Neue Feinde der Musikindustrie:Hey Alte, hastema ein Mixtape?

Die Musikindustrie hat schon wieder einen neuen Feind: Seit Neuestem bekämpft sie den ebenso kreativen wie illegalen Markt für privat zusammengestellte CDs und DVDs, ehedem genannt: Mixtapes. Aus New York von unserem Korrespondenten Andrian Kreye.

ANDRIAN KREYE

Im Vorwort zu seiner Anthologie "Mix Tape - The Art of Cassette Culture" beschreibt der Sonic-Youth-Gitarrist Thurston Moore, wie sich die Plattenfirmen schon vor Jahrzehnten gegen die Kreativität ihrer Kundschaft zu wehren versuchten. So war einer der Hauptgründe, Ende der siebziger Jahre den ersten Walkman auf den Markt zu bringen, der Gedanke, man könne den Fans dann für ihr neues Spielzeug Alben in Form bereits bespielter Kassetten verkaufen. Stattdessen war die Einführung des Walkman der Schlüsselmoment für den Aufstieg der selbst gemischten Kassette zum ultimativen Jugendmedium der achtziger Jahre. Damals druckten die Firmen kleine Logos mit dem Slogan "Home Taping Is Killing Music" auf ihre Plattencover: Die Hand voll Dollar Verlust, um die sich Plattenfirmen einst sorgten, wirken im Zeitalter der Datentauschprogramme geradezu rührend.

Neue Feinde der Musikindustrie: Die Hand voll Dollar Verlust, um die sich Plattenfirmen einst sorgten, wirken im Zeitalter der Datentauschprogramme geradezu rührend.

Die Hand voll Dollar Verlust, um die sich Plattenfirmen einst sorgten, wirken im Zeitalter der Datentauschprogramme geradezu rührend.

Die Kultur der Mixtapes ist spätestens seit Auftauchen der Musiktauschbörsen ausgestorben. Und mit ihnen auch die endlosen, leidenschaftlichen Nachmittage vor dem Kassettenrekorder, die in Nick Hornbys "High Fidelity" sogar in die Literatur Einzug hielten: Sie lassen sich jedenfalls nicht mit den wenigen Mausklicks vergleichen, mit denen man in iTunes seine Playlist zusammenstellen, auf CD brennen und auch noch im Onlineshop von Apple veröffentlichen kann. Kein Wunder also, dass die Mixtapes in den Debatten um Urheberrecht und neue Medien aus der Diskussion weitgehend verschwunden sind. Bis die Plattenindustrie vor wenigen Monaten eine letzte Nische, in denen die Mixtapes weiterexistieren, entdeckte und aufs Korn nahm. Einzig im Hip-Hop und seiner lateinamerikanischen Unterform Reggaeton haben die "Mixtapes" als Subkulturform überlebt, auch wenn sie dort heute ebenfalls auf CD oder Audio-DVD gebrannt werden. Es reicht aber nicht mehr, ein paar Stücke stimmig aneinander reihen: Mixtapestars wie Rob E Rob, DJ Famous oder DJ Willie komponieren aus aktuellen Hits kleine Gesamtkunstwerke. Tantiemen führt keiner der DJs ab, deswegen gibt es die begehrten Mixtapes nur bei spezialisierten Straßenhändlern. In New York stehen die in Harlem, Downtown Brooklyn oder Bedford Stuyvesant an bestimmten Straßenecken oder U-Bahneingängen. Wer sich da nicht auskennt, findet sie auf der Schwarzhandelsmeile Canal Street in Chinatown, wo die Mixtapehändler ihr Angebot zwischen den Regalen voll gefälschter Rolexuhren, Pradataschen und Van-Dutch-Mützen ausgebreitet haben.

Fünf Dollar kostet so eine CD mit einem farbkopierten Cover, auf dem der jeweilige DJ entweder in Actionfilmpose oder mit halbnackten Mädchen zu sehen ist. Für jedes Genre, jede Lust und Laune gibt es das passende Mixtape. Der Radioveteran Funkmaster Flex hat eines konzipiert, das die Subwoofer im Auto zum Pumpen bringt. DJ Famous hat sein Mixtape unter dem Motto "Dear Summer" zusammengestellt, DJ Suss One für den Nationalfeiertag am 4. Juli. Es reicht auch nicht, einfach nur gut abzumischen. So zeichnet DJ Kayslay, basierend auf dem Song "New York Drama" von Pat Papoose, ein episches Stimmungsbild aus zwanzig Songs, zu denen seine eigenen Einwürfe genauso gehören wie Soundeffekte, Freestyle Raps, die befreundete Rapper eigens für sein Mixtape eingespielt haben.

Je bekannter der DJ, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er von einem tatsächlichen Star eine eigens für ihn kreierte Version eines Songs oder einen Freestyle Rap mit persönlicher Note bekommt. Die Tradition stammt, wie so viele Elemente des Hip-Hop, aus Jamaika, wo Musiker den wichtigsten DJs eigens für sie eingespielte Versionen auf Azetat-Unikaten anfertigten, die Dub-Plates hießen. Ganz so viel Aufwand betreiben die Musiker heute nicht mehr, schließlich lässt sich so eine eigene Version viel schneller und einfacher auf eine DVD ziehen. Der Nutzen jedoch ist gegenseitig. DJ Whoo Kid war beispielsweise am Aufstieg von Rap-Star 50 Cent beteiligt und gehört inzwischen zu den einflussreichsten Figuren der Szene. Auf einem seiner letzten Mixtapes "Swat: Global Mixtape Strike Team " fanden sich außerdem ein unveröffentlichtes Stück von Eminem, in dem dieser seinen Konkurrenten Ja Rule und die Redaktion der Hip-Hop-Zeitschrift The Source verhöhnt, eine noch nicht veröffentlichte Version eines Songs von Eminems Schützling Obie Trice, sowie Freestyle Raps von Snoop Dogg und Jay Z. Nicht schlecht, oder?

Die Stars stehen Schlange

Für Hip-Hop-Fans sind Mixtapes wichtiger als jede Fernsehsendung, Zeitung oder Plattenkritik. Stars und Produzenten wie Jay Z., P. "Puff Daddy" Diddy und Russell Simmons wissen das : So forderte Jay Z. seine Fans vor zwei Jahren dezidiert dazu auf, sein "Black Album" neu abzumischen, was zu so legendären Untergrundversionen wie Danger Mouses "Grey Album" führte, der Jay Z.'s Raps mit Samples aus dem "Weißen Album" der Beatles zusammengemischt und sich damit einen saftigen Prozess eingehandelt hat. Auch Hip-Hop-Labels wie Tommy Boy, Interscope und TVT wissen den Einfluss der Mixtapes zu schätzen und liefern exklusive Ware. In New York gibt es sogar eine eigene Preisverleihung für Mixtapes, bei denen Mixtape-DJs wie Big Mike & DJ Green Lantern oder die Streetsweepers wie reguläre Popstars gefeiert werden. Allerdings sind Mixtapes nach wie vor in erster Linie ein New Yorker Phänomen. Außerhalb des Großraumes New York müssen sich Fans die CDs meist über Onlinehändler wie www.allmixtapes.com bestellen. Trotzdem hat die Plattenindustrie der Szene nun den Krieg erklärt.

Mitte Mai kündigte die RIAA (Recording Industry Association of America) eine verstärkte Verfolgung von Plattenläden an, die illegale CDs verkaufen, egal ob es sich dabei um reine Raubkopien, DJ-Mixtapes oder Livemitschnitte handelt. Eines der ersten Geschäfte war der auf abseitige Musik und Filme spezialisierte Laden "Kim's Video" auf der legendären Punkmeile St. Mark's Place im East Village. Fünf Verkäufer wurden verhaftet und wegen Urheberrechtsverletzungen angezeigt. Nach der Razzia verkündete Brad Buckles, der RIAA-Sonderbeauftragte für Raubkopiebekämpfung, stolz, dass es dank des beherzten Engagements der New Yorker Polizei gelungen sei, einem "bedeutenden illegalen Unternehmen" das Handwerk zu legen. Egal ob in Brooklyn, Harlem oder auf der Canal Street: Die Mixtapehändler sind seit Mai ständig davon bedroht, nach einer Razzia ins Gefängnis zu wandern.

Wie schon bei den heimischen Mischkassetten reagiert die Plattenindustrie auf ein Straßenphänomen vollkommen fern der Realität. Denn es gibt sehr wohl einen Unterschied, ob eine Firma durch eine Tauschsoftware das millionenfache Herunterladen illegaler Kopien ermöglicht oder ob es eine Subkultur mit voller Unterstützung der Musiker bei der Bearbeitung von Musik mit den Urheberrechten nicht ganz so genau nimmt. Im Unterschied zu den weinerlichen Beschwerden über die heimischen Kassettentüftler von einst trifft die Mixtape-DJs der Zorn der Plattenfirmen allerdings gerade mit der vollen Wucht der einschlägigen Gesetze.

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