Neu im Kino: "Sweeney Todd":Sweeney mit den Messerhänden

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Statt Bartstoppeln und Haupthaar zu schneiden, schlitzt Johnny Depp in "Sweeney Todd" die Kehlen anderer Leute auf. Ein schwarzromantischer Rachefeldzug.

Anke Sterneborg

Tim Burton und Johnny Depp sind im Grunde zwei große Jungs geblieben, die sich mit Lust an subversiven Rollenspielen und bizarren Schauplätzen auf dem Abenteuerspielplatz Kino austoben. Und wenn sie sich jetzt in ihrer siebten gemeinsamen Arbeit ausgerechnet ein Musical vornehmen, dann sollte man keinen schwungvollen Tanz und schmetternden Gesang erwarten, sondern eher einen frivolen Flirt mit dem Tod. In Stephen Sondheim haben sie dafür den idealen Verbündeten gefunden, der dem Genre mit seinem "Sweeney Todd" (1979) mehr düstere Töne entlockte als jeder Musical-Komponist zuvor.

Abenteuerspielplatz Kino: Johnny Depp zieht mit Rasiermesser auf Vernichtungstrip. (Foto: Foto: Warner Bros.)

Es beginnt mit dem niederschmetternden Ende einer Liebe und eines Lebens: Ein fieser Richter (Alan Rickman) missbraucht seine Macht, um sich die Frau und das Glück des Barbiers Benjamin Barker (Depp) unter den Nagel zu reißen. Fünfzehn Jahre später kehrt dieser aus der Verbannung ins viktorianische London zurück - nun als finsterer Rächer Sweeney Todd.

Die weiße Strähne im dunklen Haar zitiert "Frankensteins Braut" und "Addams Family", der kreidebleiche Teint und die dunklen Augenringe wecken Erinnerungen an die Nachtgestalten des klassischen Horrorfilms, wie sie Lon Chaney, Boris Karloff oder Christopher Lee verkörpert haben. Und wenn Sweeney unter den Bodendielen seines alten Ladens seine Rasiermesser hervorholt und triumphierend verkündet, dass sein Arm nun endlich wieder komplett sei, dann wird er auch zum düsteren Alter Ego einer anderen Burton-Depp-Kreation: Edward mit den Scherenhänden.

Statt Bartstoppeln und Haupthaar zu schneiden, wird er fortan Kehlen schlitzen, sein Frisierstuhl wird dabei zum Schafott, auf dem mit jakobinischem Eifer jeder hingerichtet wird, der sich ihm in den Weg stellen könnte. Mit einer Falltür befördert er anschließend die Leichen von der Dachkammer in den Keller, wo sie in einem riesigen Fleischwolf zu Hackfleisch verarbeitet werden. Seine moribunde Gefährtin Mrs. Lovett (Helena Bonham Carter) bäckt daraus köstliche Pasteten: Sweeney Todd ist ein schwarzromantischer Jack the Ripper auf einem skurrilen und grausigem Massenvernichtungstrip.

Intimer Tanz mit dem Tod

Tim Burton hat sich schon immer in den Schattenzonen der bürgerlichen Gesellschaft bewegt, wo die Verlorenheit und die Phantasie der Missverstandenen und Geächteten bizarre Blüten treibt. Zimperlich war er dabei nie - ob er in seinem Kurzfilm "Frankenweenie" einen kleinen Jungen in der Tradition des Dr. Frankenstein mit der Leiche seines Hundes hantieren ließ, ob er in "Sleepy Hollow" einen modernen Pathologen auf die Spur eines kopflosen Reiters schickte oder in "Corpse Bride" eine Liebesgeschichte mit einer partiell verwesten Leiche anzettelte.

Doch noch nie zuvor war er dabei so kalt, ernst und grausam wie hier. Es ist ein echter Schock, wenn Sweeney seine Klinge mit Furor durchs weiße Fleisch der Kehlen zieht, bis rotes Blut in eine Welt sprudelt, die der große Ausstatter Dante Ferretti aller anderen Farben systematisch beraubt hat.

Und wenn die Leichen anschließend in die Tiefe sausen, dann fallen sie nicht wie Puppen, sondern schwer und dumpf wie echte Körper. Dabei entsteht eine eigentümliche Mischung aus Dickens-Realismus, theatralisch überhöhter Künstlichkeit und verwunschenem Horrormärchen - und die Lieder des Musicals fügen sich in diesen Kosmos erstaunlich harmonisch ein. Wo sonst die eigenwilligen Klänge von Burtons Hauskomponisten Danny Elfman sprudeln, werden hier die von den Schauspielern selbst gesungenen Texte zum natürlichen Ausdruck ihres Lebensgefühls. Statt zum furiosen Tanz der Massen in der Tiefe des Raumes aufzuspielen, lädt Burton lieber im dunklen Dachkämmerchen zum verführerisch intimen Tanz mit dem Tod.

SWEENEY TODD - THE DEMON BARBER OF FLEET STREET, USA 2007 - Regie: Tim Burton. Buch: John Logan. Kamera: Dariusz Wolski. Mit: Johnny Depp, Helena Bonham Carter, Alan Rickman. Warner, 116 Minuten.

© SZ vom 21.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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