Neuer Frauentypus im Kino:Männerdämmerung

Davor haben uns die Jungenforscher schon immer gewarnt: Die starken Killermädchen kommen. Sie wollen nicht schön sein und nicht sexy. Aber auf alle Fälle nehmen sie ihr Leben selbst in die Hand. Vorläufig zumindest im Kino.

Barbara Gärtner

Vielleicht muss man Heidi Klum auch dafür hassen. Mädchen. Das Wort hat sie einem auf Jahre verleidet; sie sagt es minütlich, dehnt es meckernd, immer mit distanzierendem Artikel - "die Määäädchen" - und meint dabei doch nur die dürren, gedrillten Divendarstellerinnen ihrer Casting-Sendung. Die sprechen von sich selbst auch immer nur als "die Mädchen", obwohl doch klar ist: Niemand, der sich heutzutage Mädchen nennt, passt alterskorrekt noch in Miss Sixty; kein Mädchen nennt sich selber "Mädchen". Die Frauen in Ballerina, Bubikragen und mit Weichzeichnersträhnchen versuchen die Altersstrenge abzumildern und verniedlichen sich selbst mit entschuldigendem Augenaufschlag: Alles nicht bös' gemeint. Statt unschön fordernd geben sie sich kess, frech, unschuldig und hellokitty-ironisch.

Filmtipp "Wer ist Hana?"

Ein engelszarter Kampfroboter: Saoirse Ronan, bekannt aus Abbitte, spielt in Wer ist Hanna eine eiskalte Killerin.

(Foto: Sony)

Während viele Frauen als liebreizende Lolitas getarnt durchs Leben trippeln, feiert das erste Kinohalbjahr das Mädchen als Kerl. Die Filme "True Grit", "Winter's Bone" und "Wer ist Hanna?" zeigen drei Figuren, denen Zahnspange, Highschool-Giggeln und Justin-Bieber-Anhimmeln völlig fremd sind. Im Western "True Grit" rächt Mattie Ross (Hailee Steinfeld) den Tod ihres Vaters. Sie ist barsch, akkurat bezopft und 14 Jahre alt. "Ich will, dass die Sache erledigt wird", herrscht sie den müden, versoffenen US-Marshall Rooster Cogburn an. Und: "Ich bezahle Sie nicht fürs Reden." Der verbitterte, furchtlose Rächer: Eigentlich war das immer eine Rolle für knarzig faltenzerfurchte Haudegenschauspieler - also für Typen wie Jeff Bridges, der hier als Marshall von einem ponyreitenden Teenager rumkommandiert wird.

Auch Ree (Jennifer Lawrence) ist für ihr Alter ziemlich unpubertierend sachlich. Sie ist die traurige Heldin in "Winter's Bone", stapft in Parka und Wanderstiefeln durchs triste Missouri und sucht nach ihrem Vater. Der ist ein Drogenpanscher kurz vorm Prozess. Als Kaution hat er Haus und Hof der Familie dem Sheriff überschrieben - erscheint er nicht bei Gericht, werden Ree, die in Depressionen versunkene Mutter und die zwei kleinen Geschwister obdachlos.

"Reden Sie lieber mit mir", sagt die ernsthafte Ree zum Sheriff, der eigentlich ihrer Mutter die üble Nachricht überbringen will. Weil auf die Erwachsenen kein Verlass ist, wuchtet das gerade mal 17 Jahre alte Mädchen die Elternverantwortung, hängt Wäsche auf, streicht liebevoll über Geschwisterköpfe, trägt die ganze Bread-Winner-Sorge und am Ende auch die abgesägten Hände des ermordeten Vaters.

Und nun kommt zum Rache-Mädchen Mattie und Fürsorgegirl Ree noch ein dritter robust-rabiater Mädchentyp ins Kino: der engelszarte Kampfroboter. "Wer ist Hanna?", das wüssten die CIA-Agenten auch gerne, die mitten im verschneiten finnischen Märchenwald ein zierliches Geschöpf einfangen, es in einen Techno-Geheimbunker zum Verhör einsperren und die junge Frau trotzdem nicht aufhalten können. Hanna - gespielt von der famosen Saoirse Ronan, die schon als kleines Biest in "Abbitte" für den Oscar nominiert war - hat zwar keine Ahnung von der Zivilisation, aber ziemlich viel davon, wie man durchtrainierte Killer aus dem Weg rummst.

Von ihrem Vater wurde sie fernab der Welt zur Kämpferin hochgerüstet, allzeit bereit zum Zuschlagen oder Wegrennen; selbst Cate Blanchett, die als fiese CIA-Hexe Hanna umbringen will, sieht hier ziemlich alt und gestrig aus. Doch wenn sie nicht drischt und rennt und springt, dann hat Hanna mit ihren flirrenden Meerjungfrauenlocken, der schüchternen, brüchigen Stimme und den babyblauen Augen die Anmutung einer wildscheuen Fee, die auch nicht recht weiß, wo sie da hineingeraten ist. Einmal versucht sich diese allen Teenagerträumen ferne Hanna an einem Mofadate mit einem Jüngling. Romantisch sitzen sie beieinander, er rückt näher, sie fragt spitz: "Küssen wir uns jetzt?", doch bevor er nicken oder vollziehen kann, wirft sie den armen Burschen aufs Kreuz. Er kann einem leid tun.

Männerwelt in der Krise

Gut, dass die besorgten Jungenforscher und Kristina Schröder offensichtlich kaum ins Kino gehen, denn sonst wäre das Gegreine groß: Mädchen haben heute die besseren Schulabschlüsse, schließen das Studium häufiger erfolgreich ab, drängen vermehrt in die einstigen Männerfächer Jura und Medizin, sogar in den Kriminalstatistiken holen sie auf - und nun lösen sie auch noch den klassisch knackigen Film-Heroen ab. Denn selbst der Heldengießerei Hollywoods gingen in letzter Zeit die männlichen Superhelden aus. "Thor", einst Donnergott, kann seinen eigenen Hammer nicht mehr heben und plumpst gerade in Kenneth Branaghs Actiongegrolle als Menschlein vom Himmel - wenn auch mit beeindruckender übermännlicher Oberkörperformung.

Natürlich darf man das Kino nicht mit dem Leben verwechseln. Das Kino ist ein Projektionsapparat, spielt das ab, was wir uns gestern als Morgen vorstellten. Gestern also war Krise, ein paar Nullen verschwanden von Bankkonten, viele verloren Visitenkarten, Kreditkarten, Hypotheken, Häuser und die Gewissheit, dass es morgen noch formidabler laufen werde. Vor allem die Männer waren es, die von den jüngsten Wirtschaftsturbulenzen zerzaust wurden.

Amerikanische Medien haben das Wort "Recession", also Rezession, zur "He-Cession", der Männerkrise, umgedeutet. Anzugträger samt Collegeabschluss und Eigenheim, die früher Amerika gemanagt und getriezt haben, all die Boni-Ritter und Flugmeilensammler, gerade sie warten heute auf Jobangebote, doch ihre Blackberrys schweigen. Das Time Magazine fragte neulich: Kann die Männerwelt diese Krise überstehen? Zur Antwort bastelten die Journalisten ein neues Akronym: BMW, der "Beached White Male", der gestrandete Weiße Mann. Es sind dieselben Typen, die früher im BMW herumfuhren, die nun zu BMWs degradiert werden.

Die Filme zum Arbeitslosenantrag laufen Anfang Juli im deutschen Kino an. Tom Hanks stürmt als Baumarktmitarbeiter "Larry Crowne" ins Vorgesetztenbüro, erwartet die Auszeichnung zum Mitarbeiter des Monats, die neunte inzwischen, und wird stattdessen rausgeworfen. In "Company Men" trifft es gleich drei Männer aus derselben Firma. Ben Affleck, Tommy Lee Jones und Chris Cooper tragen ihre Angestelltenanzüge wie eine Uniform, selbst als Arbeitslose. Als der Jüngste (Ben Affleck) vom Golfplatz vertrieben wird, rügt ihn die Gattin: so ein teures Hobby, muss das sein? "Ich muss wenigstens erfolgreich aussehen", jault er.

Wenn man diesen Männern die Jobs nimmt, bleibt ihnen wenig. Trotz Frau, Haus, Kindern und Hund, des ganzen amerikanischen Glückprogramms. Sie werden zu Memmen, jammern, wissen nicht, wie man einen Tag verbringt - es ist spektakulär, dass gerade das Alles-wird-gut-Mainstream-Kino davon erzählt. Geschenkt, dass Tom Hanks dann aufs College geht (Regression!) und auf dem zweiten Bildungsweg Julia Roberts rumkriegt und auch die Typen mit den Managerallüren, die sich hängen lassen (Depression!), zum Happy End hin natürlich lernen, dass Herzensdinge wichtiger sind als der Gehaltszettel.

Abwesende Väter und überforderte Mütter

Die einst klassisch männlichen Filmtugenden - Unbeirrbarkeit, Unbezwingbarkeit, Kraft, Fürsorge und Verantwortung - werden neuerdings von weiblichen Teens exekutiert. Die Filmmädchen sind unironisch, zaudern nicht, und männliche Anerkennung ist ihnen wurst. Das macht sie so besonders, sie sind eben keine von diesen Tank-Top-Action-Girls aus den Comic- und Computerspiel-Verfilmungen, ein bisschen böse, aber bitte schön nicht sexverhindernd brachial. Ree, Mattie und Hanna denken noch nicht einmal an Knutschen, sie haben Wichtigeres zu tun.

Denn in dieser desolaten Krisenwelt wirken sie auch so, als hätten sie sich höchstselbst gebären müssen. Die Väter sind entweder tot ("True Grit", "Winter's Bone"), verantwortungslose Verbrecher ("Winter's Bone") oder können im entscheidenden Moment nichts tun ("Wer ist Hanna?"). Auch die Mütter fehlen in den Mädchenfilmen völlig. In "True Grit" sagt Mattie, ihre Mutter könne nicht zählen und buchstabieren, deshalb sei sie da, um die Sachen zu regeln, Rees Mum ist ein apathisches Häuflein Elend, und von Hannas Mutter ist nur ein kleines Passbild geblieben, vom vielen Anschmachten schon ganz vergilbt; die Mutter, hier ist sie eine Leerstelle.

Der abwesende Vater, die kollabierten, überforderten Mütter - denkt man an die immer wieder hochkochenden Erziehungsdebatten, dann ist das keine ferne Fiktion. Auch wenn sich solche Debatten meist schnell auf eine biestige Mutterbeschau reduzieren und das Versagen der klassischen Erziehungsinstitutionen wegen Pisa und Pädophilie gerade eine bizarre Renaissance der Mutti als Drill-Domina begünstigt.

Erwachsene Vorbilder, Männer wie Frauen, sucht man in der Film- und Popkultur heute vergebens.

Eine Zeitlang wurde in Mode und Pop die "Mad-Men"-Lady ausgeführt, die Röcke wurden ein wenig länger, die Blusen hatten Schleifen, selbst altmodische Schlüpfer wurden in den Modemagazinen propagiert, die kleidgewordene Sehnsucht nach dem Früher-war-alles-besser. Retro-Gespenster. Wie wollen wir miteinander leben? Einen Vorschlag dazu liefern die Filme nicht. Fürs Erste müssen es wohl diese Mädchen alleine richten. Sie kennen kein Gestern, sie sind die Einzigen, die radikal an Morgen denken.

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