Neue Studie:Was ist Pornographie?

Und was ist der Unterschied zum Sex? Eine Journalistin schreibt in ihrer Dissertation über den "Willen zur Lust".

Britta Voss

In den Verdacht angestaubter Prüderie gerät, wer sich immer noch an nackten Busen als dem einzigen Verkaufsargument für ein Lottolos oder an Nahezu-Nackt-Clips auf MTV stört. Zu schweigen von der Bilderschwemme pornografischen Inhalts im Netz sowie dem immer noch wachsenden Milliardengeschäft der Porno-Industrie.

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(Foto: Foto: Reuters)

Porno allerorten und dennoch: Von einer "vollständig pornographischen Gesellschaft" mag Svenja Flaßpöhler in ihrer Dissertation "Der Wille zur Lust" auch deswegen nicht reden, weil Kunst, Kino, Werbung "mehr sagen als nur das Eine".

Offenherzig

Für Flaßpöhler ergibt sich aus der offenherzigen Ausbreitung sexueller (Ein-)Stellungen in der Alltagskultur vor allem die Frage nach "einer existenziellen Verbindung" von Subjekt und Pornographie in der Moderne. Wie konstruktiv und konstitutiv ist Porno tatsächlich für unser Frauen- und Männerbild? Svenja Flaßpöhler, promovierte Philosophin und Journalistin, wählt für ihre Antwort den Weg durch 200 Jahre Geistesgeschichte.

Sie geht von der Aufklärung aus, die nicht Gott, sondern dem Menschen die Möglichkeit der (Selbst) Vollendung zuschrieb, und schreitet über die dauergeile Pornosophie des Marquis de Sade fort bis hin zu Michel Foucaults Betrachtungen des "Zeitalters der Sexualität", in dem der Sex zur diskursiven Schlüsselfigur avanciert. "Der Sex: Grund für alles", postulierte Foucault - doch ist Sex gleich Porno?

Svenja Flaßpöhler wiederholt, wenngleich einen mitunter etwas strapaziösen Weg über Hegel, Freud und Nietzsche nehmend, was sich vielleicht wirklich nicht oft genug sagen lässt: dass der Unterschied zwischen Sex und Pornographie weit größer ist, als Pornogegner und -befürworter oft behaupten. Denn während die Sprache des Sexualdiskurses ihr Objekt nur scheinbar entblößt, um es in nüchternen Vokabeln umso wirkungsvoller zu verhüllen, ist das alleinige Ziel der Pornografie die Stimulanz.

Alles zeigen

Die Sprache, wie sie etwa der Marquis de Sade führt, ist roh, kein Euphemismus, der über das derbe "Ficken" ein Feigenblatt hielte. Und darin liegt für Flaßpöhler das Utopische der Pornographie:

Sie zeige alles, zeige zuviel. Innerhalb der dauerkopulierenden Körperutopie, die gerade im Film durch Schnitt und Montage begünstigt wird, bleibt dem Zuschauer keine Leerstelle, keine Vagheit, die er ausfüllen oder ergänzen müsste. Er bleibt auf passive Rezeption beschränkt, auf die masturbierende Selbstvollendung gewissermaßen.

Für den Pornogucker gibt es nichts Vorzustellendes, alles ist bereits dargestellt. Die Wirklichkeit, in der das "Reale" auch nur annähernd erfasst werden könnte, muss der Pornofilm verfehlen, in seiner eindimensionalen Bildersprache, mit seinen strotzend überpotenten "Schauspielern" und mit seinem Mangel an erzählerischer Phantasie. Da ist kein Platz für irgendeinen "Willen zur Wahrheit", wie ihn Foucault innerhalb des Sexualitätsdiskurses entdecken wollte, sondern einzig für den Willen zur Lust.

"Ja, aber!" möchte man rufen und an die Gewalt verherrlichende Pornografie erinnern, an die Fetischisierung der stets willigen Frauenkörper, die den unsichtbaren weiblichen Orgasmus endlos herbeistöhnen. Findet derlei etwa keinen Eingang in das Miteinander, wie es im Alltag gesehen und gestaltet wird? Dem Aber hält Svenja Flaßpöhler entweder die per se disqualifizierende Illegalität der Gewaltfilme entgegen. Oder aber sie beharrt, an dieser Stelle nicht überzeugend, auf der augenscheinlichen Utopie des Gezeigten. Wenn das der Pornoseher nur auch wüsste!

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