Neu im Kino: "Lenin kam nur bis Lüdenscheid":Die Kinder der Kinder von Marx und Coca-Cola

Als die Eltern noch Utopien hatten: In "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" erinnert sich Richard David Precht an seine kommunistisch angehauchte Kindheit.

Rainer Gansera

Die Kinder der "Kinder von Marx und Coca-Cola" (Godard) haben mittlerweile selber Kinder, und also Anlass, sich an ihre Kindheit unter dem Regiment von 68er-Eltern zu erinnern.

Neu im Kino: "Lenin kam nur bis Lüdenscheid": "Lenin kam nur bis Lüdenscheid": Heiligenbilder der Kindheit.

"Lenin kam nur bis Lüdenscheid": Heiligenbilder der Kindheit.

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Der 1964 in Solingen geborene Autor Richard David Precht hat das getan: zuerst in seinem autobiographischen Buch "Lenin kam nur bis Lüdenscheid", nun in der gleichnamigen, teils amüsanten, teils kurios verstolperten Dokumentation, die der Buchvorlage lose folgt und vom Kölner Filmemacher André Schäfer gestaltet wurde.

Prechts Eltern waren keine waschechten "Kinder von Marx und Coca-Cola". Sie gehörten zum Sympathisanten-Umfeld der DDR-hörigen DKP, stellten also Verlockungen der kapitalistischen Konsumkultur wie Coca-Cola und Pop-Musik in den erzieherischen Giftschrank, und ließen Barden wie Franz Josef Degenhardt als messianische Künder einer in der DDR bereits glorreich verwirklichten Heilserwartung erscheinen.

Kindlich naiver Erzählton

Der anfangs prächtig funktionierende Trick des Films besteht in seinem kindlich-naiven Erzählton, mit dem er die Gedanken- und Gefühlswelt des kleinen Richard David selbstironisch erschließt.

Der lässt ein Gestrüpp herrlich bizarrer Assoziationen sprießen und reiht zum Beispiel Tiervater Brehm, seines Bartes wegen, in die Galerie der "revolutionären Rauschebärte" neben Marx und Engels ein.

Merkwürdigerweise versucht der Film diesen Ironie-Ton beizubehalten, wenn er zu den Erzählungen aus Jugend- und Erwachsenenalter kommt, sogar dann noch, wenn Richard David Precht vor die Kamera tritt und Gespräche führt: mit dem Vater, Geschwistern, einem ehemaligen DKP-Jugendfunktionär.

Bemühte Pointensuche

Hier kippt der augenzwinkernde Charme des Beginns in eine bemühte Pointensuche, die sich um alle entscheidenden Fragen drückt. Wie hat sich Precht von den Heiligenbildern der Kindheit gelöst? Wie sind seine Geschwister damit umgegangen? Dürfen seine Kinder Coca-Cola trinken?

Lenin kam nur bis Lüdenscheid, Deutschland 2008 - Regie: André Schäfer. Buch: Richard David Precht. Kamera: Bernd Meiners. Mit: Richard David Precht. W-Film, 88 Minuten.

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