Neues Album "The Glowing Man":Soundtrack zu einer aus den Fugen geratenen Welt

Lesezeit: 4 min

Geistersänger: Michael Gira. (Foto: nriko.com)

Pop als körperliche Grenzerfahrung: Das neue Album der New Yorker Avantgarde-Rock-Band Swans stürzt sich in die ewigen Abgründe des amerikanischen Traums.

Albumkritik von Torsten Gross

Es ist gar nicht unbedingt so, als würde Michael Gira, der Gründer und Kopf der New Yorker Avantgarde-Rock-Band Swans, nicht auch mal gerne einen netten, melancholischen Pop-Song schreiben, es gelingt ihm nur einfach nicht. Er hat das bereits vor Jahren erkannt und alle Versuche gelöscht, insofern ist auch "The Glowing Man" (Young God Records) wieder keine beschwingte Sommerplatte geworden. Dabei legt der große amerikanische Schmerzensmann Gira für seine Verhältnisse durchaus entsprechende Fährten: Der vierte Song der Platte, "People Like Us", ist eine viereinhalb Minuten lange, relativ konventionell komponierte Moritat mit Frauenchören im Hintergrund, wie sie auch Nick Cave hätte schreiben können. Und "When Will I Return" - dazu später mehr - wird allen Ernstes als "Lead-Single" angekündigt. Es ist dann aber doch alles ein bisschen anders als bei Beyoncé.

Das vierzehnte Swans-Album ist der Soundtrack zu einer aus den Fugen geratenen Welt. Es erzählt von den tiefsten Abgründen des amerikanischen Traums. Verändert haben sich in den vergangenen Jahren allerdings die musikalischen Mittel der Band. Das Chaos als Grundprinzip, ein beliebtes Stilmittel der Achtzigerjahre-Swans, ist seit der Neugründung der Band im Jahr 2010 in eine Phase der kontinuierlichen Verdichtung getreten. Dynamisch perfekt inszeniert, durchläuft diese Musik immer wieder sämtliche Stadien von totaler Kontemplation über nervenzehrende Repetition bis hin zu kathartischen Momenten. Krach um des Kraches Willen spielt nicht mehr die Hauptrolle.

Waschbärenfellmütze statt Cowboyhut

In ihrer barock-orchestralen Grundkonzeption ist die einer Rauscherfahrung gleichkommende Musik seither beinahe so etwas wie ein Alterswerk für Michael Gira, das gilt erst recht für "The Glowing Man". Gira ist inzwischen ein älterer Herr, der anstelle der früher notorischen Cowboyhüte nun auch mal eine Waschbärenfellmütze aufsetzt. Musik machen kann er nur noch unter Schmerzen: Die extreme Lautstärke der Konzerte hat ihren Tribut gefordert. Gira ist über die Jahre schwerhörig geworden, weshalb er außerhalb der Tour- und Aufnahmephasen keine Musik mehr hört. Es hat vielleicht auch damit zu tun, dass "The Glowing Man" das Ende eines Werkzirkels markiert und nun als das letzte Album der aktuellen Swans-Inkarnation mit Norman Westberg, Kristof Hahn, Phil Puleo, Christopher Pravdica und Thor Harris angekündigt wird.

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Das Album beginnt mit zwei, insgesamt fast 40 Minuten langen Gebeten: "Cloud Of Forgetting" und "Cloud Of Unknowing". Wie aus einem Malstrom heraus erklingt Giras Klagegesang: "Take us! Take us! Save us! Save us!" Die Erfahrungen mit diesem Kollektiv auf der Bühne und im Studio hätten ihn, den überzeugten Atheisten, Gott nähergebracht, so Gira - zumindest aber einer höheren Kraft, die die Möglichkeiten dieser Musik über das eigentlich Machbare hinausgeführt habe. Tatsächlich sprengt das Album irdische Dimensionen: Über zwei Stunden, aber nur acht Songs lang ist es ein stetiges An- und Abschwellen, eine Tortur, ein maximal verdichteter Exkurs in die Randgebiete der menschlichen Existenz, dem man die große Liebe des Michael Gira für orchestrale Film-Scores deutlich anhört. Wie immer stellt der Mann also die Geduld und Ausdauer seiner Hörer auf die Probe. Er fordert die totale Hingabe, anders kann man sich dieser Musik allerdings auch kaum nähern.

Ohnehin ein Freund sparsamer Worte, braucht Gira auch auf "The Glowing Man" nicht viel Text. Sämtliche Lyrics passen in ein Dokument, das kürzer ist als diese Rezension. Die Worte entfalten ihre Dringlichkeit durch Modulation und Wiederholung. Sein Hauptantrieb sei die Liebe, so Michael Gira kürzlich über "The Glowing Man". Und es ist gut, dass er das sagt, weil das ja nun nicht immer direkt auf den ersten Blick erkennbar war im Werk dieser Band. Es verbirgt sich aber tatsächlich eine unergründliche Zärtlichkeit in diesen Songs, eine Zuneigung zu den Dingen des Lebens und der Musik. Ein Bestreben, den Weg aus der Dunkelheit ins Licht zu finden. Diese Momente sind vielleicht der größte Unterschied zu den Swans-Alben der Achtzigerjahre, als Gira aus den Trümmern von No-Wave vor allem Schizophrenie und Zerstörung destillierte.

Es ist die Hölle, es tut jeden Tag weh, aber ich lebe noch

Natürlich ist es jedoch fast unmöglich, in diesen Tagen über Michael Gira zu schreiben, ohne dabei die jüngst erhobenen Vergewaltigungsvorwürfe zu erwähnen. Die Songschreiberin und Sängerin Larkin Grimm, mit der Gira schon Musik für sein Label Young God Records aufgenommen hat, hatte ihn beschuldigt, sie 2008 vergewaltigt zu haben, was Gira vehement bestritt. Es steht also Aussage gegen Aussage. Und nun könnte man auf dieser wie auf manch anderer Swans-Platte mühelos Spuren suchen und finden, die sich als Auseinandersetzung mit diesem schwerwiegenden Vorwurf lesen lassen, was in diesem Fall allerdings keinen Sinn ergäbe - das Album war bereits fertig, als die Geschichte in die Welt gelangte.

Trotzdem gibt es einen Song mit einem ähnlichen Thema. Das eingangs erwähnte "When Will I Return" wird gesungen von Giras Frau Jennifer, die ihm in der Causa Grimm zur Seite stand. Mit gebrochener, aber entschlossener Stimme erzählt Jennifer Gira hier von einer eigenen Erfahrung mit sexualisierter Gewalt in ihrer Jugend: "His hands are on my throat / My key is in his eye (. . .) / When will this pig-man stop?". Dann folgt zumindest ein kleiner Moment der Ruhe und Selbstbehauptung, wenn Jennifer Gira - begleitet von der Stimme ihres Mannes - immer wieder die Worte "I'm Alive", wiederholt. Es ist die Hölle, es tut jeden Tag weh, aber ich lebe noch, du hast mich nicht kleingekriegt!

Mit "Frankie M" sendet Michael Gira einen Genesungswunsch an einen Junkie-Freund, versieht den krautrockigen Jam "The Worlds Looks Red" mit einem Text, den er vor Jahren für die Freunde von Sonic Youth geschrieben hatte, schafft immer wieder Inseln der Besinnung, die stets aufs Neue lustvoll zerstört werden. So gerät nicht nur der Titelsong zu einer körperlichen Grenzerfahrung. Doch gerade als alles zu viel wird und man es kaum noch aushält, wird "The Glowing Man" plötzlich zu einem Uptempo-Gitarren-Rock mit halluzinogenen Sprengseln und Geistergesängen. Das an verschiedenen Produktionsstätten in Texas sowie in Seattle und Berlin entstandene Werk endet schließlich mit "Finally Peace", einem Gospel. Der Form nach tatsächlich: eine Erlösung. Was danach kommt, weiß der Wind.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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