Neue Bücher zum Nahostkonflikt:Kleines Land, große Schikanen

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Erschütternde Innenansichten: Gleich in zwei neuen Büchern dokumentieren die Palästinenser Sarree Makdisi und Abdallah Frangi, wie ihre Landsleute in Israel systematisch benachteiligt werden. Bürokratische und militärische Schikanen stehen dabei ebenso auf der Tagesordnung wie die stete Angst von Kindern vor israelischer Gewalt.

Heiko Flottau

Fast gleichzeitig sind in Deutschland zwei Bücher erschienen, deren Autoren Palästinenser sind. Vor ein paar Jahren hätte man deren Zeitzeugnisse vermutlich als einseitig und als ganz und gar antiisraelisch bezeichnet. Doch angesichts der fortdauernden Besatzungs- und Siedlungspolitik der Regierung in Jerusalem hat sich die Skepsis gegenüber Berichten von den Unterdrückten über das Land der Unterdrückten gelegt.

Israelische Soldaten verweigern palästinensischen Bauern oft den Zugang zu ihren Feldern durch das am nächsten liegende Mauertor, berichtet Autor Sarree Makdisi. (Foto: Oliver Weiken/dpa)

Das gilt für Saree Makdisis außerordentlich detaillierten und exzellent recherchierten Bericht über die bürokratischen und militärischen Schikanen, denen die Palästinenser täglich ausgesetzt sind. Das gilt ebenso für Abdallah Frangis Buch, in welchem er über seine langjährige Tätigkeit als Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und als Bevollmächtigter Jassir Arafats in Deutschland berichtet.

Makdisi, in den USA als Sohn eines libanesischen Professors und einer palästinensischen Wissenschaftlerin geboren, hat eine Dokumentation vorgelegt, die an Hand von Quellen belegt, wie die israelische Politik das tägliche Leben der Palästinenser abzuwürgen versucht. Makdisi, Professor für englische Literatur an der Universität von Kalifornien, schreibt über seine Quellen, sie seien eine Kombination persönlicher Erlebnisse, von Berichten internationaler Organisationen, Recherchen der Vereinten Nationen und Untersuchungen der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem.

Ausführlich berichtet der Autor etwa über den palästinensischen Bauern Mohammad Dschalud, der durch den Bau der Mauer von seinem Land getrennt und daher fast seiner Existenzgrundlage beraubt wurde, weil israelische Soldaten ihm oft den Zugang durch das am nächsten liegende Mauertor verweigern. Was dem Bauern da widerfuhr, ist nicht ungewöhnlich.

Künstlich geschaffene Schwierigkeiten

Anderen Schikanen unterliegen Palästinenser, so Makdisi, an den zahlreichen israelischen Straßensperren im Westjordanland: Oft würden Palästinenser dort stundenlang aufgehalten, häufig auch misshandelt. "Sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch die UNO", schreibt Makdisi, "haben umfassende Berichte über Misshandlungen an den Kontrollpunkten zusammengetragen: Menschen, die von israelischen Soldaten bedroht wurden, Menschen, die gezwungen wurden, sich nackt auszuziehen, Menschen, die eingeschüchtert, herumgestoßen und geschlagen wurden."

Anderen, künstlich geschaffenen Schwierigkeiten seien Palästinenser dann ausgesetzt, wenn sie in Jerusalem Bescheinigungen vom Innenministerium benötigen. Das Ost-Jerusalemer Büro, das die Anliegen von 250 000 Palästinensern der Stadt bearbeiten soll, "ist die überfüllteste und am schlechtesten mit Personal ausgestattete Abteilung des ganzen Ministeriums.

Es ist in einem heruntergekommenen Gebäude (...) untergebracht. (...) Die Warteschlange vor dem Ministerium bildet sich täglich zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang". Vor der für Westjerusalem, also für die jüdischen Bewohner zuständigen Abteilung bildeten sich, schreibt der Autor, dagegen keine Schlangen, jeder Antragsteller werde sofort eingelassen und könne sich in einer Cafeteria erfrischen.

Fast jedem seiner Kapitel lässt Saree Makdisi eine Statistik folgen. Es lohnt sich, aus diesen erschütternden Dokumenten, die ein Herzstück des Buches sind, ausführlicher zu zitieren. Für 2005 erfasst der Autor etwa 1878 israelische Razzien in den besetzten Gebieten, dabei seien 2293 Palästinenser verhaftet worden; für 2006 zählt der Autor 5666 Razzien mit 5244 Verhafteten. Mitte 2007 hätten sich etwa 10 000 Palästinenser in israelischer Haft befunden, von 1967 bis 2005 seien insgesamt 650 000 Palästinenser einmal in einem israelischen Gefängnis gesessen.

Ein jüdischer Siedler im Westjordanland, so schreibt der Autor weiter, dürfe 15 Tage ohne Anklage festgehalten werden, ein Palästinenser dagegen 180 Tage. Und schließlich: Im Westjordanland gelten Nachkommen jüdischer Siedler bis zu einem Alter von 18 Jahren rechtlich als Kinder, Nachkommen von Palästinensern aber nur bis zwölf Jahren. Die Folge: Palästinensische Jugendliche können schon in sehr frühem Alter strafrechtlich belangt werden.

Eine andere Statistik befasst sich mit dem Leiden palästinensischer Kinder. Zwischen 2000 und 2007 seien 854 Kinder von der israelischen Armee getötet worden. Mit Bezugnahme auf eine UN-Studie schreibt der Autor: 98 Prozent der Kinder lebten in steter Angst vor neuer israelischer Gewalt. In den Jahren 2003 bis 2005 seien bei 180 israelischen Angriffen auf palästinensische Schulen 181 Lehrer und Schüler getötet worden.

Diese erschütternde Innenansicht komplettiert Abdallah Frangi mit einem Panorama palästinensischer "Außenpolitik" - und mit den zahlreichen israelischen Versuchen, nach dem palästinensischen Terror-Attentat gegen israelische Sportler bei den Münchner Olympischen Spielen 1972 Rache zu üben. Frangi wurde 1943 im heute israelischen, damals palästinensischen Beerscheva geboren. Während des ersten Nahostkrieges von 1948 flüchtete er nach Gaza, wo er heute wieder lebt.

Mehr als dreißig Jahre lang war er palästinensischer Vertreter in Deutschland. Der Vertraute Arafats (und heute Ratgeber von Präsident Mahmud Abbas) hat alle Wendungen und Windungen des Konflikts erlebt und wurde selber Opfer eines israelischen Anschlags, als sein Kollege Abu Khalil im Herbst 1972 in Algier einen Brief öffnete, in dem eine Bombe versteckt war. Abu Khalil überlebte, Frangi ebenso.

Viel Text und wenig Substanz

Einen weiteren israelischen Vergeltungsschlag erlebte Frangi im April 1973 in Beirut, als ein nächtens an Land gegangenes israelisches Kommando unter Führung von Ehud Barack Jassir Arafat ermorden wollte, aber lediglich fünf unbeteiligte Palästinenser tötete, weil Arafat nicht in dem von den Israelis vermuteten Haus weilte. Dem widersinnigen Kampf am Boden entsprach - und entspricht bis heute - auf diplomatischem Parkett ein hoffnungsloses Ränkespiel an Vorschlägen und Gegenvorschlägen.

Selbst das ursprünglich als Durchbruch gefeierte Abkommen von Oslo (1993), nach dem der PLO zunächst die Verwaltung einiger vornehmlich von Palästinensern bewohnten Gebiete zufallen sollte, hat keinesfalls den Weg zum Frieden gebahnt. Hans-Jürgen Wischnewski, seinerzeit der kenntnisreiche Nahostvermittler der SPD, sprach, wie Abdallah Frangi berichtet, von "viel Text und wenig Substanz", als er die Vereinbarung von Oslo studierte.

Heute weiß man, dass Wischnewski recht hatte. Das Land, auf dem nach wohlwollender Interpretation der Oslo-Verträge ein palästinensischer Staat entstehen sollte, bauen die Israelis bis heute mit ihren Siedlungen zu. Die Schlussfolgerung, jedenfalls aus palästinensischer Sicht: In ihrem alltäglichen Leben werden die Palästinenser schikaniert, politisch werden sie blockiert. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

SAREE MAKDISI: Palästina, Innenansichten einer Belagerung. Aus dem Englischen von Sigrid Langhäuser. Laika-Verlag, Hamburg 2011. 410 Seiten, 21 Euro. ABDALLAH FRANGI : Der Gesandte. Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen der Nahostpolitik. Heyne Verlag, München 2011. 431 Seiten, 21.99 Euro.

© SZ vom 05.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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