Neuer Stil von Lana del Rey:Fast schon Elvis

Lana Del Rey Coachella Festival

Die Jungs lässt das kalt, es sind die Mädchen, die ihr zu Füßen liegen: Die neue Lana del Rey auf der Bühne.

(Foto: Mario Anzouni/Reuters)

Ist das wirklich Rock 'n' Roll? Alles spricht dafür, dass sich Lana del Rey mit ihrer kommenden Platte "Ultraviolence" vom bisherigen Vintage-Göttinnen-Image verabschiedet. Sie raucht jetzt Parliament-Zigaretten und die Haare hängen ihr ungeföhnt ins Gesicht. Vor allem Mädchen sind begeistert.

Von Anne Philippi, San Francisco

Schon seit Wochen kursierte das Gerücht, Lana Del Rey wolle sich mit ihrem kommenden Album "Ultraviolence" von der symphonischen Nostalgie und ihrem Priscilla-Presley-Look verabschieden und sich am Rock 'n' Roll versuchen. Sie soll in Lederjacken auftreten, so wie in ihrem neuen Video "Westcoast", und über Parliament-Zigaretten singen, die in Amerika von jungen und alten Wilden wie Hunter S. Thompson oder Lindsay Lohan geraucht werden, auch weil man als Zweitverwertung mit einem Parliament-Filter Kokain schnupfen kann.

Deutlichster Hinweis darauf, dass sie sich nun neu erfindet ist, dass "Ultraviolence" nicht in den Hollywood Hills mit Blick aufs Hotel Château Marmont produziert wurde, sondern in der Country-Hochburg Nashville von Dan Auerbach, der einen Hälfte des Bluesrock-Duos Black Keys. Lana ist auf dem Cover mit besagter Parliament-Zigarette und geschlossenen Augen zu sehen. Die Haare hängen ungeföhnt ins Gesicht. Der wohl größte Bruch in der bisherigen Del-Rey-Blow-Out-Frisur-Ikonografie.

Welche Chiffren hat man also von Lana Del Reys Konzert in San Francisco im ausverkauften Bill Graham Civic Auditorium zu erwarten? Hell's Angels aus Oakland? Oder doch die eleganten Hipster, die vor zwei Jahren noch Lanas Musik etwas geschmäcklerisch goutierten und sich über ihre Lippengröße beschwerten?

Weder Hells Angels, noch Hipster. Am Eingang sitzt ein vielleicht vierzehnjähriges Mädchen auf dem Boden und lädt ein iPhone, mit dem es gleichzeitig telefoniert und ein Selfie fotografiert. Es legt dafür den Kopf zur Seite und greift mit seiner Hand durch sein Haar, um die Instagram-Performance per Foto zu erhöhen. Das ist die neue Bürgerin der USA, die Lana verehrt. Ein Social-Media-besessener Selbstdarstellungsprofi, der Probleme mit Aufmerksamkeit hat. Das Mädchen verpasst wegen des Multitaskings mit dem iPhone den magischen Moment, als Madame Del Rey die Bühne betritt. Die bewegt den weiblichen Teil dieses Landes, sie schüttelt ihn durch, bis man vor echtem Schwindel nichts mehr posten kann.

Die Beautyqueen-Frisur ist verschwunden

Vor der Bühne warten etwa 5000 Mädchen im Alter von 13 bis 21, viele mit Blumenkränzen im Haar, wie Lana sie einst trug. Dazu: abgeschnittene Jeans-Shorts, sogenannte "Daisy Dukes", die Lana ausschließlich mit Converse-Turnschuhen kombinierte. Zusammen mit bestimmt eintausend Schwulen schreien sich die 5000 Mädchen nur drei Sekunden nach Lanas Erscheinen die Seele aus dem Leib. Nur die circa 500 heterosexuellen Jungs sehen die Sache gelassener und verschränken erst einmal die Arme. Niemand kümmert sich um sie.

Es stimmt also. Lana hat sich vom Vintage-Göttinnen-Image verabschiedet. Sie ist nun eine Dame, trägt ein weißes Spitzenkleid bis zum Knie, beim nächsten Auftritt auf dem Coachella Festival wird es rot sein. Sie läuft barfuß auf und ab, die Beautyqueen-Frisur ist verschwunden. Im Applausgewitter setzt sich sie sich kurz auf ihren Emanuelle-Korbsessel, doch dann geht es los. Mit "Cola", einem Song aus Lanas Lolita-Vergangenheit: "My pussy tastes like Pepsi-Cola, my eyes are wide like cherry pies, I got a taste for men who're older, it's always been, so it's no surprise." 5000 Mädchen drehen durch. Sie sind bereit, wegen "Cola" vor Lana in Ohnmacht zu fallen und dabei ihr Telefon zu verlieren.

Verschmolzen mit den Fans

Ist das aber wirklich Rock 'n' Roll? Zumindest ist es eine Rock' n' Roll -Möglichkeit für 2014. Lana singt für die kommenden Ehefrauen und Mütter über diesen tollen Kitsch dysfunktionaler Beziehungen mit unseriösen, aber attraktiven "bad boys" aus Las Vegas oder Hollywood, wegen denen man sich, theoretisch, umbringen will und nachts zu schnell, bekokst und betrunken die Küste entllangfährt.

Niemand schafft es besser, diese Stimmung aus Unglück, Grenzüberschreitung und Selbstaufgabe in eine glamouröse Hülle zu verpacken oder sie gar wie einen Softdrink zu präsentieren, an dem man mal kurz nippen kann, aber nur nippen, weil einem zu viel davon die Figur versaut. Del Rey sagt aber auch: Es gibt diese Gefühle, diese Zustände wirklich in einem Mädchenleben. Und es ist besser, wenn sie mindestens einmal gefühlt werden, auch wenn die Ratgebertexte in der Cosmopolitan davon abraten und sie die College-Karriere gefährden. Das sagt diesen Mädchen derzeit sonst niemand. Wohin sollten sie sich also wenden?

Nach zwanzig Minuten Del-Rey-Verführung immer noch keine Beruhigung im Publikum, in dem übrigens niemand nach Eltern aussieht. Erziehungsberechtigte nehmen in der Regel Abstand von der Künstlerin, weil sie sich über deren Absichten nicht ganz klar sind. Wieder ein Punkt auf Lanas Rock 'n' Roll-Checkliste. Del Rey bringt die Halle mit "Summertime Sadness" und "Ride" dann endlich zum Überschnappen und als sie "I'm trying hard not to get into trouble, but I've got a war on my mind" haucht, ist es so weit:

Lana löst die Bühnengrenze auf. Sie steigt hinab, sie wird mit den Fans verschmelzen. Zwei Mädchen mit roten Blumen hinter dem Ohr versuchen, Lana leidenschaftlich auf eine ihrer kühlen Wangen zu küssen. Lana küsst zurück. Wenige Tage später wird sie in Coachella Ähnliches tun und sich rückwärts in einem roten Froteeminikleid in die Menge fallen lassen. Selfie nicht ausgeschlossen.

Mach' es im Flow

An diesem Abend in San Francisco ist aus Lana Del Rey Elvis geworden, und 2024 wird es eine dieser typischen Lana-Shows in Vegas geben. Bis dahin ist aber noch Zeit, an der neuen Del Rey'schen West-Coast-Rock 'n' Roll-Variante zu arbeiten.

Es ist eine merkwürdig spirituelle Fassung, die nicht so viel mit Selbstzerstörung wie in den kalten Oststädten der Welt zu tun hat. Sie sagt, geh' durch die Dinge durch, umschiffe sie nicht, aber mach' es im Flow. So wie es an der Westküste sein muss. Dann wird dein Leben besser. Das ist es, was Lana den Mädchen in San Francisco ins Ohr flüsterte.

Nach dem Konzert liegt vor der Bühne wirklich schicker Müll. Ray-Ban-Sonnenbrillen, Turnschuhe, BHs, Chanel-Parfüm, Deostifte und Blumen. Alles zerrissen, zertrampelt, kaputt. Der Rock 'n' Roll von Frau Del Rey hat bestens funktioniert.

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