Neuer Krimi von J.K. Rowling:Biss in die Knochen

Neuer Krimi von J.K. Rowling: Veröffentlicht Krimis unter Pseudonym: Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling.

Veröffentlicht Krimis unter Pseudonym: Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling.

(Foto: AFP)

Joanne K. Rowling hat wieder unter dem Pseudonym Robert Galbraith einen Detektivroman vorgelegt. Gewalttätiger als in "Die Ernte des Bösen" war die Mutter von Harry Potter nie.

Von Alexander Menden

Dieser Text erschien am 6. November 2015 anlässlich der Veröffentlichung von "Die Ernte des Bösen" im englischsprachigen Original. Die deutsche Übersetzung ist seit heute erhältlich.

Im Nachwort zu ihrem dritten Krimi, "Career of Evil", gesteht J.K. Rowling, sie habe es noch nie so sehr genossen, einen Roman zu schreiben. Dass Rowling von den Abgründen der menschlichen Natur fasziniert ist, wissen Harry-Potter-Leser. Dass ihr aber ausgerechnet diese finstere Geschichte so viel Vergnügen bereitet haben soll, lässt dann doch noch ein bisschen tiefer blicken.

Die Welt des Privatdetektivs ist nichts für Zimperliche

An der Monstrosität des Killers, mit dem Rowlings Privatdetektiv Cormoran Strike es diesmal aufnehmen muss, besteht jedenfalls vom ersten Kapitel an kein Zweifel. Da ergeht sich der Serienmörder in genüsslichen Erinnerungen an das Blutbad, das er soeben veranstaltet hat. Wenn der "Shadwell Ripper" später die abgetrennten Finger eines seiner Opfer aus dem Gefrierfach holt, wird es endgültig "subhuman", wie der Titel des entsprechenden Kapitels andeutet: "Er nahm einen heraus, presste ihn gegen seine Lippen und biss dann fest hinein. Er stellte sich vor, dass sie noch immer daran hinge, vor Schmerzen schreiend. Er kaute tiefer, genoss das Gefühl des kalten, aufbrechenden Fleisches, während seine Zähne sich hart gegen den Knochen drückten. Eine Hand nestelte an der Kordel seiner Trainingshose . . . ".

Hat man die beiden ersten Fälle des Kriegsveteranen Cormoran Strike gelesen, die Rowling ebenfalls unter dem Pseudonym Robert Galbraith veröffentlichte, weiß man, dass die Welt des Privatdetektivs nichts für Zimperliche ist. So dicht bevölkert von Versehrten und Zerstörten an Leib und Seele wie in "Career of Evil" (das kommenden März als "Ernte des Bösen" auf Deutsch erscheint) war sie allerdings noch nie. Als Strikes Assistentin Robin per Kurier ein abgetrennter weiblicher Unterschenkel zugestellt wird, ist klar: man wird sich, verglichen mit Rowlings Satiren auf Mode- ("Ruf des Kuckucks") und Literaturbetrieb ("Der Seidenspinner") auf eine härtere Gangart einstellen müssen.

Wie jeder gute Krimi-Detektiv ist Strike findiger als die Polizei

Cormoran Strike, dem als Militärpolizist in Afghanistan selbst das halbe Bein weggesprengt wurde, hat rasch eine Liste möglicher Absender beisammen: Ein Londoner Gangster, ein ehemaliger Möchtegern-Rockstar, den Strike trotz Freispruchs für den Mörder seiner Mutter hält, und zwei ehemalige Soldaten. Beide lupenreine Psychopathen, der eine ein Kinderschänder, der andere wegen viehischer Gewalt gegen seine Frau aus der Armee entlassen. Sie alle haben guten Grund, Strike zu hassen, und ihnen allen traut der Detektiv das Schlimmste zu.

Es liegt eigentlich nicht an ihm, den Mord an der zerstückelten Frau aufzuklären - Rowling bleibt, was die Grenzen anbelangt, die einem Privatermittler gesetzt sind, immer realistisch. Aber zum einen fühlt er sich verantwortlich für das Gemetzel, mit dem der Mörder offenkundig ihn treffen will. Zum anderen ist die Assoziation mit zerhackten Leichen schlecht fürs Geschäft. Zudem ist Strike, wie jeder gute Krimi-Detektiv, findiger als die Polizei.

Grenzenlose Ungleichheit

Auch als Galbraith spielt J.K. Rowling die Stärken aus, die ihre Potter-Bücher so erfolgreich machen: Die Figurenzeichnung ist präzise und dreidimensional, ganz gleich, ob es um die Hauptfiguren geht oder um schillernde Nebenakteure wie Strikes Jugendfreund Shanker, einen Cockney-Hardman, den Strikes Mutter als Kind aus der Gosse auflas. Ortsbeschreibungen sind oft wunderbar atmosphärisch; besonders London fängt sie, wie schon in den Vorgängerbänden, in seinen zahllosen Facetten ein.

Dabei geht es noch mehr als bisher um die Welten, die zwischen den sozialen Schichten der Metropole liegen. Strike sinniert über die Entfernung zwischen dem luxuriösen Haus seiner derzeitigen Freundin nahe dem Regent's Park und der schmuddeligen Wohnung in Whitechapel, in der seine Mutter an einer Überdosis Heroin starb: "Sie konnte nicht einfach in Meilen gemessen werden. Sie waren getrennt durch grenzenlose Ungleichheit, durch die Lotterien der Geburt und des Zufalls."

Rowling findet die Schattenseiten der malerischen Flecken

Strike und Robin verlassen London, sie reisen auf der Suche nach den Verdächtigen durch England und Schottland, von Montrose nach Barrow-in-Furness, von Market Harborough nach Corby, und dann wird es manchmal arg touristisch. Die Beschreibung der Landschaft von Cumbria als "Panorama von Moorheiden und Torflandschaften und einem diesigen blauen Himmel" könnte direkt aus einem Prospekt des Fremdenverkehrsverbandes stammen. Aber letztlich findet Rowling doch immer wieder die finsteren Ecken, die Massagesalons und tristen, irgendwie sinistren Reihenhaussiedlungen, die Schattenseiten der malerischsten Flecken.

Die Recherchereisen in die britische Provinz bieten zudem Gelegenheit, die von beiden bekämpfte, höchst unterhaltsame erotische Spannung zwischen dem Detektiv und seiner Assistentin hochzufahren. Robin ist nicht nur attraktiv, sie entwickelt sich auch mehr und mehr zur ebenbürtigen Partnerin des klugen, aber oft auch groben Detektivs. Zugleich reißen die Ermittlungen die Wunden in Robins eigener, erstaunlich traumatischer Vergangenheit auf.

Am Ende dann: ein seifenopernreifer Cliffhanger

So wird auch allmählich klarer, warum sie es so lange mit ihrem unsympathischen Verlobten Matthew ausgehalten hat. Matthew ist der größte Widerling im Galbraith-Kosmos, und die Autorin scheint selbst eine solche Abneigung gegen ihn entwickelt zu haben, dass er diesmal als einzige Figur knapp an der Karikatur vorbeischrammt. Dieser Dreiecksbeziehung verdanken wir auch den seifenopernreifen Cliffhanger am Ende von "Career of Evil".

Bisher sind die Stories der Strike-Romane chronologisch von Anfang 2010 bis zum Frühsommer 2011 verlaufen. In "Career of Evil" ist die Hochzeit Prinz Williams mit Kate Middleton der folkloristische Hintergrund des Falles. Wenn Rowling/Galbraith im unweigerlich folgenden, und hochwillkommenen, vierten Band da ansetzt, wo dieser endet, könnte es noch finsterer werden: Im August 2011 begannen die London Riots.

Robert Galbraith: Die Ernte des Bösen. Blanvalet 2016. 672 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.

Robert Galbraith: Career of Evil. Sphere, London 2015. 494 Seiten, 15,95 Euro. E-Book 12,99 Euro.

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