Fenster ins total Absurde auf - Seeed? Metal? -, aber dann passt das doch alles sehr gut zusammen mit den Synthibässen und Disco-Claps. Verblüffend.

Es gibt die bewährt marihuanaverträumten Liebeslieder, es gibt die Songs mit kosmopolitischem Flair, vor allem "Augenbling", das mit einer Saz beginnt, einem türkischen Saiteninstrument, und so klingt, als würde jemand in einem Kreuzberger Hinterhof ein bisschen HipHop hören. Und immer wenn man bei diesem Lied denkt, jetzt wirds fast zu leicht und partymäßig, schiebt sich am Ende der Zeilen von rechts ein düsterer Ton rein, der die Akkorde nach Moll auflöst und eine Bedrohlichkeit entwickelt, die man beim ersten Hören nicht richtig versteht, aber spürt, und so muss Pop natürlich funktionieren.

Im Grunde sind Seeed die einzige Band in Deutschland, die es wirklich auf den ganz großen Wurf anlegt. Da ist der Wille zum Happening, aber nicht so crazy separationistisch wie bei den anderen Berlinern von Bonaparte. Da ist der Wille zum Mainstreamerfolg, aber nicht so frühstücksradiofröhlich wie bei den anderen Berlinern, den Ärzten. Elf Musiker, die im besten Sinne Universalisten zu sein versuchen. Klar, es gibt auch Ausfälle, die atzenhafte Partynummer "Seeeds Haus" braucht kein Mensch. Aber immer, wenn das Partythema zu simpel zu werden droht, kriegt die Band gerade noch die Kurve, und das liegt vor allem am Wortwitz der Texte. In "Waste My Time" fordert Baigorry / Fox: "Bitte komm vorbei, ruinier meinen Tag / Mach dich frei, Baby, wir feiern hart / Du bist Anästhesistin, du weißt, was ich mag."

"Wir sind keine politische Band"

Und das endet natürlich so: "Morgen wach ich nackt auf im Park.". Der stärkste Song des Albums ist "Deine Zeit". Eine Art Weckruf. Zu einem schweren, verschleppten Shuffle, in dem die Posaune rumpupst, als wärs ein Stück Kurt Weill, singt Baigorry / Fox: "Das Licht geht an, der Thron ist leer / Keiner kommt und teilt das Meer / Niemand sagt uns, wie es geht / Niemand weiß den geraden Weg / Doch diese Zeit ist deine Zeit / Du meinst, du seist noch nicht soweit / Doch jeder Tag ruft deinen Namen / Du weißt, du hast keine Wahl."

Und wie das nach düster schwelender Strophe im Refrain plötzlich aufmacht, mit Chören und breiten Synthesizern, da ist alles für einen Moment Musical, man möchte sich sofort 200 Tänzer auf einer riesigen Bühne vorstellen. Es geht ja auch um was. Hier soll aufgerüttelt werden. "Wir sind keine politische Band", sagt Baigorry/Fox, "uns ist nur sehr bewusst, dass unsere Generation jetzt eigentlich am Ruder sein müsste. Es verlassen sich aber immer alle darauf, dass es irgendwer anders schon machen wird. Der Song soll sagen: Guck nicht nach links und rechts, da kommt kein Messias, der alles löst. Wenn wir es nicht selber machen, machts keiner."

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