Neue Musik der Woche:Welche Alben sich lohnen und welche nicht

Diese Woche: Eminem setzt Trump mit Hitler gleich, Pharrell Williams liefert mit N.E.R.D. das große Jahresrückblicksalbum. Und Charli XCXs Stimme hat etwas von Schrödingers Katze.

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Charli XCX - "Pop2" (Warner Music)

Charli XCX - Pop2

Quelle: Warner Music

Dann also die Stimme. Es bleibt einem ja sonst nichts, an dem man sich festhalten könnte in den turmhoch aufgestapelten und glatt gewienerten Produktionen von "Pop2" (Warner Music). Kein Haarriss, nirgends. Keine Chance, irgendwie vorbeizukommen an dem ganzen zeitgenössischen Synthie-Düdüdü und Beat-Ratatat. Die Stimme von Charli XCX also. Diese Stimme, die elektronisch verzerrt durch die Songkurven schlingert, und die dann am Schluss doch aus der Spur schmiert. Das ist einerseits natürlich die immer dröger werdende Auto-Tune-Muskelshow. Maschinengeheul. Andererseits steckt in dieser Stimme aber auch eine sehr körperliche Anstrengung, wie sie sich um die unwirtliche Architektur ihrer Songwelten herumwindet und biegt. Charli XCX' Stimme ist also so etwas wie Schrödingers Katze im Pop. Zwei gegensätzliche Zustände, die sich überlagern. Gleichzeitig präsent und entrückt. Menschlich-verschwitzt und artifiziell-clean. Um herauszufinden, wie sie wirklich ist, müsste man die Songs aufbrechen. Aber wo das Eisen ansetzen?

Julian Dörr

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Eminem - "Revival" (Universal Music)

Eminem - Revival

Quelle: Universal Music

Gott, diese Gedankenschwere. Natürlich auf diese emotionsschmierige Art, die sonst schlechte Balladen oder, schlimmer noch, Filmmusik so unerträglich macht: klaviergetragen, zweifelgetränkt, schlachttrommelgroß, überall Geigen. Vor allem Geigen. Geigen sind ja die Dekonstruktionswaffe der Wahl im Hip-Hop. Wenn Rapper sich und die Welt zerdenken und neu zusammensetzen, hängen sie überall Streicher und Pianogetupfe in die Schaufenster. Und benutzen Jesusmetaphern. "Revival" hat also unbedingt das, was man ein Coolness-Problem nennen würde. Vordergründig. Hinter dem Schmalz ist die Wut noch wunderschön - und hypereloquent. Hinter dem Schmalz setzt Eminem Trump mit Hitler gleich - was nicht sonderlich schlau, aber doch mutig ist. Schließlich dürfte die Schnittmenge zwischen seinen und Trumps Fans gewaltig sein. Hinter dem Schmalz denkt er weniger blöd über den Begriff Heimat nach, als man das erwarten würde. Hinter dem Schmalz ist - Achtung: politische Relevanz. Noch so ein Todesurteil im Rap eigentlich. Aber vielleicht leben wir gerade in Zeiten, in denen der Popkultur Relevanz besser steht als Coolness?

Jakob Biazza

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N.E.R.D. - "No_One Ever Really Dies" (Sony Music)

N.E.R.D. - No_One Ever Really Dies

Quelle: Sony Music

Gerade erklären einem die Jahresrückblicke und Bestenlisten ja wieder, was 2017 so los war im Pop und der Welt. Dabei muss, wer wirklich wissen will, wie das Jahr klang, nur ein einziges Album hören: "No_One Ever Really Dies" (Sony Music) von N.E.R.D. - das Album des Jahres. Nein, nicht das Beste. Aber eben das Album. Pharrell Williams und seine alte Crew haben mit vielen Gästen elf Songs aufgenommen. Und dann an jeden Song nochmal drei neue gezimmert. Bis auch wirklich alles und jeder, der in diesem Jahr wichtig war, in dieser Platte steckte. Freak-Rock und Federleicht-R'n'B. Synthie-Soul mit Ed Sheeran, ein Trap-Wetthecheln mit Future. "Don't Don't Do It!" fliegt vom Funk zum Ska und wieder zurück, dazu gibt es eine Ortsliste, wo überall Polizeigewalt gegen Schwarze stattfand, bevor Kendrick Lamar noch einmal durchs weite Themenfeld rassistischer Diskriminierung flitzen darf. "Happy" mit Haltung. Und blanker, großartiger Irrsinn. Pop in seiner totalen, hirnschmelzenden, alles überfordernden Gleichzeitigkeit. Niemand stirbt jemals wirklich. Und nichts ist jemals vorbei.

Julian Dörr

© SZ.de/doer
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