Neue Weltliteratur:Ex oriente nix

Joseph O'Neill schickt einen ehrgeizigen Anwalt in die Wüste von Dubai und lässt ihn in der Bankenkrise untergehen. "Der Hund" heißt sein Roman über einen fleißigen Treuhänder seines Testosterons.

Von Christopher Schmidt

Es ist stets von Vorteil, wenn ein Autor nicht nur etwas vom Schreiben versteht, sondern auch von den Dingen, über die er schreibt. Insbesondere dann, wenn dieses Schreiben einem andere Welten erschließt, beispielsweise die Welt der globalisierten Finanzwirtschaft, deren Nachrichten seit Jahren das bessere Feuilleton sind. Ein solcher Autor ist der 1964 geborene Joseph O'Neill.

Der Sohn eines Iren und einer Türkin, der in Cambridge Jura studiert und in London als Anwalt gearbeitet hat, bevor er als freier Schriftsteller nach New York ging, hat die Weltläufigkeit schon in den Genen. Seine kosmopolitische Herkunft macht ihn zu einem idealen Repräsentanten dessen, was man "neue Weltliteratur" nennt - eines kulturell entgrenzten Schreibens. Und die Zentrifugalkräfte der Globalisierung sind auch sein Thema als Autor, eines, mit dem er sich, ausweislich seines Bestsellers "Niederland", für den O'Neill 2009 den PEN/Faulkner-Award erhielt, bestens auskennt.

Dieser Held ist wahrlich kein aufgehender Stern am Briefkastenfirmament

Die Ausgangskonstellation seines neuen Romans "Der Hund" ist ähnlich wie schon in "Niederland". Wieder wird das Ende einer Beziehung zu einer Lebenswende. Damals ging es um einen Banker, der von Frau und Kind verlassen wird und über seine Cricket-Leidenschaft das ihm fremde, multiethnische New York jenseits der Wall Street kennenlernt. Diesmal siedelt O'Neill die Handlung an einem Schauplatz an, der geradezu ikonisch ist für die Ortlosigkeit der Gegenwart und zugleich ein Spiegelbild der eigenen inneren Leere des Ich-Erzählers.

Das internationale Drehkreuz Dubai oder "Abrakadabrapolis", wie er die aus dem Wüstenstand gestampfte Geldoase nennt, soll für den nicht zufällig namenlosen Helden der Umsteigebahnhof in ein neues Leben werden. Eddie, ein Kumpel aus der Studienzeit, hat ihn als Treuhänder des Privatvermögens seines arabischen Clans angeheuert, geschätzte 500 Millionen Dollar. Also findet er sich kurz vor Ausbruch der Bankenkrise 2008 als Family Officer und Vermögensverwalter in einem absolut keimfreien Büro wieder, in dem er nichts anderes zu tun hat, als auf das Outlook-Programm zu starren, eingehende E-Mails weiterzuleiten und im Kopf Anschreiben an seinen Boss zu formulieren, die er nie abschickt, weil er sowieso keine Antwort bekommt.

Neue Weltliteratur: Polyglotter Romancier mit multikulturellem Hintergrund: Joseph O'Neill.

Polyglotter Romancier mit multikulturellem Hintergrund: Joseph O'Neill.

(Foto: Beowulf Sheehan)

Als personifizierter toter Briefkasten hat er viel Zeit, darüber nachzudenken, ob er sich angesichts der finanziellen Transaktionen, die über seinen Schreibtisch gehen, gerade der Geldwäsche schuldig macht oder nur Steuerbetrug begünstigt. Er setzt hanebüchen verklausulierte Erklärungen auf, um jede persönliche Haftung auszuschließen, und lässt sich einen Satz Stempel anfertigen, die seine Dokumente offizieller machen sollen. Dass das nicht ewig gutgehen kann, ahnt der Leser - "Der Hund" hätte ebenso gut "Das Kamel" heißen können. Und ja, auch Donald Trump geistert durch diesen Roman, allerdings nur als Chiffre für alles Wendige und Windige dieser Welt, "Mr. Trompe" wird er passender Weise einmal genannt (von französisch "tromper" - täuschen).

Die Nemesis naht in Gestalt des pummeligen Neffen seines Arbeitgebers, der ein Praktikum absolviert, aber mangels anderer Aufgaben mit anspruchsvollen Martial-Arts-Sudoku-Rätseln beschäftigt wird. Als der Praktikant sich etwas zuschulden kommen lässt, bezichtigt er den Assistenten des Anwalts, sich ihm unsittlich genähert zu haben, und zwar auf der Herrentoilette, wo der junge Mann täglich gewogen wird, denn er soll abnehmen. Polizei und Steuerfahndung lassen den Anwalt nicht lange im Ungewissen, dass er seine Karriere buchstäblich in den Sand gesetzt hat. Angriffsfläche bietet er genug. Das illegale Netzwerk, das er sich hat installieren lassen, um Zugang zu in Dubai verbotenen Porno-Portalen zu erhalten, sowie sein guter Kundenkontakt zu einem weißrussischen Escortservice liefern willkommene Vorwände, ihn den Ermittlungsbehörden zum Fraß vorzuwerfen.

Vor drei Jahren erzählte Dave Eggers eine ganz ähnliche Jedermann-Geschichte

Ausgiebig beschreibt O'Neill das zombiehafte Leben der Expats und Arbeitsnomaden in Dubai: die Fußpflegetermine und Tauchexkursionen, die Unbehaustheit in den Full-Service-Apartments der luxuriösen Clusterbauten, die "Situation" heißen, "Statement" oder "Aspiration". ",Service' hieß, dass ich jeden Abend aus dem Büro zurückkam und alle Spuren von Bewohnung beseitigt fand, als beginge ich täglich ein Verbrechen, das täglich vertuscht werden musste. (. . .) Es war befremdlich, diese Nichtansammlung von Spuren meiner Existenz." Abends geht der Blick hinüber zu den "Tampax-Towers", die so genannt werden, weil dort überwiegend Flugbegleiterinnen in Wohngemeinschaften leben. Gerne beobachtet der Anwalt sie beim Work-out, um sich dann wieder den mechanischen Tröstungen seines Massagesessels namens Pasha Royale X400TM zu überlassen, dem Ennui und einer weiteren manuellen Selbstfindung vor dem Computerbildschirm. Als Anwalt mag er eine Niete sein, als Treuhänder seines Testosterons ist er eine Spitzenkraft.

Neue Weltliteratur: Joseph O'Neill: Der Hund. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 320 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.

Joseph O'Neill: Der Hund. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 320 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.

(Foto: Rowohlt)

"Der Hund" ist ein moderner Jedermann-Roman, der das diffuse Lebensgefühl unserer Zeit in einer prototypischen Figur der Gegenwart zu fassen versucht, einem Getriebenen, vorwärts gezwungen "von der Peristaltik der Umstände". Privat scheitert er, weil er seiner Freundin rät, sich statt eines Kindes einen Hund anzuschaffen (daher der Titel), beruflich, weil er wie so viele erkennen muss, "in einer Position zu sein, in der das Ausführen von Aktionen nicht mehr den Effekt hat, einen zum Akteur zu machen."

Die narzisstische Verfasstheit der Gegenwart bildet O'Neill formal dadurch ab, dass er seinem Roman die Form nicht abgeschickter E-Mails gibt. Als zeitgemäße Entsprechung zur Technik des inneren Monologs ist diese Idee durchaus triftig, in der Ausführung geht sie jedoch nicht ganz auf. Nicht nur dem Erzähler, der so merkwürdig unirritierbar, fast somnambul durch ein Leben gleitet, das wie eine einzige Luftspiegelung anmutet, fehlt ein Echoraum, sondern auch dem Buch. Wie eine Wanderdüne begräbt ein Übermaß an Selbstreflexion alles Widerständige, Gegenläufige, an dem sich die Figurenperspektive brechen könnte. Es gibt hier keine entwickelten Nebenfiguren, die sich dem Rasterblick widersetzen; jeder wird wie ein Statist durch die Kulisse geschoben, ist immer nur narrativer Flugbegleiter beim Sturz in den Abgrund. Stattdessen ergeht sich O'Neills redseliger Bewusstseinsstromer in einem traktathaften Kommentar von Zeiterscheinungen wie Internet-Trollen oder E-Mobbing, das Nikolaus Stingl in einem zum Teil ungeschmeidigen Nominalstil ("bizarre Beherrschtheit von falschen Vorstellungen") übersetzt hat.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman Der Hund stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Vor drei Jahren hatte schon einmal ein Autor einen amerikanischen Jedermann in die Wüste geschickt. Dave Eggers ließ in seinem Roman "Ein Hologramm für den König" einen Vertreter der Old Economy in einer futuristischen Boomtown Saudi-Arabiens emotional verdursten. Doch während einem Eggers' Protagonist beim Lesen zunehmend sympathischer wurde in seinem Scheitern, gleitet man an O'Neills Rollenprosa ab wie an einer verspiegelten Glasfassade. Joseph O'Neill, der ähnlich wie Eggers die Potemkinschen Dörfer des Postkapitalismus an ihrem eigenen Ort aufsucht, ist ein ebenso eloquenter wie intelligenter Autor mit wachem Bewusstsein und brillanter Rhetorik. Allerdings überzeugt sein Roman eher als Zeitdiagnose denn als Psychogramm. Dazu mangelt es seinem Protagonisten an Fallhöhe. Sie hat nicht das Format eines Wolkenkratzers, allenfalls das eines Tampax-Towers.

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