Neuer Erzählband von Judith Hermann:Dieses Kreiseln um Belangloses geht leicht auf die Nerven

Judith Hermann

Ihrem Projekt - den poetischen Augenblick in Worte zu fassen - bleibt sie treu: Judith Hermann.

(Foto: Ulf Andersen/Getty Images)

Judith Hermann kann hübsche kleine Erzählungen schreiben, die einen je nach Stimmung berühren oder kalt lassen. Weltliteratur sollte man von ihrem neuen Erzählband "Letti Park" aber nicht erwarten.

Von Kristina Maidt-Zinke

Eigentlich ist doch alles sehr gut gelaufen für Judith Hermann. Die mediale Hyper-Inszenierung, die vor achtzehn Jahren um ihren Debütband "Sommerhaus, später" veranstaltet wurde, hat sie offenbar ohne Blessuren überstanden. Sie ist ihrem literarischen Verfahren treu geblieben und hat es in den vier Büchern, die seitdem entstanden sind, interessant variiert. Auch durch heftige Verrisse ihres bislang einzigen Romans hat sie sich nicht beirren lassen: Dass sie in ihrem neuen Band "Lettipark" wieder zu jenen Kurz- und Kürzestgeschichten zurückgekehrt ist, denen sie ihren frühen Ruhm verdankt, möchte sie ausdrücklich nicht als Bankrotterklärung gegenüber der größeren epischen Form verstanden wissen.

Mittlerweile sieht sie ihrem legendären Autorinnenfoto von 1998 nur noch entfernt ähnlich, und sie hat sich auch sonst gegen das Etikett der melancholischen Zeitgeist-Madonna mit Pelzkrägelchen, das ihr damals angeheftet wurde, recht energisch behauptet. Inzwischen weiß man, dass sie, als Erzählerin so etwas wie eine Ikone des Ungesagten, im richtigen Leben zwar öffentlichkeitsscheu, aber durchaus gesprächig ist und gern Auskunft gibt über ihre Arbeit, auch auf die Gefahr hin, damit die notorisch geheimnisträchtige, im wahrsten Sinne schleierhafte Aura ihrer Texte zu beschädigen.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Unversehrt erhalten hat sich über all die Jahre der Konsens, dass Judith Hermann eine der wichtigsten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen sei, deren Schaffen es mit größter Aufmerksamkeit zu beobachten gelte. Und auch wenn die Urteile dann jeweils gemischt ausfallen, ist dies nicht die schlechteste Voraussetzung, um ein schriftstellerisches Projekt weiterzuverfolgen.

Überlebte Freundschaften, Therapieerfahrungen, bröckelnde oder zerbrochene Beziehungen und pflegebedürftige Eltern

Denn von einem "Projekt" kann man gewiss sprechen, wenn jemand mit äußerst reduzierten stilistischen Mitteln unermüdlich die Suche nach dem poetischen Moment betreibt. Nach dem Augenblick, in dem sich eine komplexe menschliche Erfahrung - ein unbewältigtes Gefühl, ein unentwirrbares Beziehungsgeflecht, eine unbegriffene Lebenssituation, ein unbestimmtes Sehnen - in einem knappen, präzisen und zugleich mehrdeutig changierenden Bild verdichten lässt.

Dass es Judith Hermann um diese Momente geht, hat sie gelegentlich mitgeteilt; dass sie ihre Texte an den allerbesten Stellen zum Leuchten bringen, ist ihr oft genug bescheinigt worden. Im neuen Erzählungsband "Lettipark" wird mehr denn je sichtbar, wie zielbewusst sie darauf hinschreibt - die Frage des Gelingens steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls bedient sie sich routiniert ihres lange erprobten Instrumentariums - Lakonie, Parataxe, Beschreibungsaskese, Ironiefreiheit - und beschränkt sich wieder auf ein Personal, das unverkennbar ihrer persönlichen Lebenswelt entstammt, wie schon in "Sommerhaus, später".

Die Figuren, damals junge, leicht lethargische, aber kosmopolitisch umtriebige Kettenraucher(innen) mit einer ziellosen Sehnsucht nach dem "eigentlichen" Leben, das noch kommen sollte, sind jetzt mehr oder weniger normale, nichtrauchende Mittvierziger mit Kindern und Kegeln, überlebten Freundschaften, Therapieerfahrungen, bröckelnden oder zerbrochenen Beziehungen und pflegebedürftigen Eltern. Manche scheinen in gemäßigt prekären Verhältnissen zu leben, hier und da lugt der Tod schon um die Ecke, aber nach bewährter Hermann-Manier wird dergleichen höchstens angedeutet und dann im Vagen belassen.

Preziöse Namenskunde

Apropos Manier: Nach wie vor nennt Judith Hermann ihre Figuren geschwisterlich beim Vornamen und neigt dabei zur Überinstrumentation - unter Ada und Sophie, Philipp und Deborah, Martha und Maude, Henry und Samanta geht da gar nichts. Namen mögen eine Marginalie sein, aber hier unterläuft ihre preziöse Internationalität auf seltsam ungelenke Art den Understatement-Ton der Erzählung. Zumal sie im Text so oft wiederholt werden.

Unfreiwillig komisches Stilmittel

Wie überhaupt die Wiederholung ein Stilmittel ist, das unfreiwillig komisch wirkt, wenn es Redundanzen zur Bedeutungsschwere aufbläht: "Bojana ruft Selma an und sagt, komm doch vorbei. Komm auf ein Glas Wein vorbei." Oder: "Sie wird auf gar keinen Fall ins Haus rübergehen, zu den anderen rübergehen, sie kennt die anderen überhaupt nicht, diese Leute sind Leute, die Carl kennt." Oder: "Sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben die Polizei angerufen. Sie hatte die Polizei gerufen, und die Polizei war gekommen . . .".

Das mag einmal Effekt gemacht haben als Sound einer Generation, die noch nichts Rechtes zu sagen hatte und es dennoch versuchte, die Zeit vernichten musste beim Warten auf das Ich-weiß-nicht-was. Jetzt aber, da man sich unter Erwachsenen befinden soll, geht dieses Kreiseln um Belangloses leicht auf die Nerven. Und wenn man sich daran erinnert, wie emphatisch Judith Hermann von vielen für ihren Minimalismus und ihre "Kunst des Weglassens" gelobt wurde, muss man sich fragen, wie genau sie damals hingeschaut hatten.

Insofern ist nämlich doch nicht alles prächtig gelaufen für die Berlinerin, die schon früh dem Klischee der Hauptstadt-Literatin zu entrinnen versuchte und sich gern auf amerikanische Vorbilder wie Raymond Carver und Alice Munro beruft: Mit dem Hype um ihr Debüt wurde die Latte, an der man ihre Texte misst, so hoch gelegt, dass sie kaum eine Chance hat, auf dem Boden der Tatsachen wieder Fuß zu fassen. Solange man von ihr erwartet, dass sie deutsche Weltliteratur produziert, wird man nicht zu würdigen wissen, was sie wirklich kann: hübsche kleine Erzählungen schreiben, deren Ton und Sujet einen je nach Stimmung berührt oder kalt lässt, die sprachlich oft kleine Widerhaken haben, manchmal durch überschüssiges Pathos und manchmal durch Banalität irritieren, meist jedoch an irgendeiner Stelle einen Zauber entfalten, der damit versöhnt.

Auf den berührenden Moment folgt der Kitsch

Am besten gelungen erscheinen in "Lettipark" die Geschichten, in denen die Autorin ein Stück handfester Realität zu fassen bekommt. Gleich in der ersten werden Kohlen geliefert, was anachronistisch anmuten mag, doch in der dörflichen Szenerie, die Hermann rasch skizziert, durchaus stimmig ist: Jüngere Leute sind aufs Land gezogen, in einen verlassenen Bauernhof, und haben sich mit vormodernen Lebensumständen arrangiert. Der Blick der Erzählerin aber ruht auf einem Vierjährigen, dessen Mutter im vorigen Winter gestorben ist, und der nun verständig, "selbstverständlich", beim Kohlenschippen hilft.

Über ihn bemerkt sie: "er sah aus wie einer, dem eine unsichtbare Hälfte fehlte, er sah aber auch aus wie einer, der eine halbe Glorie um sich herum hatte." Das ist schön gesagt, und es hätte gar nicht mehr der Pointe bedurft, die auf die Überlegung folgt, wie der Tod der Mutter das ganze Leben des Jungen bestimmen würde: "und wir nahmen die Kohlen aus seinen kleinen schmutzigen Händen entgegen wie Hostien".

Hier wird der Kitsch gestreift, und mit solchen Schluss-Apotheosen müsste Judith Hermann vorsichtiger sein, aber das ändert nichts daran, dass ihr zuvor ein berührender Moment geglückt ist.

Man sollte keine literarischen Hostien erwarten

Deren gibt es einige in diesem Band, dessen Titel sich übrigens, so weltläufig auch sonst die Schauplätze sind, von einem real existierenden, wohl eher trostlosen Berliner Park herleitet. Man muss sie suchen und dabei über einiges Gestrüpp und ein wenig kunstgewerbliche Ausstattung hinweglesen. Vor allem aber sollte man Judith Hermann Zeit lassen, ihr Projekt zu verfolgen, und nicht von ihr erwarten, dass sie literarische Hostien austeilt.

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