Neuedition:Ein Virtuose der Quellencollage

Head of Mentemhet, Governor of Thebes, granite statue, from Karnak, Egyptian Civilization, Third Intermediate Period, Dynasty XV

Den Fürsten Mentemhet hatte Thomas Mann vor Augen, als er Mont-kaw, den Hausmeier Potiphars beschrieb: „Tiefe Furchen gingen von seiner wohlgeformten, wenn auch breitgelagerten Nase zum Munde hinab...“.

(Foto: De Agostini Picture Library/Getty)

Endlich ist Thomas Manns Hauptwerk in der Großen Frankfurter Ausgabe erschienen: Im Kommentar steckt ein dokumentarischer Roman deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Von Lothar Müller

Vermutlich im Jahr 1926 hat sich Thomas Mann ein Horoskop erstellen lassen. Es liegt in seinem Nachlass in Zürich und wird nun in der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe der Josephs-Tetralogie erstmals gedruckt. Es bescheinigt dem Dichter eine "vermittelnde Rolle zwischen Mond- und Sonneneinflüssen", und es war Thomas Mann offenkundig doppelt wichtig. Er konnte es in seine Selbstmythologisierung einbauen, zu der es gehörte, dass er seine Geburtsstunde an die Konstellation "12 Uhr mittags" anglich, über der Goethe in "Dichtung und Wahrheit" das Portal seiner Geburt erreichtet hat. Und er hat es sogleich in den Roman eingebaut und für den Sternenhimmel, unter dem er Jospeh zur Welt kommen lässt, das eigene Horoskop verwandt.

Die Kommentarbände dieser Ausgabe stehen auch deshalb den Textbänden an Umfang nicht nach, weil sie über die im engeren Sinne philologische Dimension, die Sicherung der Textbasis hinaus, solche Hintergrundgeschichten auserzählen.

Mitten in der Arbeit an seinem ausufernden Projekt wird der Autor zum Exilanten

Das gilt erstens für die lange Entstehungsgeschichte, die von 1926 bis 1942 reicht, und die biografischen Elemente, die in die Romane eingingen. Es gilt zweitens für die Quellen, die Thomas Mann benutzte, und die Anspielungen auf Werke von der Bibel bis zur aktuellen Literatur. Und es gilt drittens für den zeit- und kulturhistorischen Horizont und die Wirkungsgeschichte der Tetralogie seit dem Erscheinen des ersten Bandes "Die Geschichten Jaakobs" im Oktober 1933. So verbirgt sich in diesem Kommentar ein dokumentarischer Roman zur deutschen Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert.

Dieser dokumentarische Roman handelt von einem Autor, der mitten in der Arbeit an seinem immer weiter ausufernden Projekt zum Exilanten wird, den Band "Joseph in Ägypten" ganz überwiegend in der Schweiz, den Abschlussband "Joseph der Ernährer" in den Vereinigten Staaten schreibt. Er handelt von einem Virtuosen der Quellencollage, der sich in einen Ägyptologen zu verwandeln glaubt, aber doch immer Dilettant bleibt, vom Liebhaber des Gottes Hermes und von einem Rivalen seiner Heroen, der sich nicht weniger vorgenommen hat, als seinen Roman der Weltfahrt durch die Zeiten Goethes "Faust" und Wagners "Ring des Nibelungen"-Tetralogie an die Seite zu stellen.

Und er handelt von einem Autor, der die Ausschmückung des kargen Bibel-Textes, den er - wie der junge Goethe - ausschmückt und der Christen und Juden gemeinsam ist, immer deutlicher gegen den Nationalsozialismus an der Macht stellt, wenn etwa in "Joseph in Ägypten" der ägyptisch-nationalistische Zwerg Dûdu die Züge von Goebbels annimmt und in "Joseph der Ernährer" der Traumdeuter Joseph mit dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt und der Politik des New Deal verschmilzt.

Thomas Mann: Joseph und seine Brüder I: Die Geschichten Jaakobs. Der junge Joseph. / Joseph und seine Brüder II: Joseph in Ägypten. Joseph der Ernährer. Beide Teile herausgegeben von Jan Assmann, Dieter Borchmeyer und Stephan Stachorski unter Mitwirkung von Peter Huber. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. Jeweils Text und Kommentar in einer Kassette. 1660 Seiten und 2350 Seiten, 85 und 96 Euro.

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