Neues Album "The Life of Pablo":Kanye fantasiert von Sex mit Taylor Swift

Kanye West

Kanye "I am a God" West im Madison Square Garden

(Foto: REUTERS)

Die Sensation gleich im ersten Lied des neuen Albums: Kanye West gibt sich demütig. Kanye West! "The Life of Pablo" ist endlich für alle hörbar - alle Songs im Schnellcheck.

Albumkritik von Julian Dörr und Jens-Christian Rabe

Alben werden heute ja nicht mehr einfach veröffentlicht. Sie stolpern aus den Händen ihrer Schöpfer mehr oder weniger grazil auf die Endgeräte ihrer Hörer. So war es kürzlich bei Rihanna. Und so ist es auch bei Kanye West. Drei Tage nach der größten Laptop-Hörprobe der Popgeschichte im Madison Square Garden ist es nun soweit: "The Life of Pablo" ist da, zumindest beim Streaming-Dienst Tidal - nach insgesamt vier Albumtiteln und einigen Partien Tracklist-Domino.

Und "The Life Of Pablo" ist auf jeden Fall schon wieder ein ganz großer Wurf, ein ziemlich düsteres, fast klaustrophobisch klingendes, aber dennoch kraftvolles Neo-Gospel-Hip-Hop-Album. Aber der Reihe nach, Song für Song ...

1. Ultralight Beam (feat. The-Dream, Kelly Price & Chance The Rapper)

Das erste Wort auf "The Life Of Pablo" hat ein kleiner Junge: "We don't want no devils in the house, we want the lord." Und nein, der Herr und Retter ist dieses Mal nicht Kanye "I am a God" West, sondern das Original. So demütig hat man den Meister lange nicht erlebt. Mit sanfter, beinahe souliger Stimme bedankt er sich für sein Glück. Das Schlagzeug wummst, die Kirchenorgel flötet und ein mächtiger Gospel-Chor fällt in den Song ein. Ein Knaller. Was für ein Anfang. Die Messe kann beginnen.

2./3. Father Stretch My Hands Pt. 1 & 2 (feat. Future, Kid Cudi & Desiigner)

Ein paar Sekunden noch hängt der Neo-Gospel in der Luft, dann stürzt der Song in die Hip-Hop-Gegenwart. Autotune ist zurück, die Stimmen sind so famos humanoid verfremdet, dass eigentlich ganz egal ist, wer hier singt oder worüber (unter anderem wohl über einen gebleichten, nun ja, Anus). Die Hi-Hat zuckt, immer wieder zieht das Tempo an, Samples und Silben stolpern dem Beat hinterher. Am Ende fragt eine zärtliche Roboterstimme: "How do I find you?" In diesem Song stecken mindestens drei Hits.

4. Famous (feat. Rihanna & Swiss Beatz)

Ein Popsong nach allen Regeln der Kunst - und doch viel mehr. Rihanna singt den Refrain formvollendet geschmeidig. Dann stampft der Song davon und Kanye fantasiert von Sex mit Taylor Swift. Songfragmente treiben gegen- und auseinander, der Refrain orgelt sich zurück, ein Sample schießt dazwischen. Anders gesagt: Ein kompliziertes Stück Popmusik, um viele Ecken gebogen und dann doch nichts anderes als Ausdruck der Liebe zur großen Melodie.

5. Feedback

Los geht's mit einer Melodie, die wie ein kaputtes Kinderspielzeug klingt. Dann ruft West zum Rapport: "Wake up, Nigga, wake up!" Und es folgt ein harter, minimalistischer Track mit scheppernd-verhangenen Beats. "Name one genius that ain't crazy".

6./7. Low Lights/Highlights (feat. Young Thug)

Noch ein Song, der eigentlich unhörbar sein müsste, aber doch ohne Umwege ins Hirn findet. Drei Mal legt "Highlights" los und drei Mal findet das Stück kein Ende. Am Anfang steht ein Gospel-Gebet, dazu klatscht ein kräftiger Beat auf Pianoakkorde. Kurz darauf öffnet sich der Autotune-Himmel und Young Thug und Kanye dehnen Vokale vor Synthiestreichern in die Glückseligkeit: "We only making the hiiiiiiighliiiiiiiights." Im dritten Part wird es dann persönlich. "I bet me and Ray J would be friends", rappt Kanye über Kims Sextape-Ex. Der Gott des Größenwahns auf Versöhnungskurs? Das ist wirklich das schrägste Gospel-Album aller Zeiten.

8./9. Freestyle 4/I Love Kanye (feat. Desiigner)

Zu feinster Alptraum-Filmmusik beginnt hier der klaustrophobische Teil der Platte. Streicher liefern den Hintergrund für merkwürdige Lautmalerei Wests, während eine "Yeezus"-Sirene auf den Offbeat dröhnt. Ziemlich verstörend - und dann schleicht sich auch noch ein trippiger Beat ein. Doch kaum hat er seinen Platz im Song gefunden, wird er schon wieder rausgedreht. Dann Kanye rappt ins Leere: "I love you like Kanye loves Kanye." Wie ein Trost hört sich das nur ganz und gar nicht an.

Überbordend und doch unbedingt eingängig

10. Waves (feat. Chris Brown)

Mittendrin dann plötzlich diese schwerelose Liebeshymne, die Chris Brown zu einem dicken Beat in den R'n'B-Himmel feuert. Und Kanye verkündet große Weisheiten vor einem zerschüttelten Gospel-Chor: "Sun don't shine in the shade. Bird can't fly in a cage."

11. FML (feat. The Weeknd)

Es hat sich ja schon angedeutet: Kanye, der große Unbequeme und Säbelrassler des Hip-Hop, scheint ein kleines bisschen altersmilde geworden zu sein. In "FML" geht es hinab in sein Innerstes: die Selbstzweifel, die Einsichten und die Angst, die Sache so richtig zu verbocken. Wer wäre dabei ein besserer Partner als The Weeknd? Gemeinsam schweben sie majestätisch durch die Düsternis.

12. Real Friends (feat.Ty Dolla $ign)

Die grazile Ode an die Freundschaft. Mehr eine vertonte Meditation als ein klassischer Song. Die Bassdrum bufft vergleichsweise sachte dahin, die Hi-Hat hallt im Hintergrund mächtig-metallisch, an der Grenze zum Erträglichen dröhnt die kleine Melodie um die Rap-Parts herum und klingt dabei, als hätte man hohe Steeldrum-Töne in die Länge gezogen, dazu ein bisschen Unterwasser-Klavier-Akkorde.

13. Wolves (feat. Frank Ocean & Caroline Shaw)

Grandios verschleppte Expedition auf die dunkle Seite der Liebe: "I'm just way too bad for you." Autotune verwobbelt den Chor-Gesang, glockenhell schwebt die Melodie darüber, als hätten böse Geister gute Laune.

14./15. Silver Surfer Intermission/30 Hours

Los geht's mit den Zugaben, wie Kanye hier selbst verrät: "All my favorite albums used to have bonus tracks like this." Dieser hier ist ein groovender Autofahr-Song. Redundant wie ein amerikanischer Highway, dabei aber unfassbar entspannt.

16. No More Parties in LA (feat. Kendrick Lamar)

Kurz darf dann auch noch Kendrick Lamar die große Kanye-Show stehlen. In typischem Gedankenstrom-Flow schüttet der Hip-Hop-Erneuerer aus Compton seine Reime auf den feinen G-Funk-Beat. Da kann selbst Kanye nur noch betteln: "Please, no more parties in LA."

17. Facts (Charlie Heat Version)

Ein Sneaker-Battlerap: "Yeezy, Yeezy, Yeezy just jumped over Jumpman!" Wer ist der größte Schuhmacher im Land? Der Kanye-Stiefel schlägt hier selbstverständlich den Michael-Jordan-Sneaker. Aber nichts für ungut, Mr. Jordan. Erscheinen wollte der Übersprungene im Madison Square Garden übrigens nicht. Der Song ist tatsächlich ein hektisch-treibender, aber ziemlich dürftiger Diss-Track. Auch in der tiefergelegten Charlie-Heat-Version. Nichts für ungut, Mr. West.

18. Fade (feat. Ty Dolla $ign & Post Malone)

Wie "Facts" ist nun auch "Fade" wohl doch auf dem Album gelandet. Zu diesem Rausschmeißer mit seiner wunderbar elastischen Baseline und seinem trocken-technoiden Vierviertelbeat lässt sich allerdings auf jeden Fall sehr gut aus dieser überbordenden und doch unbedingt eingängigen Platte heraustanzen.

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