Neuer Typus des Revolutionärs:Adieu idéologie

Revolutionen sind wieder in Mode, doch der Freiheitskampf des 21. Jahrhunderts kennt einen neuen Typus des Aufrührers. Im Gegensatz zu romantisch verklärten Partisanen und Guerilleros wie Fidel Castro oder Che Guevara ist er heute Kosmopolit, Großstadtintellektueller oder Organisationstalent.

Andrian Kreye

Man bekommt im historischen Idyll des heutigen Mitteleuropa selten die Gelegenheit, gleich einen ganzen Konferenzraum voller Revolutionäre aus aller Welt zu treffen. Einer dieser seltenen Momente war vergangene Woche in der Orangerie im Potsdamer Park Sanssouci, als Revolutionäre aus Nordafrika, Asien und dem Balkan zusammenkamen. Die diskutierten im Rahmen des Sanssouci Colloquiums über die Rolle der digitalen Medien in der globalen Demokratiebewegung.

Fidel Castro wird 85

Revolutionsführer Fidel Castro (links) bespricht sich nach der kubanischen Revolution mit dem Revolutionär Ernesto "Che" Guevara. Nach einem zweijährigen Revolutionskrieg hatte Castro 1959 den kubanischen Diktator Batista gestürzt. Danach regierte er bis 2008 das kommunistische Kuba mit dikdatorischem Führungsanspruch.

(Foto: dpa)

Weil dieses Thema nur einen der zahlreichen Aspekte der Aufstände, Umstürze und Dissidenzen der letzten Jahrzehnte erfasste, wurde hier natürlich kein allumfassender Blick auf den Freiheitskampf des 21. Jahrhunderts geboten. Und doch präsentierte sich da ein neuer Typus, der sich vom romantischen Bild des Partisanen und Guerilleros der vergangenen drei Jahrhunderte klar verabschiedet.

Sucht man ein Gesamtbild, landet man bei so etwas wie dem aufgeräumten Revolutionär. Ohne den ideologischen Furor des letzten Jahrhunderts und ohne den falschen Glamour des bewaffneten Widerstandes ist der Freiheitskämpfer des 21. Jahrhunderts ein kluger Mensch mit dem kosmopolitischen Weltbild eines Großstadtintellektuellen und dem Organisationstalent eines Internetunternehmers. Hin und wieder ist er sogar beides.

Vor allem aber verfügt dieser Freiheitskämpfer über die fast schon spirituelle Geduld des zivilen Widerstandes, die sich die gefährliche Euphorie und oft so tödliche Katharsis des bewaffneten Kampfes versagt.

Sami Ben Gharbia ist ein gutes Beispiel für diesen neuen Typus, ein 44-jähriger tunesischer Aktivist, der im Dresscode der digitalen Boheme auch gut ins Straßenbild der Berliner Mitte passen würde. Sein entspanntes Lächeln verbirgt, dass er die letzten zwölf Jahre nach abenteuerlicher Flucht im politischen Asyl in Holland verbrachte. Dort organisierte er das, was als "Twitter Revolution" gilt, die Mobilisierung und Organisation der Massen über soziale Medien. Sein Blog Fikra und sein Webportal Nawaat spielten da eine wichtige Rolle.

Gharbia erzählt von der Revolution als einem Geflecht aus menschlichen, politischen und multimedialen Kräften, das nur dann den Sturz des Systems herbeiführen kann, wenn all diese Elemente ineinander greifen. Er kann das mit Flowcharts und Spreadsheets belegen, wie die Organigramme und Buchhaltungstabellen im Jargon der neuen Märkte heißen. Nur dass bei Sami Ben Gharbia am Ende nicht der Börsengang stand, sondern der Sturz des Diktators Ben Ali.

Beschleunigte Demokratisierung der Menschheit

Die Rolle von Twitter in der Revolution relativiert sich da auch schnell. Ein dreieckiges Diagramm zeigt, wie stark die drei Ebenen der neuen Medienwelt voneinander abhängig sein müssen, um wirklich etwas zu bewegen. Die sozialen Medien schaufeln da nur Rohdaten in unübersichtlichen Mengen ins Netz. Blogger und Webportale sind die ersten Sortierstationen, bevor die traditionellen Medien die Flut in einen zeitgeschichtlichen Erzählfluss bündeln.

Auch wenn die digitalen Medien noch kein System gestürzt haben, sind sie doch Beschleuniger einer Dynamik, die es letztlich schon seit dem späten 18. Jahrhundert gibt - die Demokratisierung der Menschheit. Sicher wäre noch zu untersuchen, ob die digitalen Medien im Freiheitskampf eine ähnlich paradigmatische Rolle spielen, wie die massenhafte Verbreitung der Handfeuerwaffen. Dass hier also ein Machtinstrument in seiner Miniatur dem Volk verfügbar gemacht wird. Immerhin - das in den Entwicklungsländern so verbreitete Mobiltelefon Nokia 1100 gilt schon als "Kalaschnikow der Handywelt".

Syrien und vor allem Libyen sind sicher grausame Antithesen. Doch wenn die digitalen Medien eines gebracht haben, dann die Möglichkeit, einen gewaltlosen Widerstand stringenter zu organisieren. Dabei sind es weniger Mahatma Gandhi und Martin Luther King, die hinter dem Gedanken stehen, als die strategische Rechnung, dass jede Form von Gewalt wiederum Gewalt provoziert, was in der Eskalation die Kosten an Menschenleben und Zerstörung ins Unermessliche treiben kann.

In Potsdam war auch ein Mann, der solche Rechnungen mit dem kühlen Kopf des Unternehmers anstellen kann. Slobodan Djinovic ist in seiner serbischen Heimat mit seinen Telekomunternehmen zum Multimillionär geworden. Doch Geld ist nur Mittel. Der 36-Jährige war als Mitbegründer der Widerstandsbewegung Otpor am Sturz von Slobodan Milosevic beteiligt. Diese Erfahrungen sind nun Grundlage für den Lehrplan seiner Organisation Canvas.

Das Politikjournal Foreign Policy nannte das Institut mit Sitz in Belgrad "Revolution U". Djinovic und ein Lehrkörper von 15 Trainern mit eigener Revolutionserfahrung unterrichten hier Freiheitskämpfer aus aller Welt in der komplexen Organisation des unbewaffneten Widerstandes. Es ist ein mühseliger und oft langwieriger Weg vom Gedanken bis zum Ausbruch des Widerstandes auf den Straßen. Jahre kann es dauern, bis der Moment reif ist, die Massen zu mobilisieren. Sami Ben Gharbia gehörte zu Djinovics Studenten, außerdem Widerständler aus Georgien, Libanon, der Ukraine, den Malediven und vor allem aus der Bewegung des 6. April in Ägypten. Derzeit arbeiten sie mit Aktivisten in Syrien und Sudan.

Unglamouröser Alltag

Wie komplex der Widerstand sein kann, erzählt Fahty Abou Hata, Redakteur der ägyptischen Tageszeitung Al-masri Al-youm. Neben den unzähligen Problemen mit den anstehenden Wahlen und der Wirtschaft nähmen sich Revolutionäre nun die Stadtplanung vor. Mubarak habe den öffentlichen Raum aus Kairo einfach rausgeplant. Doch öffentlicher Raum sei die Voraussetzung für Freiheit und Demokratie. Da aber beginnt der unglamouröse politische Alltag nach dem Sieg der Revolution. Der Aufbau.

Will man den Begriff der Revolution nun streng nach Albert Camus definieren, ist der Freiheitskämpfer des 21. Jahrhunderts deswegen gar kein Revolutionär. Er kommt vielmehr dem Ideal des Menschen in der Revolte nahe, einem Rebellen, der nicht das eine durch das andere System ersetzen, sondern Freiheit schaffen will. Das allerdings wäre ein mächtiger Paradigmenwechsel, der Ideologie durch Ideale, Wut durch Vernunft und Gewalt durch Strategie ersetzen würde. Kein schlechter Anfang für das 21. Jahrhundert.

Ein erster Test steht an. Sihem Bensedrine, Aktivistin und Chefin des tunesischen Exilradiosenders Kalima, kann viel über die anstehenden tunesischen Wahlen am 23. Oktober erzählen. Von den 120 Parteien, den reichen Exilanten aus Libyen, den amerikanischen, britischen, französischen Interessen. Doch letztlich, sagt die elegante Dame aus Tunis, sei es egal, wer die Wahlen gewinnt. Es ginge nur darum, dass die Wahlen auch stattfinden. Vielleicht dreht ja bald jemand einen Film über die neuen Revolutionen. Der hätte schon einen Titel: "Adieu idéologie".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: