Neue CD: "Spitting Off Tall Buildings":Wir schalten zurück in den Spucknapf, in dem wir alle sitzen

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"Spitting Off Tall Buildings" machen auf ihrem ungebügelten Debüt-Langspieler alles richtig. Denn stille wankend rockt das Haus.

Frederic Huwendiek

Jana Pallaske moderierte beim Musikfernsehen. Spielte auch schon in Kinofilmen große und kleine Rollen. Hat einen verdammt süßen Kurzhaarschnitt. Sowieso eine große Klappe. Und kommt aus Berlin.

Rotzen Blut, säuseln Seufzer: "Spitting Off Tall Buildings" aus Berlin (Foto: Foto: Erik Weiss)

Aber halt - es soll ja um Musik gehen. Und zwar um einen launigen, räudigen Straßenköter. Genauer: Um das Debüt-Album von "Spitting Off Tall Buildings" - "Spucken von hohen Dächern" also. Das ist die Band, in der Frau Pallaske singt, was sie zu singen hat, und manchmal schreit sie es auch heraus.

Seit einigen Jahren streunen Jana und die Spuckenden durch Deutschlands Indie-Szene, spielen auf den ganz kleinen und den etwas weniger kleinen Bühnen. Bringen erst ein Scheibchen in Eigenproduktion heraus. Und wollen's jetzt wirklich wissen.

"This is no revolution!"

Mit einem Deal bei Sanctuary Records, für die auch Billy Idol seine goldene Maxi-Zunge hinhält. Und einem Soundbastler-Duo hinter den Reglern, mit besten Referenzen: "Strokes"-Frickler Gordon Raphael ist zuständig für die Vocals. Und Moses Schneider, der aus den "Beatsteaks" ein richtig dick smashendes Ding gezaubert hat und den "Tocotronic" die Vernunft ausgetrieben, hat die aufstrebenden Neubauten um Frau Pallaske produziert.

"This is no TV show! This is no revolution! This is about me & you!", knallt uns das Programm der kommenden halben Stunde im ersten Track "Come On" entgegen. Ohne Frage, revolutionär ist das nicht, was da aus den Boxen scheppert. Aber mindestens genauso sicher auch kein glattpolierter Seichtsoft-Langspieler mit "Aus der TV-Werbung"-Sticker. Das hat kein Zeug zum Klingelton. Doch es ist verdammt nochmal unterhaltend.

Angesagt ungebügelt

Eingängig rockender Streetpunk in angesagt ungebügeltem Retro-Soundgewand. Mit der überaus sexy-sympathischen Stimme der Jana Pallaske. Mal säuselnd saccharin-haltig, mal Blut und Tränen rotzend. Pallaske - mal Ruhepol, mal RRRiotgirl.

Ein durchaus wertiger Soundtrack für die Teilzeit-Widerborstigen der Generation iPod. Zum beim Zähne-Schrubben über den Soziologie-Prof ärgern. Zum das süße Mädel mit den rosa Chucks antanzen. Zum beim Arschgeweih weglasern Nietzsche lesen. Und - hach! natürlich! - zum Skaten am Spree-Ufer.

Gerade die großartige erste Single "Gotta hey" gewinnt durch die oft, aber immer noch nicht oft genug gehörte boy/girl-Dynamik, wenn Pallaske ihrem Gegenpart Gitarrist Paule folgende Zeilen ins Ohr flötet: "You say we gotta talk, I got a feeling thats your favourite sport"- um dann gemeinsam dermaßen catchy den Chorus "We gotta gotta gotta gotta gotta gotta gotta have some fun!" gröhlenderweise anzustimmen.

Nicht unbedingt hohe Lyrik, das. Auch an anderen Stellen bleibt man flach und "fucked up". Aber Joey Ramone hätte wohl auch keiner eine Poetik-Professur an der University Of New York angeboten...

Nah am Pop gebaut

Ein Album, laut und roh und trotzdem nah am Pop gebaut. Mit vielen "Aaahs" und "Oooohs" im Background. Ein bisschen "Strokes". Ein bisschen "Hives". Eine guten Portion Rock, eine deftige Ladung Punk und ganz viel "The". Und alles immer schön zum Mitsingen. Auch nach acht Bier.

Eine Mischung, die sicher auch der vegane Szene-Polizist mit dem "Blood for Blood"-Tatoo auf dem Rücken mit seiner Freundin anhören würde. Und auch der zahnbespangte "Tokio Hotel"-Fan auf dem Handy haben will.

Sollte MTV dieser Band einen gewissen Raum neben "Cribs" und "Pimp my ride" einräumen, wird das was. Wenn nicht, wird eben weiterhin von den kleinen Bühnen Berlins gespuckt. Hauptsache - "we gotta have some fun".

"Spitting Off Tall Buildings" erscheint am 30.09.2005

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