Neu im Kino: "Michael Clayton":Umbringen unnötig

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Im Irrsinn liegt die Klarheit: Tilda Swinton und George Clooney spielen im Oscar-gekrönten Thriller gierige Anwälte, die nie zuhause sind.

Susan Vahabzadeh

Als Michael Clayton am Anfang des Films, der das Ende vorwegnimmt, aus seinem Wagen steigt, in der Morgendämmerung von Westchester County, und auf eine Weide läuft, ist es, als würde er zum ersten Mal in seinem Leben wirklich sehen.

Getriebene in einer unglamourösen Welt: Tilda Swinton und George Clooney als Anwälte. (Foto: Foto: Constantin/oH)

Der Wagen explodiert hinter ihm auf der Straße, und Clayton, der aussieht wie kurz vor dem Zusammenbruch, steht drei Pferden gegenüber, die er anstarrt wie Fabelwesen. Aus einem Dornröschenschlaf der Emotionen erwacht, einem Zombiedasein der Wahrnehmung von richtig und falsch.

Mann fürs Grobe

"Michael Clayton", die erste Regiearbeit des Drehbuchautors Tony Gilroy, der die "Bourne"-Trilogie geschrieben hat und hier das Genre des Anwalts-Thrillers ein bisschen weiterdreht, ist ein modernes noir. Es geht um eine kalte Kosten-Nutzen-Rechnung, in der ein Menschenleben exakt so viel wert ist wie die vor Gericht zu erwartende Entschädigungssumme.

Der Film führt dann gleich zurück in der Zeit, auf den Grund des juristischen Sumpfs, in den Clayton hineingeraten ist. Er ist Anwalt in einer riesigen Kanzlei, aber einen Gerichtssaal hat er seit Jahren nicht von innen gesehen. Er ist der Mann fürs Grobe.

In Westchester sollte er einen reichen Mandanten raushauen, der Fahrerflucht begangen hat und nicht dafür geradestehen will. Sie sollen eine Art Wunderheiler sein, sagt der Mandant. Und Clayton antwortet: Nein, ich bin von der Putzkolonne. Sein Job ist es, den Dreck aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu schaffen, den die großen Prozesse der Kanzlei hinterlassen.

Man hat ihn auch in den Westen geschickt, nach Wisconsin, wo ein Kollege vor laufender Kamera durchgedreht ist, während er den riesigen Düngemittel-Konzern U-North verteidigen sollte, der die ganze Gegend vergiftet hat. Und der nun versucht, die Opfer-Entschädigung zu drücken, der Rendite wegen.

Wunderwelt des Kapitalismus

Dieser Film ist voller Bilder, die er sich aus den Filmen des New Hollywood geliehen hat, aus der großen Ära des Genre-Kinos, das sich einen Reim auf die Wirklichkeit machte, ohne zum Lehrstück zu verkommen. Genauso ist "Michael Clayton" geworden, der die Wunderwelt des Kapitalismus entzaubert, in dem er sie einfach zeigt.

Für einen Regie-Anfänger leistet Gilroy Erstaunliches - sind seine Schauspieler so gut, weil er sie so gut führt, oder können sie das, was sie da zustande bringen, auch so? Ein echter Schauspielerfilm, bis in die Nebenrollen großartig besetzt - Sydney Pollack als Chef der Kanzlei, die vor dem Verkauf steht, ein sympathischer Typ, bei dem man nie recht weiß, für welches Team er nun eigentlich spielt; Tilda Swinton als Karen Crowder, die Leiterin der U-North-Rechtsabteilung, eine Getriebene, von Unsicherheit zerfressen, die das Chefsein vor dem Spiegel übt, einstudiert, wie man vorgibt, alles im Griff zu haben - sie hat einen Oscar bekommen dafür; und George Clooney ist Michael Clayton, der Schulden hat und spielt und angewiesen ist auf seinen Job. Lauter Menschen, die nie zu Hause sind.

Einer will kein Mitläufer mehr sein. Tom Wilkinson spielt den durchgedrehten Arthur, der sich während einer Anhörung die Kleider vom Leib gerissen hat. Doch er ist im Irrsinn klarer als vorher, er gibt wunderschöne Monologe von sich von wahnwitziger Poesie - "Ich habe kapiert, Michael", sagt er, "dass ich nicht durch die Tore unserer gewaltigen Anwaltskanzlei gekommen bin, sondern aus dem Arschloch eines Organismus, dessen einzige Funktion es ist, das Gift auszuscheiden, das ein noch größerer Organismus braucht, um das Wunder der Menschheit zu zerstören."

Er hat seine Anpassungsfähigkeit aufgegeben. Es geht ihm nicht mehr um den Job oder das Geld, sondern um das, was er tut - und nichts ist gefährlicher als einer, der nichts mehr zu verlieren hat: Arthurs Irrsinn besteht darin, dass er anfängt, die Wahrheit auszusprechen.

Quälerei ohne Ziel

Hier entspinnt sich der Thriller, denn Arthur hat Beweise für die kriminelle Umweltverseuchung durch U-North gesammelt, und Karen Crowder, überfordert, engagiert einen Killer. Der nicht nur Arthur umbringen soll, sondern auch Clayton, der zu viel weiß. Eine Geschichte über die Gier - es geht um surreale Summen und unsichtbare Aktionäre. Also eigentlich um nichts.

Karen Crowder lebt in Hotelzimmern, in ständiger Angst, vor dem Konzernvorstand, dem nächsten Termin, Entdeckung. Läuft in ihrem Zimmer auf und ab, versteckt sich auf dem Klo, um die Flecken von Angstschweiß auf ihrer Bluse zu trocknen. Eine Quälerei ohne Ziel - sie kämpft um einen Job, der sie auffrisst.

"Michael Clayton" spielt in einer seltsam unglamourösen Hochfinanzwelt, keiner dieser Orte wäre irgendein Opfer wert - unordentliche Büros, abgewohnte Räume, spießige Hotels, in kaltes Licht getaucht. Robert Elswit hat die Kamera gemacht, der gerade einen Oscar bekommen hat für "There Will Be Blood" und mit Clooney "Good Night, and Good Luck" gedreht hat. Einmal wird es wärmer, als Clayton aufs Land fährt, zu seinen Geschwistern, die ihm fremd sind, obwohl er sich doch aus Liebe zur Familie erst verschuldet hat.

Augen zu

Arthur, der Sehende, und Clayton, dem langsam die Augen aufgehen, bringen das Gefüge einer Gesellschaft durcheinander, die sich darauf geeinigt hat, im Sinne des Profits beide Augen zuzudrücken. Clayton erkennt vor allem sich selbst - ich bin kein Typ, den man umbringen lässt, brüllt er Crowder beim großen Showdown an: Ich bin doch schon für ein paar tausend Dollar zu haben. Eine Szene, in der er sich langsam hochrappelt und Karen Crowder immer brüchiger wird, als würde die Energie von einem zum anderen sich übertragen.

Vielleicht ist im Leben alles eine Frage der Wahrnehmung, ist Zerstörung die Konsequenz von Verdrängung. "Michael Clayton" erzählt eine Geschichte, in der das wahrhaft Schreckliche nicht der Betrug durch andere ist, sondern die Fähigkeit, sich selbst zu belügen.

MICHAEL CLAYTON, USA 2007 - Regie und Buch: Tony Gilroy. Kamera: Robert Elswit. Mit: George Clooney, Tilda Swinton, Tom Wilkinson, Sydney Pollack. Constantin, 119 Minuten.

Außerdem laufen an:

I'm Not There, von Todd Haynes

Der lange Weg ans Licht, von Douglas Wolfsperger

Meine Frau, die Spartaner und ich, von Jason Friedberg, Aaron Seltzer

Mirikitanis Katzen, von Linda Hattendorf

No Country for Old Men, von Joel und Ethan Coen

Trip to Asia, von Thomas Grube

© SZ vom 28.02.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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