Neue Comics:Da hilft auch kein Wischmopp

Neue Comics: Miguel ist neu als Personenschützer, seine Kollegin ist schon sehr viel abgebrühter: Ausschnitt aus Mark Bellidos "Mikel", dessen düster verregnete Panels nicht zufällig an den Film noir erinnern.

Miguel ist neu als Personenschützer, seine Kollegin ist schon sehr viel abgebrühter: Ausschnitt aus Mark Bellidos "Mikel", dessen düster verregnete Panels nicht zufällig an den Film noir erinnern.

(Foto: Reprodukt)

Die Welt in Blutrot: Eine attraktive Mommy agiert als "Lady Killer", Frank Miller führt seine "Dark Knight"-Reihe fort. Und Mark Bellido erzählt von einem jungen Naiven, den das Verbrechen zerstört.

Von Christoph Haas

Miguel wäre gerne Schriftsteller. Aber muss man dafür nicht etwas erlebt haben? Außerdem ist der junge Familienvater permanent pleite. Also beschließt er, vom sonnigen Valencia ins regnerische Baskenland zu ziehen. Als Leibwächter soll er dort, unterstützt von einer abgebrühten Kollegin, einen Politiker vor den mörderischen Anschlägen der Eta schützen - eine Aufgabe, die monotoner und gefährlicher ist, als Miguel in seiner Naivität geglaubt hat.

Mark Bellido, der Autor von "Mikel - Die Geschichte eines Bonbonverkäufers, der sich im Regen auflöste", weiß, wovon er erzählt: Er war selbst vier Jahre lang Personenschützer. Entsprechend eindringlich schildert er, wie erst Miguels bürgerliche Existenz, dann dessen gesamte Identität immer brüchiger wird; ein Prozess, der sich in den von abrupten Kontrasten und Stilwechseln geprägten Bildern der belgischen Zeichnerin Judith Vanistendael widerspiegelt. Für Sex- und Gewaltfantasien ist in "Mikel" kein Platz. Deutlich wird vielmehr, wie zerstörerisch kriminelle Umtriebe auf Menschen wirken, die ihnen ausgesetzt sind.

"Mikel" ist bei Reprodukt erschienen, dem, zusammen mit Avant, führenden deutschen Graphic-Novel-Anbieter. Studiert man die Programme beider Verlage, findet man darüberhinaus kaum weitere Crime-Titel. Und auch die übrigen Comic-Verlage sind in diesem Bereich recht zurückhaltend. Anders als bei der Belletristik stehen Krimis in der Gunst der Comic-Leser nicht sehr weit oben. Mangas und Fantasy, Superhelden und Klassiker wie "Asterix" oder "Lucky Luke" sind beliebter.

Dass ein Crime-Comic in ein Verlagsprogramm gerät, kann manchmal schlicht auf Zufall beruhen. So erging es der von dem "Valerian"-Erfinder Pierre Christin geschriebenen und von Annie Goetzinger gezeichneten "Detektei Hardy". Sebastian Röpke, der Leiter des im vergangenen Jahr gegründeten Kult Comics Verlags, jagte auf der Frankfurter Buchmesse vergeblich Lizenzen hinterher, als ihm diese Serie in die Hände fiel. Zum Glück, darf man sagen: Goetzinger, eine Pionierin unter den französischen Zeichnerinnen, war vom deutschen Markt lange verschwunden. Ihre "Detektei Hardy" schildert die Abenteuer einer jungen Witwe, die im Paris der Fünfziger ein Detektivbüro leitet. Sowohl die Transposition der Film-noir-Muster als auch die Schilderung einer Metropole im Umbruch und des intellektuellen Klimas der damaligen Zeit sind sehr gelungen.

Zu den wenigen großen Playern im Comic-Bereich gehört der Panini Verlag, der die Titel der großen amerikanischen Superhelden-Verlage herausbringt, allen voran DC und Marvel. Reine Crime-Titel wie "Lady Killer" sind eher selten. Diese Serie über eine attraktive Mommy, die nebenher und mit eiskalter Präzision im Auftrag einer mysteriösen Agentur Leute um die Ecke bringt, spielt im Seattle der frühen Sechziger. Jamie S. Rich, der Autor, badet die schicke Welt von "Mad Men" und "Desperate Housewives" in ein Blutrot, das sich mit keinem Wischmopp entfernen lässt, nutzt die Möglichkeiten zur Satire, die sich ihm böten, aber leider nur sehr bedingt - da war John Waters mit seinem bösen Film "Serial Mom" vor Jahren schon weiter.

Auf vertrautem Terrain bewegt Panini sich mit Frank Miller. In den Achtzigern hat dieser Autor und Zeichner das abgehalfterte Superhelden-Genre auch dadurch revitalisiert, dass er ihm eine kräftige Noir-Injektion verpasste. Der Geniestreich "The Dark Knight Returns" findet in "Batman Dark Knight III" nun schon die zweite Fortsetzung: Ein alter, grauhaariger Bruce Wayne am Stock muss einen wahnsinnigen, mit übermenschlichen Kräften versehenen Sektenführer aufhalten. Mehr als passables Lesefutter ist das nicht, interessant sind aber die Bezüge zur politischen und sozialen Aktualität der USA: Polizeigewalt gegen Afroamerikaner, TV- und Social-Media-Wahnsinn, 9/11-Reminiszenzen. Auch Donald Trump tritt auf; mehr als zwei Sätze braucht Miller nicht, um dessen Heuchelei und Narzissmus treffend zu karikieren.

Von den deutschen Comic-Verlagen verfügt nur Schreiber & Leser mit "s&l noir" seit 2010 über eine Reihe, in der ausschließlich Crime-Titel vertreten sind. Zu den Highlights zählen Adaptationen der Nestor Burma-Romane Léo Malets sowie Werke der französischen Starzeichner Loustal, Philippe Berthet und Max Cabanes. Mit ihrer einheitlichen Ausstattung zielt die Reihe auf eine für den Comic-Markt nach wie vor wichtige Klientel: die Sammler. Ihnen kommt es im Zweifelsfall weniger auf die Inhalte als auf lückenlosen Besitz an - da kann es, wie Verlagschefin Rossi Schreiber weiß, ein Drama sein, wenn die Druckerei aus Versehen einen Band ausliefert, der statt des reihenüblichen runden einen geraden Rücken besitzt.

Mit dem ersten Band der Tetralogie "Silver" hat Schreiber & Leser auch eine echte Pulp-Perle im Programm. Auf der Flucht vor der Polizei stößt der professionelle Dieb James Finnigan im New York des Jahres 1930 auf die Spur eines Silberschatzes, der in einer europäischen Burg von Vampiren bewacht wird. Beim flüchtigen Durchblättern mag "Silver" nicht so attraktiv erscheinen: Die Schwarz-Weiß-Bilder von Stephan Franck überschreiten qualitativ nicht gehobenes Fanzine-Niveau. Da Franck - seit Jahren in Hollywood tätig - sich als Szenarist aber perfekt auf Tempo und Timing versteht, hetzt man dennoch begeistert und atemlos durch dieses Mash-up von "Ocean's Eleven" und "Dracula". Kein Tiefgang, nirgends, dafür aber bestes Entertainment.

Mark Bellido (Text) / Judith Vanistendael (Zeichnungen): Mikel - Die Geschichte eines Bonbonverkäufers, der sich im Regen auflöste. Aus dem Niederländischen von Rut Notowicz. Reprodukt Verlag, Berlin 2016. 376 Seiten, 39 Euro.

Pierre Christin (Text) / Annie Goetzinger (Zeichnungen): Detektei Hardy, Integral 1. Aus dem Französischen von Saskia Funke. Kult Comics Verlag, Leipzig 2016. 158 Seiten, 29,95 Euro.

Jamie S. Rich (Text) / Joëlle Jones (Zeichnungen): Lady Killer, Band 1. Aus dem Amerikanischen von Marc-Oliver Frisch. Panini Comics, Stuttgart 2016. 124 Seiten, 16,90 Euro.

Frank Miller, Brian Azzarello (Text) / Andy Kubert, Frank Miller u.a. (Zeichnungen): Batman Dark Knight III. Aus dem Amerikanischen von Bernd Kronsbein. Panini Comics, Stuttgart 2016. Acht Hefte zu je 52 Seiten, je 4,99 Euro.

Stephan Franck (Text und Zeichnungen): Silver, Band 1: Der Fluch des Silberdrachen. Aus dem Amerikanischen von Resel Rebiersch. Schreiber & Leser Verlag, Hamburg 2016. 112 Seiten, 14,95 Euro.

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