Neuer alter Bonuswahn:Vom Erdulden der Macht

Die Wirtschaftskrise scheint vorbei zu sein: In den Banken wird wieder verdient, als sei nichts geschehen. Was uns an den Gehaltsexzessen der Führungsschicht irritiert.

Stephan Speicher

Die Wirtschaftskrise ist vorbei, es wird wieder verdient. In den Banken werden Gehälter und Bonifikationen zum Thema, als sei nichts geschehen, auch in solchen Banken, die nur mit großen staatlichen Hilfen, also unter Heranziehung der Steuerzahler, gerettet werden konnten. Die Zahlen sind schwindelerregend, die Empörung groß, in Europa so gut wie in den Vereinigten Staaten, wo man seit je mit sichtbar großen Vermögensunterschieden zu leben gewohnt ist.

Neuer alter Bonuswahn: Hinter dem wirtschaftlichen Denken verbirgt sich ein politisches Problem, genauer gesagt: Es verbirgt sich nur für die Augen der Wirtschaft - für die Mehrzahl der Bürger scheint es ganz offenkundig zu sein.

Hinter dem wirtschaftlichen Denken verbirgt sich ein politisches Problem, genauer gesagt: Es verbirgt sich nur für die Augen der Wirtschaft - für die Mehrzahl der Bürger scheint es ganz offenkundig zu sein.

(Foto: Foto: iStock)

Besondere Aufmerksamkeit hat Andrew Hall erregt, der zuletzt einen Bonus von 100 Millionen Dollar beansprucht hat. Sein Fall zeigt das politische Problem, das sich hinter dem wirtschaftlichen Denken verbirgt, genauer gesagt: sich für die Augen der Wirtschaft verbirgt, der Mehrzahl der Bürger aber ganz offenkundig zu sein scheint.

Verbindlichkeit nach unten

Der Anspruch des Andrew Hall ist nach dem, was man weiß, ökonomisch gut begründet. Bei der Citigroup leitet er eine Investment-Abteilung namens Phibro, die im Rohstoffhandel engagiert ist. Achtzig Prozent der Gewinne gehen an die Bank, zwanzig Prozent an Phibro, von diesen aber der Löwenanteil an Hall. Nehmen wir an, dass die gewinnbringenden Entscheidungen tatsächlich von Andrew Hall getroffen werden und es Entscheidungen sind, zu denen andere nicht befähigt sind. Und sehen wir auch davon ab, dass hoch profitable Geschäfte in aller Regel hochriskant sind, dass also Staat und Steuerzahler am Risiko beteiligt sind; wenn nicht bei Phibro und Hall, so doch bei anderen, die auf diesem Feld tätig und für Geschäfte dieser Art als Partner doch wohl unabdingbar sind.

Wenn wir als Bürger das akzeptieren, was folgt dann daraus? Es folgt die Anerkennung, dass die Ansprüche Halls und seiner Kollegen ökonomisch begründet werden können. Sind sie damit gerecht? Gerechtigkeit heißt nach einem alten Rechtssatz, einem jeden das Seine zuzuteilen, suum cuique tribuere. Und wenn jemand aufgrund geschickter Entscheidungen viel Geld gewonnen hat, ist es dann nicht das Seine?

Noch einfacher aber als das Prinzip des suum cuique ist das tu quoque: Du auch! Was mich verpflichtet oder berechtigt, das gilt auch für dich und umgekehrt. Und hier öffnet sich ein erster Blick darauf, warum die Mehrzahl der Bevölkerung vom Recht der exorbitanten Gehälter und Boni nicht überzeugt ist. Diese Vergütungen werden mit Argumenten begründet, die auf große Teile des erwerbstätigen Bevölkerung nicht anzuwenden sind. Eine Lehrerin, ein Krankenpfleger oder Lokführer kann das Argument eines Andrew Hall, ohne seine ganz persönliche Leistung sei der Gewinn, an dem er beteiligt werden wolle, nicht zustande gekommen. Nur eine Minderheit kann sich ökonomischen Gewinn der eigenen Tätigkeit unmittelbar zurechnen.

Der scharfe Liberale, der jeder Gerechtigkeitsforderung misstraut, die sich nicht am Markt ausweisen lässt, wird vermutlich entgegnen, die schlechte Position von Lokführer, Krankenpfleger, Lehrerin sei eine Angebotsfrage, ihre Bezahlung und die des Investment-Bankers ein Knappheitspreis. Es gebe nun mal mehr Leute, die für Krankenpflege qualifiziert seien als für den Rohstoffhandel. Das Argument ist offenkundig nicht ohne Kraft. Den Kern des tu quoque, des Du auch! trifft es aber nicht. Es ist die Grenze dieser Art liberaler Argumentation, die Vergütungsfragen allein als wirtschaftliche zu sehen, als solche, die nach den Interessen des Unternehmens entschieden werden, nach dem möglichst vorteilhaften Verhältnis von Einsatz und Ergebnis.

Banker ins Feldbett

Die Wirtschaft lenken heißt auch Macht auszuüben, die andere dulden müssen. Der Macht ausgesetzt zu sein, ist nie angenehm. Etwas aber versöhnt mit der eigenen Unterlegenheit: das Zugeständnis der Mächtigen, mit den Geringen das Schicksal zu teilen. Das ist die Methode republikanisch verfasster Gemeinwesen, Legitimität zu erzeugen. Am klarsten tritt das ausgerechnet dort hervor, wo die Hierarchie am schärfsten ausgeprägt ist, im Kriegswesen. Das Kriegswesen aber ist so wichtig, weil bis ins 19. Jahrhundert die Staaten und ihre Verfassungen um das Militär aufgebaut sind.

Und zum topischen Lob des Feldherrn gehört, dass er alle Mühen mit seinen Soldaten teilt. Er schläft auf dem nackten Boden wie sie, er würgt den gleichen schlechten Fraß herunter wie sie, er erträgt den Durst wie sie und wenn die Marschkolonne endlich eine Quelle erreicht hat, dann trinkt er als letzter. Und, was das wichtigste ist, er teilt die Gefahr mit seinen Soldaten. Der Nutzen liegt auf der Hand. Dass die Großen den Feldzug durchleben wie die einfachen Soldaten, das gibt diesen nicht allein das Gefühl, respektiert zu werden. Es erzeugt den Eindruck von Interessenidentität. Wenn ich schon Führung dulden muss, dann doch am ehesten eine solche, die sich in meine Lage hineinversetzen kann, die mit mir gemeinsame Interessen hat.

Deshalb ist unter republikanischen Verhältnissen die persönliche Bedürfnislosigkeit eine so wichtige Tugend der Mächtigen. Cincinnatus, der von der Landarbeit ins Amt gerufen wurde und nach Erfüllung der Aufgaben unverzüglich in seine bescheidenen Verhältnisse zurückkehrte; Cato der Ältere, dessen Frau auch die Kinder der Sklaven stillte, das sind so die Helden der Antike und nicht weniger die der Amerikanischen und Französischen Revolution. Bis in die ersten Nachkriegsjahre ist so etwas über das altsprachliche Gymnasium noch in die Köpfe der kommenden Führungsschicht geträufelt worden.

Selbstverständlich geht es hier um Ideale, die Wirklichkeit hat oft genug anders ausgesehen. Aber das Ideal hat eine gewisse Macht. Noch Kaiser Franz-Joseph hat seine Nächte auf einem Feldbett verbracht, das bis heute in Schloss Schönbrunn gezeigt wird. Vielleicht war es ja orthopädisch für ihn das beste, aber es war auch ein Zeichen der Verbindlichkeit gegenüber den Untertanen, die auch der Monarch üben musste. Und die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, selbst wenn sie aus den reichsten Familien kamen, gaben sich Mühe, als Männer des Volkes zu erscheinen.

Man muss sich solche Traditionen und Erwartungen vor Augen halten, wenn man verstehen will, was die Bevölkerung an den Gehaltsexzessen der Führungsschicht irritiert (und warum sie gegenüber denen im Fußball so kalt ist). Es ist das Gefühl, sie habe sich von dem Leben der ihnen Anvertrauten völlig gelöst. Das aber heißt, dass es keine gemeinsamen Belange mehr gibt, die Vertrauen stiften. Das Wirtschaftsleben unterliegt nicht umstandslos den Regeln der Demokratie. Aber ganz möchte man sich auch hier nicht von der Hoffnung verabschieden, es werde das Volk vom Volk regiert.

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