Neuer Tarantino-Film:Eine Prozedur namens Skalpieren

Was plant Quentin Tarantino wirklich in Berlin? Im Netz kursiert ein Drehbuch, das puren Sprengstoff enthält: den Aufprall der Popkultur auf Nazideutschland.

T. Kniebe

Quentin Tarantino ist in Berlin, seit bald zwei Wochen jetzt, und ein bisschen wahnsinnig muss ihm die Stadt schon vorkommen. Paparazzi lauern vor seinem Hotel, Reporter belagern das Castingbüro, wo er sich mit Schauspielern trifft, und fast jeden Tag stehen neue Spekulationen darüber in den Zeitungen, was er nun eigentlich vorhat.

Neuer Tarantino-Film: "Inglorious bastards" - der italienische Desperado-Kriegsfilm aus den 70er-Jahren in der Tarantino-Adaption: Noch nie hat sich der Kult-Regisseur so nah an reale Verbrechen, reales Grauen, auch an Figuren der Zeitgeschichte herangewagt.

"Inglorious bastards" - der italienische Desperado-Kriegsfilm aus den 70er-Jahren in der Tarantino-Adaption: Noch nie hat sich der Kult-Regisseur so nah an reale Verbrechen, reales Grauen, auch an Figuren der Zeitgeschichte herangewagt.

(Foto: Screenshot: www.nightly.net)

Daniel Brühl und Til Schweiger waren bei ihm, wird er mit ihnen arbeiten? Ulrich Tukur wurde gesichtet, Nastassja Kinski fliegt aus Los Angeles ein. Plant er, im klassischen Tarantinostil, einen Adrenalinstoß ins Herz ihrer komatösen Karriere? Und was ist mit dem Kandidaten Leonardo DiCaprio - musste der wirklich einem deutschen Darsteller weichen?

Offiziell bestätigt ist bisher nur dies: Vom 13. Oktober an wird in Berlin gedreht, "Inglorious Bastards" heißt der Film, nach einem italienischen Desperado-Kriegsfilm aus den siebziger Jahren, und: Vor wenigen Tagen hat Brad Pitt endgültig für eine Hauptrolle unterschrieben.

Aber wie das heute so ist, und besonders bei Tarantino, dessen ausgedehnte Arbeitspausen seiner ergebenen Fangemeinde als einziges Jammertal erscheinen, nagt der Unterdruck aus Vorfreude und Informationslosigkeit so heftig am Kokon der Geheimhaltung, dass irgendwann ein Leck aufbricht.

Tarantino, wie er leibt und lebt

Auch diesmal war es so. Wer weiß, wo man suchen muss, findet Tarantinos Drehbuch bereits im Internet. Und plötzlich liegt es auf der eigenen Festplatte, die Spannung steigt. Was hat der Mann nur wieder ausgeheckt? Warum braucht er so viele deutsche Schauspieler? Und wird das alles wirklich genauso wahnsinnig, wie es jetzt schon klingt? Menschen, die gern in einen neuen Tarantino-Film gehen, ohne zu wissen, was auf sie zukommt, seien an dieser Stelle also ausdrücklich gewarnt: Weiterlesen auf absolut eigene Gefahr.

Die nächste Frage ist natürlich gleich, ob diese 167 Seiten, mit schwarzen Randstreifen versehen, die auf hastiges Kopieren schließen lassen, und einem eindrucksvoll von Hand hingekrakelten Titelblatt ("2. Juli 2008, letzte Fassung") auch wirklich von Tarantino sind - und wenn ja, ob darin auch der Film beschrieben ist, den er drehen will.

Verschiedene Fanseiten und auch das New York Magazine sind sich da schon ziemlich sicher, und man versteht sofort warum: Schon der Rhythmus der Sprache, die einzigartig verdrehte und doch unwiderstehliche Logik der Dialoge, der Humor in den Regieanweisungen - hach, es ist unverkennbar, Tarantino, wie er leibt und lebt.

Sehr interessant sind dabei auch die vielen Schreibfehler. "Basterds" steht schon auf dem Titelblatt, obwohl es natürlich "Bastards" heißen müsste, das zieht sich mehr oder weniger durch, und auch sonst bewahrheitet sich aufs schönste die gelegentlich kolportierte Behauptung, dass Tarantino mit der englischen Orthographie auf Kriegsfuß stehe.

Ein langes Messer am Haaransatz

Der Effekt beim Lesen hat eine eigene Magie: Hier spürt man einen Geist bei der Arbeit, der Stil, Rhythmus, Wortklang direkt aus dem Kino und von der Straße aufgesogen hat, ohne größere Umwege über die Schriftkultur - und auch dieses Schriftstück drängt ja danach, sofort wieder Bild und Klang zu werden, Rechtschreibprogramme und Korrektoren scheinen da vollkommen sinnlos.

Die nächste Überraschung ist, dass der Film mit seinem Vorgänger von Enzo G. Castellari, der auf Deutsch "Ein Haufen verwegener Hunde" heißt, mit Bo Svenson, Raimund Harmstorf und Fred Williamson, fast nur den Titel gemeinsam hat.

Ein Trupp alliierter Kämpfer, der keinerlei soldatischen Regeln mehr folgt, operiert im Zweiten Weltkrieg hinter den deutschen Linien - da enden dann schon die Gemeinsamkeiten.

In den siebziger Jahren waren diese unrühmlichen Bastarde Flüchtlinge vor dem eigenen Militärgericht und gerieten zwischen alle Fronten, bei Tarantino sind es Spezialkräfte mit offiziellem Auftrag: Lange vor dem D-Day ziehen sie unerkannt durchs besetzte Frankreich und töten so viele deutsche Soldaten wie möglich - vor allem, um Schrecken unter den Truppen des Feindes zu verbreiten. Das gelingt auch, und früh sieht man, warum.

Großaufnahme eines toten deutschen Soldaten. Ein langes Messer kommt ins Bild und fängt an, am Haaransatz entlangzuschneiden. "Diese Prozedur", heißt es lapidar, "nennt man Skalpieren."

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Tarantino in seinem neuen Werk tief in seine Kenntnis des deutschen Kinos eintaucht.

Eine Prozedur namens Skalpieren

Hundert deutsche Skalps am Gürtel, das fordert Lieutenant Aldo Raine von jedem seiner acht Bastarde. Er ist ein "Hillbilly aus den Bergen von Tennessee", schreibt Tarantino, mit einer Narbe um den Hals, die von einem Henkerseil herrührt, die Deutschen nennen ihn "Aldo den Apachen".

Neuer Tarantino-Film: Von Hand hingekrakelt mit dem typischen Schreibfehler Tarantinos: Das Titelblatt ("2. Juli 2008, letzte Fassung") des Drehbuchs von "Inglorious bastards". Wie immer bei Tarantino findet sich darin einzigartig verdrehte und doch unwiderstehliche Logik der Dialoge und sein typischer Humor in den Regieanweisungen.

Von Hand hingekrakelt mit dem typischen Schreibfehler Tarantinos: Das Titelblatt ("2. Juli 2008, letzte Fassung") des Drehbuchs von "Inglorious bastards". Wie immer bei Tarantino findet sich darin einzigartig verdrehte und doch unwiderstehliche Logik der Dialoge und sein typischer Humor in den Regieanweisungen.

(Foto: Screenshot: "New York Magazine")

Das ist also Brad Pitt. Seine Bastarde sind Juden, sie haben eine sehr persönliche Motivation für ihre Taten - einer stammt sogar aus Österreich und spricht sehr gut Deutsch. Und dann ist da noch der deutsche, leicht psychotische Unteroffizier Hugo Stiglitz, der wohl im Affekt dreizehn Gestapo-Offiziere getötet hat und von den Bastarden aus seinem Gefangenentransport befreit wurde: "We're a big fan of your work. . ."

Natürlich bestätigt das zunächst alles, was einem bei der Kombination von "Tarantino" und "Kriegsfilm" so einfällt - die Überraschung aber ist, dass die Geschichte bald völlig andere Wendungen nimmt.

Nicht das Töten ist Tarantinos wahre Leidenschaft, sondern das Kino, und Aldo Raine alias Brad Pitt muss seinen Starstatus bald mit einer jungen französischen Jüdin namens Shosanna teilen, die dem Massaker an ihrer Familie entkommen ist, sich in Paris in einem Kino versteckt und dieses dann später betreibt.

Reale Verbrechen, reales Grauen

Ein wichtiger Schauplatz, den Tarantino anscheinend ganz in Schwarzweiß filmen will, in der Ästhetik der Nouvelle Vague. Shosanna muss Filme der Besatzer zeigen, "Die weiße Hölle vom Piz Palü" und "Glückskinder" zum Beispiel, aber sie liebt das Kino wie ihr Schöpfer und kommt darüber sogar dem charmanten deutschen Soldaten Fredrick näher, der ebenfalls Kinofan ist. "Denn für jeden wahren Filmliebhaber", weiß das Script, "ist es schwer jemanden zu hassen, der sagt: Cinéma mon amour."

Wie es der Teufel und Tarantino wollen, wird dann in Shosannas Kino die Galapremiere eines Nazi-Propagandafilms stattfinden, mit Hitler und Goebbels, mit hohen SS-Führern, mit Emil Jannings und Veit Harlan und einer fiktiven deutschen Filmdiva-Doppelagentin namens Bridget von Hammersmark, "the Fräulein of the hour", die mit Anzug und Fedorahut die Dietrich evoziert - hier käme wohl Nastassja Kinski ins Spiel.

In diesen Szenen kann Tarantino noch tiefer in seine Kenntnis des deutschen Kinos eintauchen, was für Kenner ziemlich komisch ist: "Tiefland" wird erwähnt und auch, ziemlich schmeichelhaft sogar, Leni Riefenstahl.

Doch irgendwann ist die Versöhnungskraft der Cinephilie dann auch erschöpft. Der notorische "Judenjäger"und diabolisch gewinnende SS-Offizier Hans Landa taucht auf, der Shosannas ganze Familie vernichtet hat - das ist der Part, den Leonardo DiCaprio nun wohl nicht spielen wird. Und schließlich haben auch die "Inglorious Bastards" von der Filmvorstellung mit der ganzen Naziführung erfahren. Sie planen nichts anderes als die vorzeitige Beendigung des Krieges und des Dritten Reichs. . .

So "übergeschnappt wahnsinnig, wie wir gehofft haben" (NY Magazine) das alles auch klingt - so nah hat sich Tarantino doch noch nie an reale Verbrechen, reales Grauen, auch an Figuren der Zeitgeschichte herangewagt.

Mehr als der Sprengstoff der Bastarde

Einen der Bastarde, der als Baseball-Schläger schwingender "Bear Jew" von den Deutschen gefürchtet ist, zeigt er in einer Rückblende in Boston, wie er jüdische Familien besucht und sie fragt, ob sie um das Leben von Verwandten in Europa bangen. Die Namen dieser Lieben dürfen sie in seinen Baseballschläger ritzen, der dann dazu benutzt wird, möglichst viele Nazischädel zu zertrümmern. Dabei wird der alttestamentarische Richter Gideon beschworen, und auch Shosanna darf einmal rufen: "Dies ist das Gesicht der jüdischen Rache!"

Ist das Tarantino ein ernstes Anliegen? Will er damit neue Erkenntnisse, welcher Art auch immer, provozieren? Interessiert er sich überhaupt für Geschichte - oder sieht er sie nur als einen einzigen Abenteuerspielplatz, mit großem Potential von Hass, Gewalt und Rache als Triebfedern seines Kinos? Man muss sich hüten, anhand eines Drehbuchs hier schon eine Antwort zu geben - aber klar ist doch, dass "Inglorious Bastards" nicht nur solchen Sprengstoff enthält, den die Bastarde mit sich führen.

Hier trifft die Popkultur mit bisher nicht gekannter Wucht auf Nazideutschland und zugleich auf den Holocaust - und die Wirkung dieser Kollision ist noch kaum abzusehen.

Klar ist aber eins: All die deutschen Historiker und Kommentatoren, die bei Tom Cruise und seinem doch sehr um Korrektheit bemühten Stauffenberg schon wild nach Luft schnappten - die wird es bei "Inglorious Bastards" vor Schreck auf der Stelle zerreißen. Und vielleicht ist das genau der Plan.

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