Neu im Kino: "Tödliche Entscheidung":Dem Teufel ist es gleich

Zwei Brüder überfallen den elterlichen Juwelierladen - und töten dabei aus Versehen ihre Mutter. Nun sucht der Vater den Mörder. Sidney Lumets Thriller "Tödliche Entscheidung - Before the Devil Knows You're Dead".

Susan Vahabzadeh

Das Leben hat ganz selten einfache Lösungen parat, und vielleicht ist es so, dass die übers Knie gebrochenen, brachialen, simplen Ansätze die größte Gefahr bergen, in einer Katastrophe zu enden. Sidney Lumet erzählt eine davon in seinem Thriller "Tödliche Entscheidung - Before the Devil Knows Your're Dead".

Eine einfache Geschichte, ein kleiner Raubüberfall, aus Geldnot eher als aus bloßer Habgier begangen, entwickelt schnell die Ausmaße einer griechischen Tragödie. Ein Mann hat ein Juweliergeschäft in einer kleinen Mall überfallen, es wird geschossen, er stirbt auf der Flucht; ein zweiter Mann rast mit dem Wagen davon. Lumet hat den Film in Akte eingeteilt, erzählt die Geschichte immer wieder aus verschiedenen Perspektiven. Der Film ist digital gedreht - Lumet ist 83 Jahre alt, aber im Erzählstil, in der visuellen Umsetzung hochmodern.

Die Geschehnisse im Laden sind recht schnell aufgerollt: Hank (Ethan Hawke), der Mann im Auto, hat den Überfall mit einem kleinen Gangster gemacht, den er kaum kannte, der Mann im Hintergrund ist Hanks Bruder Andy (Philip Seymour Hoffman) - dem ist der grandiose Plan eingefallen, den elterlichen Juwelierladen samstagsmorgens auszurauben, gewaltfrei selbstverständlich.

Die beiden Brüder ahnen nicht, dass ihre Mutter eingesprungen ist für die Verkäuferin. Das kapieren sie erst, als sie ins Krankenhaus gerufen werden, wo sie angeschossen im Sterben liegt. Ein Familienthriller, und mittendrin ein unterschwelliger Bruderzwist.

Hank, das jüngere und hübschere Kind, glaubt Andy, sei immer mehr geliebt worden als er. Der Vater - Albert Finney spielt ihn ganz emotional, gebrechlich, traurig, irgendwann voll Wut und Entgeisterung - wird zum Jäger, versucht auf eigene Faust herauszubekommen, wer den Laden überfallen, seine Frau getötet hat. Und je mehr sich die Brüder winden, desto mehr verstricken sie sich in dem, was sie getan haben. Keine Orestie, aber die Erinnyen sind trotzdem grausam.

Der Frust

Lumet hat in einem halben Jahrhundert einen Satz großer Klassiker gedreht - von "Die zwölf Geschworenen", 1957, übers Kalter-Kriegs-Drama "Fail Safe" bis zu "Serpico", "Network", "Dog Day Afternoon". Für den Oscar war er, bizarrerweise, fünfmal nominiert und hat doch nur einen Ehrenoscar bekommen. Er hat Henry Fonda und Al Pacino zu ganz großen Auftritten verholfen, und bei "Devil" spielt es natürlich eine Rolle, dass man der Besetzung anmerkt: Jeder will mit Lumet drehen. Aber Lumet ist ein guter Handwerker und ein kluger Kopf, verwechselt nie Ursache und Wirkung mit Moral: es geht nicht ums Urteilen, sondern ums Darstellen.

Spannung entsteht nicht aus dem Plot, sondern aus dem Mitfiebern mit den Figuren, und dafür ist "Devil" ein Lehrstück. Lumet zelebriert hier vier grandiose Figuren, die Brüder, Andys Frau, den Vater - der Film springt in der Geschichte hin und her, kommt auf suberbe Details.

Andy geht beispielsweise einmal zu seinem Dealer in der City, ein Luxusdealer für gestresste Geschäftsleute, der ein Etablissement im Stil einer Wellness-Oase unterhält. Sowas gibt's, sagt Lumet; vor ihm ist nur keiner drauf gekommen. Andy braucht das Geld, irgendeine Form von Erfolg, um seine Ehe zu retten - ganz zu Beginn haben wir ihn gesehen, im Bett mit seiner Frau, eine Erinnerungssequenz an Sex im Urlaub, entspannt und glücklich, Philip Seymour Hoffman stellt sich mit rauschhafter Lust an den eigenen Unzulänglichkeiten zur Schau. Später dann der Status Quo dieser Ehe, der Frust.

Hank, der vielleicht wirklich die Schwächen eines Muttersöhnchens hat, aber dennoch um nichts zu beneiden ist - lebensuntüchtig und weich, er kann nicht verwinden, dass seine Frau ihn verlassen hat und wie sie ihn bloßstellt als Versager vor seinem Kind. Und so kommt es, dass sie ihre eigenen Eltern überfallen. Schreckliche Menschen, schrecklich und schwach - aber eigentlich sind sie auch ganz normal, der Grat ist schmal zwischen gut und böse, es geht vor allem darum, ob man das eigene Handeln vor sich rechtfertigen kann. Die brachiale Lösung bietet keinerlei Erlösung.

Es sollte ja keiner zu Schaden kommen, die Versicherung den Eltern den geraubten Schmuck ersetzen . . . Erst nach dem Verbrechen beginnen die Unterschiede zwischen den Brüdern eine Rolle zu spielen. Hank hält nicht aus, was nun auf ihnen lastet, Andy verlangt vom Schicksal Gnade als Ausgleich für die vermeintlich entgangene Liebe.

Die Erzählstruktur, das Aufrollen der Ereignisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln, hat vorher kaum einer so grandios und stimmig durchgezogen wie Lumet, der damit den Rahmen seiner kleinen Geschichte sprengt, er markiert Eckpunkte eines großen Sittengemäldes und breitet so vier ganze Leben vor uns aus. Und die Fragen der Rechtfertigung, von falsch und richtig, werden immer komplexer mit jeder neuen Perspektive, aus der er sie stellt.

"May you be in heaven half an hour before the devil knows you're dead", lautet der irische Spruch, dem der Titel entnommen ist, Lumet zitiert ihn ganz am Anfang des Films: Schau, dass du im Himmel bist, bevor der Teufel mitkriegt, dass du tot bist. Was den Teufel betrifft, geht es eben nie darum, ob etwas gut ist oder richtig, sondern nur darum, ob man damit durchkommt.

BEFORE THE DEVIL KNOWS YOU'RE DEAD, USA 2008 - Regie: Sidney Lumet. Buch: Kelly Masterson. Kamera: Ron Fortunato. Schnitt: Tom Swartout. Mit: Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, Marisa Tomei, Rosemary Harris. Koch Media/ Neue Visionen, 116 Minuten.

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