Neue Biographie: Marcel Lefebvre:Der Unbewegliche

Traditioneller Dickkopf: Bischof Marcel Lefebvres Leben war spannender als ein Roman - doch sein Biograph lässt die nötige Objektivität vermissen.

Alexander Kissler

Aus einer solchen Figur hätten Flaubert, Balzac, Bloy mehr als nur einen Roman geschaffen. Die Vita des Marcel Lefebvre ist reich an Irrungen und Wirrungen, an Anmaßungen und Demütigungen. Der Spross einer angesehenen Unternehmerfamilie stammte aus Nordfrankreich, verbrachte fast dreißig Jahre als Missionar in Afrika und wurde auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil der erste Widersacher des Papstes. Bis zur Verachtung und zur Schmähung steigerte sich seine Kritik an der "Konzilskirche". Noch posthum brachte er den Vatikan in arge Bedrängnis. Die Aufhebung der Exkommunikationsdekrete gegen vier Bischöfe der von Lefebvre 1970 gegründeten Priesterbruderschaft St. Pius X. löste Entrüstung aus.

Neue Biographie: Marcel Lefebvre: Gründete 1970 die Priesterbruderschaft St. Pius: Erzbischof Marcel Lefebvre.

Gründete 1970 die Priesterbruderschaft St. Pius: Erzbischof Marcel Lefebvre.

(Foto: Foto: AP)

Seit der Komödie "Willkommen bei den Sch'tis" wissen auch deutsche Kinobesucher: Nordfrankreich wird von vielen Franzosen als extraterritoriales Gebiet betrachtet. Dort, so die Fama, leben besonders knorrige Dickschädel, schwer von Begriff und leicht zu verunsichern. Auch Lefebvres Biograph kommt nicht umhin, von der Gespaltenheit seines Helden zu berichten. Im vertrauten Umgang habe "eine demütige Sanftmut mit einem Hauch von Schüchternheit" vorgeherrscht. Sobald es aber kategorisch wurde - und dieses ganze Leben stand im Banne der Prinzipien -, war der Bischof ein "Mensch, der steif und fest an seiner Meinung festhielt, manchmal bis dahin, Offensichtliches abzustreiten".

Bernard Tissier de Mallerais, der Autor, wird wissen, wovon er schreibt, ist er doch einer der durch Lefebvre geweihten Bischöfe. Gemeinsam mit Richard Williamson, Bernard Fellay und Alfonso de Galarreta empfing er 1988 gültig, aber illegal die Weihe. Objektivität kann man von dieser ersten Biographie Lefebvres nicht erwarten. De Mallerais versichert im Vorwort, er habe sich der "Aufgabe der peinlich genauen Nachforschung nach Zeugnissen und Dokumenten unterworfen". Auch die "unversöhnlichsten Gegner des Erzbischofs" kämen zu Wort, die "historische Methode" gebiete solche "Strenge". Sehr sporadisch aber nur wird dieses Versprechen eingelöst. Vergebens sucht man eine über das Affirmative hinausgehende Reflexion des theologischen wie politischen Sektierertums. Ein trübes Licht wird so auf die Debattenkultur innerhalb der "Bruderschaft" geworfen. Ohne Selbstaufklärung bleibt aber jegliche Wiederannäherung an Rom zum Scheitern verurteilt.

Trotz dieser großen strukturellen Defizite und eines wahrlich nicht mitreißenden Schreibstils ist die Lektüre aufschlussreich. Zum einen deshalb, weil de Mallerais Anekdoten, Briefe und interne Veröffentlichungen zu Gebote stehen, die anderen Autoren vermutlich verschlossen blieben. An Fußnoten herrscht kein Mangel, ihre Zahl geht in die Tausende. Zum anderen ist diese Chronik einer Verhärtung zugleich ein Lehrstück in Sachen religiöser Dialektik. Schon der 40-jährige Lefebvre bekräftigte, dass es nur "eine wahre Art und Weise gibt, die Geschichte zu betrachten, nämlich jene, die uns durch die Päpste und die Bischöfe gelehrt wird." Dann aber erlebte er, wie unter Johannes XXIII., Paul VI. und Johannes Paul II. die katholische Theologie neu justiert wurde. Nun wandte er sich mit einem Timbre, das Martin Luther gefallen hätte, wider die Päpste: "Der Papst steht im Dienste des Glaubens. Der Glaube steht nicht in seinem Dienst. Er kann dem Glauben keine Befehle erteilen."

Papst Paul VI. warf in einem langen Brief Lefebvre am 11. Oktober 1976 vor, dieser habe einen "absolut falschen Begriff von Kirche und Tradition". Er und seine Anhänger verharrten "im kirchlichen Leben einer bestimmten und begrenzten Epoche unbeweglich" und fielen so "von dem rechtmäßigen Hirten ab". Kurz davor, Ende August 1976, hatte Lefebvre verbotenerweise in Lille eine alte Messe zelebriert. Rund 7000 Menschen hörten zu, als der frisch suspendierte Alt-Erzbischof die Überlieferung als Richterin des Papstes bezeichnete. Den neuen Messritus nannte er illegitim, das Konzil eine Vermählung von Kirche und Französischer Revolution. Die "treuen Katholiken" hätten ein Anrecht darauf, dass ihnen - also der Bruderschaft - in jeder Diözese eine Kirche zur Verfügung gestellt werde. "Heiliger Vater", schloss er, "lassen Sie uns das Experiment der Tradition machen!"

"Lassen Sie uns das Experiment der Tradition machen!"

Die Tradition, die Lefebvre stets im Munde führte, war vor allem jene des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Seine Fixsterne waren die Pius-Päpste, vom IX. bis zum XII., waren Gregor XVI. und Leo XIII. In deren Abwehrkampf gegen Modernismus und Liberalismus fand er sich wieder. Unmittelbar an Leo XIII. und die Enzyklika "Immortale Dei" von 1885 anschließend, schrieb Lefebvre: "Die Erlösung der Seelen setzt sich mit Notwendigkeit in der Unterwerfung der Staaten und ihrer Gesetze unter das sanfte und leichte Joch des Gesetzes Christi fort." Der Staat habe da eine "dienende Rolle" gegenüber der Kirche. Auf dem Zweiten Vatikanum stimmte Lefebvre gegen die Aussagen zur Religionsfreiheit, unterzeichnete aber die entsprechende Erklärung "Dignitatis humanae". De Millerais konzediert zerknirscht, die gegenteiligen Aussagen Lefebvres, er habe die Unterschrift verweigert, müssten "als eine Täuschung seines Erinnerungsvermögens oder als ein menschlicher Irrtum aufgefasst werden".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Joseph Ratzinger die Spaltung Lefebvres von der Kirche nicht verhindern konnte.

Der Unbewegliche

Wenn der reaktionäre Rebell gegen die "Krankheiten des Geistes" und die "Pest des Liberalismus" polterte; wenn er die "Königsherrschaft unseres Herrn Jesus Christus" zumindest über die "katholischen Nationen" verlangte und der "Konzilskirche" vorwarf, Häresien hoffähig gemacht zu haben, dann standen ihm seine afrikanischen Erfahrungen vor Augen. Fast durchgängig von 1932 bis 1962 war Lefebvre Missionar, stieg auf bis zum päpstlichen Delegaten für das ganze französischsprachige Afrika und zum Erzbischof von Dakar. Dort, kritisiert der Theologe Alois Schifferle, habe er seine "scholastisch orientierte Theologie zentralistischer Prägung" umgesetzt.

Missionarischer Geist

Weil in Lefebvres Augen Gott die Ungleichheit gewollt hat, "damit wir uns gegenseitig Dienste erweisen können", behagte es ihm, in Afrika neue Strukturen und Hierarchien schaffen zu dürfen. Die "Priesterbruderschaft" sollte den missionarischen Geist dann in den alten Kontinent reimportieren. Auch im Einsatz für die tridentinische Messe argumentierte Lefebvre zuweilen afrikanisch. Er erinnerte an den panafrikanischen Kongress zu Dakar, bei dem die Abgeordneten aus den verschiedenen Ländern "alle einmütig und sogar mit voller Stimme alle lateinischen Gesänge" gesungen hätten.

Politisch blieb das vertikale Denken ebenso wenig folgenlos. Sein eigener Vater wurde zwar 1941, nachdem er widerständigen Soldaten und Zivilisten im besetzten Frankreich geholfen hatte, "von der Gestapo festgenommen und inhaftiert", später dann zum Tod verurteilt. Er starb im Februar 1944 im Konzentrationslager Sonnenburg an den Spätfolgen einer Misshandlung. Lefebvre aber fand freundliche Worte für das Vichy-Regime. Pétain habe immerhin eine christliche Gesellschaftsordnung gutgeheißen, de Gaulle hingegen die "Bewegung für die katholische und christliche Ordnung zerschlagen". Schon in der streng nationalistischen, antidemokratischen und antisemitischen "Action française" hatte Lefebvre, so de Mallerais, einen "Kampf für die christliche Ordnung, die er selbst herbeisehnte" geortet.

Zweitausend Jahre sind kein Tag

Der schismatische Akt von 1988, die unerlaubten Bischofsweihen, waren der konsequente Endpunkt dieses Gangs in die Parallelkirche. Zahlreiche Gespräche, Briefe, Telegramme mit dem damaligen päpstlichen Beauftragten, Joseph Ratzinger, konnten diese seit den siebziger Jahren absehbare Spaltung nicht verhindern. Noch wenige Stunden vor der Weihe hatte Ratzinger Lefebvre im Namen Johannes Pauls II. aufgefordert, "nach Rom aufzubrechen, ohne die Weihen vorzunehmen". Der damals 82-jährige Lefebvre aber verdächtigte den Vatikan, nur seinen Tod abzuwarten. Im allerletzten Vortrag, zwei Wochen vor seinem Tod im März 1991, wiederholte er noch einmal sein aggressives Credo: "Schuld am heutigen Unheil sind die Bischöfe, die seit 40 Jahren nicht mehr an die Kraft der Gnade, der Sakramente, des Blutes Unseres Herrn Jesus Christus glauben."

Es stimmt noch immer, was der spätere Mainzer Erzbischof Karl Lehmann schon 1976 formulierte. Lefebvres "Wirken und sein Echo" haben eine "nicht zu leugnende Krise in der gesamten nachkonziliaren Situation bewusster gemacht und ernster erscheinen lassen." Eine Kirche, die den Eindruck vermittelt, sie sei recht eigentlich auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegründet worden, darf sich nicht wundern, wenn aus ihren Reihen eine derart schrille Opposition im Namen vorkonziliarer Traditionen aufersteht. Zweitausend Jahre sind kein Tag.

BERNARD TISSIER DE MALLERAIS: Marcel Lefebvre. Die Biographie. Aus dem Französischen von Irmgard Haberstumpf. Sarto Verlag, Stuttgart 2008. 760 Seiten, 29 Euro.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: