"Neue deutsche Mädchen":Mein Freund ist immer so gefasst

Jana Hensel und Elisabeth Raether attackieren mit ihrem Buch "Neue deutsche Mädchen" Alice Schwarzer. Ist das nun der neue Feminismus?

Jutta Person

Dieses Buch beginnt mit einer vielversprechenden Attacke. Jana Hensel und Elisabeth Raether, beide um die dreißig, ärgern sich über Alice Schwarzer und stellen fest, dass die angestaubte Frauenbewegung nicht mehr viel vom Leben jüngerer weiblicher Erwerbstätiger wisse. Warum aber "Neue deutsche Mädchen" und nicht "Frauen"? Warum sollte man sich mit gestandenen dreißig Jahren noch derart verniedlichen?

Na gut, denkt man, diesen Titel hat die Marketingabteilung durchgedrückt, schließlich steht derzeit alles hoch im Kurs, was im Gefolge des neuen Feminismus den Mädchen- und Bekenntnisboom bedient. Authentizität und Intimität sind die Knaller der Saison:

Da sind "Wir Alphamädchen" von Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl, da ist Charlotte Roches Roman "Feuchtgebiete". Die "Alphamädchen" versprechen einen authentischen, lässigen Feminismus, der sich ohne großen theoretischen Ballast gegen Ungleichheit wehrt. Und Charlotte Roches Intimbekenntnisbuch legt alles offen, was zuvor als unweiblich galt.

"Neue deutsche Mädchen" nimmt sich ein bisschen was von beidem: das Mädchen-Wort ohne das aggressive "Alpha", das Bekenntnishafte ohne allzu krasse Details. Auch geht es hier eher um das vermeintlich Weibliche als um das vermeintlich Unweibliche - mit ihren eigenen Geschichten wollen die Autorinnen zwei Lebensläufe präsentieren, die der Schwarzer-Feminismus mit seinem Kampf gegen Islamismus, Prostitution und Pornographie aus den Augen verloren hat.

Ein Praktikum

Die Journalistin Jana Hensel, geboren 1976 in Leipzig, wurde vor sechs Jahren mit ihrem DDR-Erinnerungsbuch "Zonenkinder" bekannt, Elisabeth Raether, geboren 1979 in Heidelberg, lebt als Lektorin in Berlin. "Wir haben gemerkt, dass wir andere Themen viel interessanter finden. Wie es sich anfühlt, wenn man eine Affäre beginnt oder beendet. Oder warum Frauen häufig so unsicher sind und sich gern bescheiden geben", schreiben sie und untersuchen in zehn Kapiteln ihre ost- und westdeutsche Herkunft, die Scheidungen ihrer Eltern, ihre Beziehungen und das Arbeitsleben in Männerdomänen.

Bis auf das Praktikum, das Jana Hensel bei einer überregionalen Tageszeitung absolviert hat, kommt das Thema Arbeit allerdings nicht besonders häufig vor. "Neue deutsche Mädchen" dreht sich vor allem um die Liebe und darum, dass Frauen zu sehr und Männer zu wenig lieben. Oder dass Frauen zu wenig lieben, vor lauter Angst, sich zu sehr hinzugeben. Oder dass Männer die Gewinner sein wollen und Wichtigeres im Kopf haben als Beziehungskram.

Mein Freund ist immer so gefasst

Das Schlüsselwort dabei heißt "anfühlen", und bevor man mit den Einwänden gegen diese Art der Gefühlskultur loslegt, muss man zumindest der Ehrlichkeit Respekt zollen, die es für solche Bekenntnisse braucht. Davon abgesehen bleibt dieses Buch aber merkwürdig standpunktlos und geschichtsvergessen - und es hat mit neuem Feminismus nicht viel zu tun.

Kein Mann

"Ich möchte keine Frau sein, die wie ein Mann sein möchte. Ich möchte nicht so sein wie Christian. Christian wollte jederzeit Herr der Lage sein, er gab sich immer gefasst und schien ungerührt von den Dingen, die sich in seinem Leben ereigneten." Mit Christian, einem selbstgefälligen Unsympathen, der die Welt in Gewinner und Verlierer einteilt, hatte Elisabeth Raether eine missglückte Affäre: In vorauseilendem Gehorsam hat sie ihre Gefühle unterdrückt, um möglichst abgebrüht und Christian-kompatibel zu erscheinen.

Schlimmer ist aber, dass Raether in einer Art psychologischem Harakiri allgemeine Erkenntnisse aus dieser Affäre ableitet: Erfolgreiche Frauen haben sich schlicht an die gefühlskalte Männerwelt angepasst und sich mit eiserner Disziplin alles abtrainiert, was "als weiblich galt: Nachsichtigkeit, Verletzlichkeit, Sensibilität."

Dabei ist ihr durchaus klar, dass die "weichen" weiblichen Eigenschaften keiner natürlichen Veranlagung entspringen. Dieses Buch geht nicht in die biologische Bestimmungsfalle; und trotzdem gelingt es den Autorinnen nicht, ganz simple Gefühlsstrickmuster abzuschütteln: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus.

Die Idee, dass Frauen nun mal feinfühliger und weicher sind und möglichst auch so bleiben sollten, stammt nicht nur von Männern, die den rationalen Sektor lieber für sich behalten. Sie kursierte vor über dreißig Jahren auch in einer weiblichen Variante: Der Differenzfeminismus von Luce Irigarays "Das Geschlecht, das nicht eins ist" bis zu Verena Stefans "Häutungen" wollte ein anderes, genuin weibliches Denken, Sprechen und Fühlen erfinden, einen radikalen Gegenpol zur männlichen Welt. Es ist schade, dass Hensels und Raethers Buch so wenig von feministischer Geschichte weiß, ganz einfach, weil man aus den Fehlern der Vergangenheit wunderbar lernen könnte.

Feminismus klingt nach Besserwisserei

Ob sich die "Neuen deutschen Mädchen" allerdings als Feministinnen verstehen, bleibt auch nach über zweihundert Seiten unklar. Nach der schwungvollen Kritik am Emma-Feminismus wartet man vergeblich auf ein paar Hinweise, wie denn ein neuer, anderer, zeitgemäßerer, jüngerer aussehen könnte.

Dass niemand einen Masterplan aus der Tasche ziehen kann - geschenkt. In einem Interview auf satt.org kann man nachlesen, dass Jana Hensel das Wort Feminismus nicht besonders mag: "Es klingt nach Bewegung, Kampf, schlechtem Gewissen und Besserwisserei. Ich vermeide es, so oft es geht."

Aber worauf zielen dann all diese Bekenntnisse und Selbsterforschungen? Was wollen die "neuen deutschen Mädchen" eigentlich? Vermutlich einen gefühlvolleren und friedlicheren Planeten, auf dem der Feminismus gar nicht mehr nötig wäre. Ein schöner Traum. In so einer Welt jedenfalls müssten sich dreißigjährige Frauen nicht mehr Mädchen nennen, und alle Christians und Marketing-Chefs wären ins ewige Eis der Polkappen verbannt.

JANA HENSEL, ELISABETH RAETHER: Neue deutsche Mädchen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 206 Seiten, 16,90 Euro.

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